Insel

Sonntag, den 24. Dezember 2006

Ich habe nur dich,
Herz meines Stammes.

Traurig stimmt mich die Liebe zu dir,
meine Heimat, wenn dunkle Düfte
dem Abend entströmen, von Orangen
oder Oleandern, heiter,
fließt der Bach
mit Rosen bis fast an die Mündung.

Aber wenn ich zu deinen Ufern wiederkehre
und eine holde Stimme auf furchtsamer Straße
zum Gesang ruft,
weiß ich nicht, ob Kindheit oder Liebe,
Sehnsucht nach anderen Himmeln mich treibt,
und ich verberge mich in den verlorenen Dingen.

Salvatore Quasimodo (1930)
Übertragung: Gianni Selvani

••• Dieses Gedicht ist der Sammlung „Versunkene Oboe“ entnommen. Sie enthält Gedichte aus den Jahren 1930 bis 1932.

Von Quasimodo besass ich immer nur die sehr gute Zusammenstellung des Verlages Volk und Welt, den es leider nicht mehr gibt. Die dort zusammengestellten Übertragungen stammen vor allem von Gianni Selvani. Warum – fragte ich mich nach dem letzten Post zu Quasimodo – hast Du Dir nie weitere Bände von ihm besorgt?

Amazon ist – auch was gebrauchte Bücher angeht – eine Fundgrube. Ich habe nach Quasimodo/Selvani gesucht und bin prompt auf ein ganz besonderes Exemplar gestossen: die limitierte Sonderausgabe „Gesammelte Gedichte“, die 1959 anlässlich der Verleihung des Literatur-Nobelpreises exklusiv für den „Kreis der Nobelpreisfreunde“ herausgebracht wurde. Sie enthält neben der Laudatio (gehalten von Dr. Kjell Strömberg, ehemals Kulturattaché an der schwedischen Botschaft in Paris), der Verleihungsrede (von Anders Österling, ständiger Sekretär der schwedischen Akademie) auch einen Essay von Carlo Bo, damals Rektor an der Universität Urbino, zu Leben und Werk Quasimodos.

Die Gedichte stammen aus den bis dahin erschienenen Sammlungen Quasimodos und wurden für die deutsche Ausgabe dieses Sonderdrucks von Gianni Selvani übersetzt. Es soll nicht verschwiegen werden, dass Selvanis Quasimodo-Übersetzungen bei Piper erschienen, aber nicht mehr erhältlich sind.

Diese Sonderausgabe macht mir jetzt auch besondere Freude. Und neue, starke Gedichte gab es auch zu entdecken. Dies hier ist nur eines von vielen.

Das falsche und wahre Grün

Montag, den 18. Dezember 2006

Du wartest nicht mehr auf mich mit dem billigen
Herzen der Uhr. Gleich, ob du das Grau
öffnest oder hältst: es bleiben dornige,
kahle Stunden, mit dem plötzlichen
Schlagen von Blättern auf den Scheiben deines
Fensters, hoch über zwei Wolkenstraßen.
Mir bleibt die Trägheit eines Lächelns,
der dunkle Himmel eines Kleides, der rostfarbne
Samt um deine Haare geschlungen
und gelöst auf den Schultern, und dies dein Gesicht
in kaum bewegtes Wasser versunken.

Schläge rauhgelber Blätter,
wie Vögel von Ruß. Andere Blätter
bersten nun die Zweige und schnellen schon los,
ineinander verschlungen: das falsche und wahre Grün
des April, jenes entfesselte Grinsen
des sichern Erblühns. Und du blühst nicht,
treibst keine Tage, noch Träume, die aus unserem
Jenseits steigen. Hast nicht mehr deine kindlichen
Augen, hast nicht mehr zarte Hände,
mein Gesicht zu suchen, das mir entflieht?
Es bleibt die Scheu, Verse zu schreiben
ins Tagebuch oder einen Schrei auszustoßen
ins Leere oder in das unbegreifliche Herz, das
mit seiner abschüssigen Zeit noch kämpft.

Salvatore Quasimodo,
Übertragung: Gianni Selvani

••• Die Biographien von Cesare Pavese und Salvatore Quasimodo haben manches gemeinsam. An entgegengesetzen Enden ihres Landes geboren, waren beide aufs engste Landschaft und Menschen ihrer heimatlichen Regionen verbunden: Pavese Piemont, Quasimodo Sizilien.

Während Pavese, als Einaudi-Lektor dem Duce-Regime missliebig geworden, in Brancaleone in Verbannung sass, entstanden Quasimodos sogenannte Resistenza-Gedichte. Seine Verse gingen von Mund zu Mund. Sein berühmtester Dreizeiler fand sich sogar an den Wänden von Gefängniszellen:

Und schon ist es Abend

Ein jeder steht allein auf dem Herzen der Erde
getroffen von einem Sonnenstrahl:
und schon ist es Abend.

Beide machten sich einen Namen als Übersetzer von Werken der Weltliteratur ins Italienische, und beide nahmen schliesslich Lehraufträge als Literaturprofessoren an italienischen Hochschulen an.

Quasimodo allerdings vermochte seinem Leben eine glücklichere Wendung zu geben. Im Jahre 1959 erhielt der den Nobelpreis für Literatur und hinterliess eine Fülle immens starker Gedichte, als er 1968 in Neapel starb. Das zitierte Gedicht ist der Titeltext des 1959 erschienenen Bands „Il falso e vero verde“.