Umsonst

Dienstag, den 28. November 2006

Paul Celan: Umsonst
Video Art: Herry Dim
Musik: Peter Habermehl
Rezitation: Berthold Damshäuser

Umsonst malst du Herzen ans Fenster:
der Herzog der Stille
wirbt unten im Schloßhof Soldaten.
Sein Banner hißt er im Baum – ein Blatt, das ihm blaut, wenn es herbstet;
die Halme der Schwermut verteilt er im Heer und die Blumen der Zeit;
mit Vögeln im Haar geht er hin zu versenken die Schwerter.

Umsonst malst du Herzen ans Fenster: ein Gott ist unter den Scharen,
gehüllt in den Mantel, der einst von den Schultern dir sank auf der Treppe, zur Nachtzeit,
einst, als in Flammen das Schloß stand, als du sprachst wie die Menschen: Geliebte…
Er kennt nicht den Mantel und rief nicht den Stern an und folgt jenem Blatt, das vorausschwebt.
‚O Halm‘, vermeint er zu hören, ‚o Blume der Zeit‘.

Paul Celan, aus: „Mohn und Gedächtnis“ (1952)
in: „Gedichte I“
© 1993 Suhrkamp Verlag

••• Von Paul Celan wird hier noch viel zu berichten sein. Müsste ich einen Dichter nennen, dessen Klang und Empfinden ich mich am nähesten fühle, wäre es womöglich Paul Celan. Womöglich, sage ich, denn eine solche Entscheidung wäre nur sehr schwer zu treffen.

Neben den Gedichten hat mich auch seine Biographie nie losgelassen, sein Ankämpfen gegen die Dämonen der Erinnerung und der Schuldgefühle als Überlebender, sein Wiederaufstehen nach schweren Rückschlägen und Klinikaufenthalten und schliesslich den Plagiatsbeschuldigungen durch Claire Goll.

Paul Celan starb am 20. April 1970. Er ertrank in der Seine. Als ich geboren wurde, war er, der Wahlverwandte, gerade einen Monat nicht mehr in dieser Welt.