König sein im eignen Reiche

14. Dezember 2006

Wie soll ich’s halten künftig?
Mir einen mächtigen Patron entdecken
Und als gemeines Schlinggewächs dem Schaft,
An dem ich aufwärts will, die Rinde lecken?
Durch List empor mich ranken, nicht durch Kraft?
Nein, niemals! Oder soll ich, wie so viele,
Ein Loblied singen auf gefüllte Taschen,
Soll eines Hofmanns Lächeln mir erhaschen,
Indem ich seinen Narren spiele?
Nein, niemals! Oder soll ich Kröten schlucken,
Auf allen vieren kriechen, gleich dem Vieh,
Durch Rutschen wund mir scheuern meine Knie,
Kreuzschmerzen leiden durch beständ’ges Ducken?
Nein, niemals! Soll ich einem Schäfchen gleichen,
Um selbst mir eins ins Trockene zu bringen?
Soll Honig streun, um Zucker einzustreichen?
Und unermüdlich Weihrauchfässer schwingen?
Niemals! Soll ich als lust’ger Zeitvertreiber
Nach großem Ruhm in kleinem Kreise spähn,
Damit sich von den Seufzern alter Weiber
Des Dichterschiffleins schlaffe Segel blähn?
Niemals! Für meine Verse dem Verleger,
Der sie mir druckt, bezahlen runde Summen?
Niemals! In der Verbrüderung der Dummen
Gefeiert werden als der Bannerträger?
Ein einziges Sonett wie ein Hausierer
Vorzeigen, statt noch andre zu verfassen?
Niemand talentvoll nennen als die Schmierer?
Vor jedem Literatenklatsch erblassen
Und eifrig forschen: Werd ich anerkannt?
Hat der und jener lobend mich genannt?
Niemals! Stets rechnen, stets Besorgnis zeigen,
Lieber Besuche machen als Gedichte,
Bittschriften schreiben, Hintertreppen steigen?
Nein, niemals, niemals, niemals! – Doch im Lichte
Der Freiheit schwärmen, durch die Wälder laufen,
Mit fester Stimme, klarem Falkenblick,
Den Schlapphut übermütig im Genick,
Und je nach Laune reimen oder raufen!
Nur singen, wenn Gesang im Herzen wohnt,
Nicht achtend Geld und Ruhm, mit flottem Schwunge
Arbeiten an der Reise nach dem Mond
Und insgeheim sich sagen: Lieber Junge,
Freu dich an Blumen, Früchten, selbst an Blättern,
Die du von deinem eignen Beet gepflückt!
Wenn dann vielleicht bescheidner Sieg dir glückt,
Dann mußt du nicht ihn teilen mit den Vettern;
Dann darfst du König sein in deinem Reiche,
Statt zu schmarotzen, und dein Schicksal sei,
Wenn du der Buche nachstehst und der Eiche,
Nicht hoch zu wachsen, aber schlank und frei.

Edmond Rostand, aus: „Cyrano de Bergerac“ (1897)
Übersetzung: Ludwig Fulda
Phillip Reclam jun. Stuttgart 1997

Welch Credo für einen Dichter! – Die Entdeckung dieses poetischen Juwels verdanke ich der Filmindustrie. Die sehr textnahe Verfilmung des Stückes mit Gerard Depardieu in der Titelrolle ist unbedingt sehenswert. Das Stück selbst auch zu lesen, ist nicht weniger zu empfehlen. Man muss sein Handwerk schon so virtuos beherrschen wie Edmond Rostand, um in einem Versdrama durchgängig mit so federhafter Leichtigkeit zu Werke gehen zu können.

Die „Reise zum Mond“ bezieht sich übrigens auf den gleichnamigen satirisch-utopischen Roman, den der historische Cyrano de Bergerac um 1648 schrieb. Andere tatkräftige Träumer wie Jonathan Swift und die Gebrüder Montgolfier wurden durch dieses Buch beeinflusst.

Die neuen naturwissenschaftlichen, insbesondere astronomischen Erkenntnisse der Zeit hat Cyrano verarbeitet und an der Unzulänglichkeit der Menschennatur und am Zusammenleben der Menschen mit tiefem Pessimismus Kritik geübt. Bereits auf dem Monde trifft Cyrano auf eine utopische bessere Welt; die Vollendung, in der die Natur volle Beseelung erreicht und die Gebundenheit an die Materie überwunden wird, findet er im ewigen Lichte der Sonnenstaaten.

[Ralf Steyer, aus dem Nachwort zur o. g. Ausgabe]

Zu Lebzeiten hielt seine Bekanntheit sich in Grenzen. Bevor Rostand ihn mit seinem Stück unsterblich machte, waren seine Schriften fast vergessen. Ein Holzbalken hatte ihn auf der Gasse getroffen. Viele Monate siechte Cyrano im Bett, bevor er 1655 – mit gerade einmal 36 Jahren – als verarmter Edelmann starb.

Denn

13. Dezember 2006

Denn
ich hab dir
nichts versprochen
nur den Docht für die Lampe
und das Kännchen Öl
für gedämpftes Licht
auf dem Tisch
mit den Blutflecken

Den Teppich
kann ich nicht weben
mit diesen Fäden aus Draht

Sag nicht „Gute Nacht“
die Nacht ist nicht gut
die fremde vergeßliche Nacht

Rose Ausländer, aus: „Regenwörter. Gedichte“,
© Philipp Reclam jun. Stuttgart 1994

••• Ich habe Immanuel Weissglas erwähnt und Paul Celan. Zu den Czernowitzern gehört noch eine andere grosse Dichterin: Rose Ausländer. Sie verliess die Stadt mehrfach und kehrte mehrfach zurück. Zum ersten Mal führte ihr Weg sie 1916 nach Wien. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte sie zurück, um nach dem Tod ihres Vaters 1920 der Not gehorchend zu Verwandten in den kleinen Ort Winona im Mittelwesten der USA zu übersiedeln.

Den sanften Namen Winona
verdankst du der Legende vom schönen Indianermädchen
das sich vom Felsen stürzte
aus verschmähter Liebe

1931 kam sie nach einer gescheiterten Ehe erneut nach Czernowitz und überlebte – anders als 90% der 55.000 Juden ihrer Heimatstadt – die Shoah.

Wie Celan kämpfte auch sie mit den unbeantwortbaren Fragen der Überlebenden. Die Dichtung war ihr Überlebenselixier. Aus einem Werk von 2500 Gedichten hat Helmut Braun 1993 für Reclam eine Sammlung von 100 Gedichten zusammengestellt. Vielleicht hat sie nicht die poetische Kraft Celans. [Höre ich Aufschreie?] Statt Rafinesse im Umgang mit der Form gibt sie einem klaren, nüchternen Ausdruck den Vorzug.

Viele ihrer Gedichte erreichen mich nicht. Das will ich gar nicht leugnen. Aber allein in diesem Reclam-Bändchen steckt ein ganzes Bündel von Lesezeichen: Wegweiser zu Gedichten, zu denen man zurückkehrt, wieder und wieder.

Erklär mir, Liebe

12. Dezember 2006

Dein Hut lüftet sich leis; grüßt, schwebt im Wind,
dein unbedeckter Kopf hat’s Wolken angetan,
dein Herz hat anderswo zu tun,
dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein,
das Zittergras im Land nimmt überhand,
Sternblumen bläst der Sommer an und aus,
von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,
du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,
was soll dir noch geschehen –

Erklär mir, Liebe!

Der Pfau, in feierlichem Staunen, schlägt sein Rad,
die Taube stellt den Federkragen hoch,
vom Gurren überfüllt, dehnt sich die Luft,
der Entrich schreit, vom wilden Honig nimmt
das ganze Land, auch im gesetzten Park
hat jedes Beet ein goldner Staub umsäumt.

Der Fisch errötet, überholt den Schwarm
und stürzt durch Grotten ins Korallenbett.
Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion.
Der Käfer riecht die Herrlichste von weit;
hätt ich nur seinen Sinn, ich fühlte auch,
daß Flügel unter ihrem Panzer schimmern,
und nähm den Weg zum fernen Erdbeerstrauch!

Erklär mir, Liebe!

Wasser weiß zu reden,
die Welle nimmt die Welle an der Hand,
im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.
So arglos tritt die Schnecke aus dem Haus!

Ein Stein weiß einen andern zu erweichen!

Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann:
sollt ich die kurze schauerliche Zeit
nur mit Gedanken Umgang haben und allein
nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?
Muß einer denken? Wird er nicht vermißt?

Du sagst: es zählt ein andrer Geist auf ihn…
Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander
durch jedes Feuer gehen.
Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.

Ingeborg Bachmann (1926-1973)

••• Wenn wir bei Liebeslyrik sind, darf dieses Gedicht nicht fehlen. Das Wort Salamander ist für mich ganz durch dieses Gedicht geprägt. Und wo immer ich es verwende, schwingt Bachmanns Salamander aus „Erklär mir, Liebe“ mit.

Für Freunde des Werks von Ingeborg Bachmann sei an dieser Stelle auf eine beeindruckende Online-Kompilation ihres Werks hingewiesen. Das von Ricarda Berg gestaltete Ingeborg Bachmann Forum zu durchstöbern, erfordert Zeit! Soll keiner sagen, ich hätte nicht gewarnt.

Einst griffst du meinen Namen

11. Dezember 2006

Einst griffst du meinen Namen
Auf deiner Feuerharfe
Wo wir auch hintraten
Wuchs vierblättriger Klee

Wir schwiegen wie zwei Gärten zur Nacht
Vorm Flüstern der Quellen unsrer Herzen
Es gab nur Festtage in deinen Blicken
Unsre Hände waren voller Gebete

Die Vögel sangen nichts als Hymnen
So sehr liebten wir uns
Heute wein ich allein
Die heimatlosen Tiere

Schlafen im Sägmehl meiner Haare
Der Spiegel des Sees zersprang
Deine tausend nährenden Lächeln
Liegen auf seinem Grund

Umsonst such ich dich:
Du bist abgereist
Nach dem sechsten Kontinent
Und nahmst unsre Sonntage mit

Claire Goll (1901-1977)
aus: Poemes de la Vie et de la Mort (1927)

••• Irena Stasch hat sich die Mühe gemacht, eine Online-Anthologie deutschsprachiger Liebeslyrik zusammenzustellen. Derzeit umfasst die Sammlung über 3500 Gedichte von 124 Dichtern und Dichterinnen deutscher Sprache. Wenngleich auf deutsche Werke ausgerichtet, finden sich in Irina Staschs Online-Sammlung inzwischen auch Übersetzungen, etwa des „Hohelieds“. Liebeslyrik aus anderen Kulturkreisen und Sprachen stellt Frau Stasch in ihrem Online-Monatsmagazin „Das Liebes – Poetische – Manuskript“ vor.

Und was finde ich da auf den Deutsche-Dichterinnen-Seiten? Ein Gedicht von Claire Goll. Ein Büchlein mit Texten von Claire und Yvan Goll habe ich einmal in der Berliner S-Bahn verloren. Das Gedicht habe ich nicht vergessen.

Gebet

10. Dezember 2006

Ich brauche endlich wieder eine Liebe.
Sie muß nicht glücklich sein,
sie muß nur machen,
daß ich noch einmal
an den Ort gelange,
an dem die Hoffnungen gegeben werden.
Doch dorthin kommt nicht einer ohne Liebe.
Und wäre sie auch nur
von kurzer Dauer.
Und würde sie mich auch
in Stücke reißen.
Ach, träfe mich noch einmal
eine Liebe.
Nur nicht tagtäglich
dieses kleine Sterben.

Heinz Kahlau (geb. 1931)
aus: „Du. Liebesgedichte.“, Aufbau Verlag

••• Wenn von Liebesgedichten die Rede ist, muss ich Heinz Kahlau erwähnen. Meinen ersten Gedichtband überhaupt bekam ich von meiner Mutter geschenkt. Ich war damals elf. Sie hatte eine sehr gute Wahl getroffen. Heinz Kahlaus Band „Du. Liebesgedichte“ hat viele Auflagen erlebt und ist noch immer in einer schönen Ausgabe bei Aufbau erhältlich.

Kahlaus Gedichte sind mit den bisher hier zitierten Stücken schwer zu vergleichen. Kahlau ist nüchtern, er ist nicht der Dichter der grossen Bilder, der dichten Empfindungsschilderungen. Doch zumeist treffen seine Gedichte ein „Elementarteilchen“ des menschlichen Gefühls. Und das ist schliesslich auch eine wesentliche Zutat wirklicher Dichtung.

Gesang von einer Geliebten

9. Dezember 2006

(7. Psalm)

  1. Ich weiß es, Geliebte: jetzt fallen mir die Haare aus vom wüsten Leben, und ich muß auf den Steinen liegen. Ihr seht mich trinken den billigsten Schnaps, und ich gehe bloß im Wind.
  2. Aber es gab eine Zeit, Geliebte, wo ich rein war.
  3. Ich hatte eine Frau, die war stärker als ich, wie das Gras stärker ist als der Stier: es richtet sich wieder auf.
  4. Sie sah, daß ich böse war, und liebte mich.
  5. Sie fragte nicht, wohin der Weg ging, der ihr Weg war, und vielleicht ging er hinunter. Als sie mir ihren Leib gab, sagte sie: Das ist alles. Und es wurde mein Leib.
  6. Jetzt ist sie nirgends mehr, sie verschwand wie die Wolke, wenn es geregnet hat, ich ließ sie, und sie fiel abwärts, denn dies war ihr Weg.
  7. Aber nachts, zuweilen, wenn ihr mich trinken seht, sehe ich ihr Gesicht, bleich im Wind, stark und mir zugewandt, und ich verbeuge mich in den Wind.

Bertolt Brecht (1920)

••• Brechts Psalmen – entstanden zu Beginn der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts – waren für mich eine grosse Inspiration. Sind es wirklich Gedichte? Handelt es sich eher um lyrische Prosa? Diese Grenzberührng faszinierte mich, und ich nahm die Idee in vielen Versuchen auf. So entstanden im Frühjahr/Sommer 1989 mehrere „Psalmen“ unter dem Titel „Psalmen an den Dämon“.

Letzter Psalm

Uns ekelt Der eigene körper Im verfall Ekelt uns an unser Wort das Lügt kunst Zu gefallen Hilflos sind wir in unserer allmacht Längst sind die wälder gerodet Begradigt die flüsse Die götter verworfen als saboteure Des fortschritts unnützer trost

Dennoch haben wir städte Gebaut Moderne tempel des baal ziehen uns an Und heimlich beten wir zu ihm Reisst uns der scharfe wind der weht das schiere fleisch von den schlotternden knochen In unserem hunger Höhnt der greise prophet Uns geht es gut

Immer ist fern das ziel Wenn ich suche Mein freund Ruht im Verschwiegnen Gefallen von deinen lippen Wie herbstlaub welk jeder traum Am ende sind wir Noch nicht ganz in mantel und hut Das verbrechen Zieht ein Die verwesung besiegt das vormals ewige

In jenen letzten Monaten der DDR war der Druck unerträglich. Das Vertraute, mit dem sich nicht mehr leben liess, musste sterben. Vor der Zeit des Aufbruchs durchlebten vieler meiner Freunde – wir waren damals zwischen 17 und 20 – eine Zeit heftiger Depression. Denn es war ganz und gar unklar, wie alles ausgehen würde. Schliesslich hätten auch Panzer durch Ost-Berlin fahren können und der Staat seinen Tod noch einmal hinausschieben…

An M.

8. Dezember 2006

In jener Nacht, wo du nicht kamst
Schlief ich nicht ein, sondern ging oftmals vor die Türe
Und es regnete, und ich ging wieder hinein.

Damals wußte ich es nicht: Aber jetzt weiß ich es:
In jener Nacht war es schon wie in jenen späteren Nächten
Wo du nie mehr kamst, und ich schlief nicht
Und wartete schon fast nicht mehr
Aber oft ging ich vor die Tür
Weil es dort regnete und kühl war.

Aber nach jenen Nächten und auch in späteren Jahren noch
Hörte ich, wenn der Regen tropfte, deine Schritte
Vor der Tür und im Wind deine Stimme
Und dein Weinen an der kalten Ecke, denn
Du konntest nicht herein.

Darum stand ich oft auf in der Nacht und
Ging vor die Tür und machte sie auf und
Ließ herein, wer da keine Heimat hatte.
Und es kamen Bettler und Huren, Gelichter
Und allerlei Volk.

Jetzt sind viele Jahre vergangen, und wenn auch
Noch Regen tropft und Wind geht
Wenn du jetzt kämest in der Nacht, ich weiß
Ich kennte dich nicht mehr, deine Stimme nicht
Und nicht dein Gesicht, denn es ist anders geworden.
Aber immer noch höre ich Schritte im Wind
Und Weinen im Regen und daß jemand
Herein will.

(Obgleich du doch damals nicht kamst, Geliebte, und ich
(Obgleich du doch damals nicht kamstwar es, der wartete -!)
Und ich will hinausgehen vor die Tür
Und aufmachen und sehen, ob niemand gekommen ist.
Aber ich stehe nicht auf und gehe nicht hinaus und sehe nicht
Und es kommt auch niemand. 

Bertolt Brecht (1922)