Denn

13. Dezember 2006

Denn
ich hab dir
nichts versprochen
nur den Docht für die Lampe
und das Kännchen Öl
für gedämpftes Licht
auf dem Tisch
mit den Blutflecken

Den Teppich
kann ich nicht weben
mit diesen Fäden aus Draht

Sag nicht „Gute Nacht“
die Nacht ist nicht gut
die fremde vergeßliche Nacht

Rose Ausländer, aus: „Regenwörter. Gedichte“,
© Philipp Reclam jun. Stuttgart 1994

••• Ich habe Immanuel Weissglas erwähnt und Paul Celan. Zu den Czernowitzern gehört noch eine andere grosse Dichterin: Rose Ausländer. Sie verliess die Stadt mehrfach und kehrte mehrfach zurück. Zum ersten Mal führte ihr Weg sie 1916 nach Wien. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte sie zurück, um nach dem Tod ihres Vaters 1920 der Not gehorchend zu Verwandten in den kleinen Ort Winona im Mittelwesten der USA zu übersiedeln.

Den sanften Namen Winona
verdankst du der Legende vom schönen Indianermädchen
das sich vom Felsen stürzte
aus verschmähter Liebe

1931 kam sie nach einer gescheiterten Ehe erneut nach Czernowitz und überlebte – anders als 90% der 55.000 Juden ihrer Heimatstadt – die Shoah.

Wie Celan kämpfte auch sie mit den unbeantwortbaren Fragen der Überlebenden. Die Dichtung war ihr Überlebenselixier. Aus einem Werk von 2500 Gedichten hat Helmut Braun 1993 für Reclam eine Sammlung von 100 Gedichten zusammengestellt. Vielleicht hat sie nicht die poetische Kraft Celans. [Höre ich Aufschreie?] Statt Rafinesse im Umgang mit der Form gibt sie einem klaren, nüchternen Ausdruck den Vorzug.

Viele ihrer Gedichte erreichen mich nicht. Das will ich gar nicht leugnen. Aber allein in diesem Reclam-Bändchen steckt ein ganzes Bündel von Lesezeichen: Wegweiser zu Gedichten, zu denen man zurückkehrt, wieder und wieder.

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