Archiv der Kategorie 'Ausser der Reihe'

Akzente

Samstag, den 6. Januar 2007

••• Im Dezember habe ich mit Zuneigung von „Sinn und Form“ als altehrwürdiger Freundin berichtet. Nicht weniger ehrwürdig ist eine weitere Literaturzeitschrift, die seit nun schon 53 Jahren vom Hanser Verlag herausgegeben wird: „Akzente“.

Interessenten können ein Kennenlernexemplar kostenfrei online bestellen. Eine Übersicht über die bisherigen Ausgaben, die zum Teil bestellbar sind, findet sich hier. Wer wirklich an Lyrik interessiert ist, wird um ein Abonnement nicht herumkommen.

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5 things

Montag, den 1. Januar 2007

… you didn’t know about me.

Da Turmsegler ein Weblog ist, nehme ich gern den Ball auf, den mein lieber Freund Jens-Christian Fischer mir via Blogosphäre zugeworfen hat. Fünf Dinge soll ich erzählen, die man über mich nicht weiss. Also hole ich mal tief Luft und denke nicht lange nach…

  1. Ich habe nur angefangen zu schreiben, um Mädchen zu beeindrucken. Mit neun, aber die Motivation hat länger angehalten.
  2. Ich war mit 12 schon annähernd so gross wie heute (1.84m). Wie in der DDR üblich, kamen gelegentlich die Talente-Scouts der Berliner Rudervereine in unsere Schule, um nach Leistungssportnachwuchs zu fahnden. Sie wollten mich aber nicht, weil ich einen angeborenen Sehfehler habe und auf dem rechten Auge nahezu nichts sehe. Darüber war ich so verletzt, dass ich auf eigene Faust zu einem anderen Verein gegangen bin. Ich war dann 3x in Folge Jugend-DDR-Meister im Ruder-Einer.
  3. Mit 17 war ich so naiv, dass mir sowas passieren konnte.
  4. Mit 25 habe ich Witze über die jüdische Orthodoxie gemacht: Die haben alle einen Vogel. Jetzt hab ich selber einen.
  5. Drei Monate nach der Geburt meiner Tochter Aaliyah war meine Frau wieder schwanger. Ich hatte wirkliche Angst, ich könnte kein weiteres Kind so lieben wie meine Tochter. Bullshit! (Mach Dir keine Sorgen, David.)

Ich gebe weiter an: RebelThe HedyotRenegade RebbetzinFrummer

Aschenzeit

Samstag, den 30. Dezember 2006

Friedrich Hölderlin••• Meine Frau hat Wort gehalten. Unter den Überraschungen zu Chanukkah fand sich auch der vom Rimbaud-Verlag besorgte Band „Aschenzeit“ mit einem Querschnitt durch das poetische Werk von Immanuel Weissglas. [Der Verlag hält sich an die deutsche Schreibung mit ß.]

So sehr ich mich über das Buch auch gefreut habe, die Gedichte selbst sind leider eine Enttäuschung. Überall scheint er allzusehr Gefangener der von ihm gewählten Formen zu sein. In dem hier zuvor zitierten Gedicht „ER“ ist das ebenfalls spürbar. Doch er ist in diesem Gedicht in seinen Bildern noch am originellsten. Warum ausgerechnet dieses Gedicht nicht in die Sammlung aufgenommen wurde, ist mir ein Rätsel.

Unbedingt lesenswert ist das Nachwort „Eine leise Stimme“ von Leo Buck.

Diejenigen, die mit ihm [Weißglas] zu tun hatten, betonen übereinstimmend das unauffällige, zurückhaltende und bescheidene Auftreten dieses Mannes. Die Zurückgezogenheit gehörte offenbar zu seinem Lebensprogramm. Insofern kann es nicht wundernehmen, daß Weißglas seine Hauptleistung, die Versübertragung beider Teile der „Faust“-Dichtung Goethes [ins Rumänische], unter einem Pseudonym veröffentlichte. Ebenso tief bezeichnend sind kritische Vorbehalte und lebenslanges Zögern gegenüber der eigenen literarischen Arbeit. Das Frühwerk verwarf er gänzlich. Vielsagend schrieb er hierzu am 14. März 1974 (seinem 54. Geburtstag): „Das Wortwrack meiner Frühzeit möge ungeborgen bleiben“. Selbst den Weggang aus dem Leben hat Weißglas getreu seiner Maxime eines Daseins „in der weisen Einsiedelei“, konsequent vorbedacht. Während seiner langen Krankheit – er starb an einem Gehirntumor- verfügte er seine Einäscherung ohne jede Zeremonie sowie eine Form der Bestattung, die keine Spuren hinterläßt. Seine Asche wurde ins Schwarze Meer gestreut.

Seine Entscheidung, in Rumänien zu bleiben, als Paul Celan 1947 das Land verliess, spricht ebenfalls Bände. Der Celansche Anspruch „Und setze dich frei“ hatte offenbar für Weissglas keine Geltung. Dem Thema der frühen Freundschaft, die mit dem Weggang Celans endete, der Frage von Nähe und Distanz zwischen beiden widmet sich das Nachwort ebenfalls ausführlich.

Nein, poetische Entdeckungen gab es für mich in diesem Buch nicht. Aber immerhin verdanke ich dem Rimbaud-Band nun doch die Bekanntschaft mit einer ungewöhnlichen Biographie.

1000 Seiten cummings

Montag, den 4. Dezember 2006

••• Zu den minderen Merkwürdigkeiten der DDR zählten Bibliotheken, zu denen der Zutritt gestattet war, in denen man jedoch den grössten Teil der im Katalog geführten Bücher nicht ausleihen durfte. Dazu kamen dann noch Bibliotheken, in denen man alle geführten Bücher hätte ausleihen können, zu denen jedoch der Zutritt nicht gestattet war.

Zur ersten Kategorie gehörte die Berliner Stadtbibliothek: Bücher, die im nicht-sozialistischen Ausland erschienen waren, konnte man ohne spezielle Genehmigung nicht ausleihen.

Zur zweiten Kategorie gehörte die Bibliothek der amerikanischen Botschaft in Ost-Berlin. Dort war man bereit, alle Bücher zu verleihen. Die Botschaft zu betreten war jedoch weniger ratsam.

Für ein ganz bestimmtes Buch habe ich mich damals entschlossen, die Verbote und Tabus zu missachten.

Zum ersten Mal gehört habe ich den Namen cummings in einem Film. Woody Allens „Hannah und ihre Schwestern“ lief im Fernsehen. Zwei der Protagonisten – ich glaube es waren Elliott und Lee – treffen sich da in einer Buchhandlung. Elliott nimmt einen grossen Wälzer aus dem Regal, die Ausgabe der „Complete Poems 1904-1962“ und zitiert aus „somewhere i have never travelled“:

nobody,not even the rain,has such small hands

Ich erinnere mich noch gut an den Untertitel der Szene:

niemand,auch nicht der regen,hat kleinere hände als du

Ich musste diese – zumindest vermutete – Schatztruhe amerikanischer Lyrik unbedingt selbst in die Hände bekommen. Und aus irgendeinem Grund hatte ich mir in den Kopf gesetzt, dass es genau diese Ausgabe sein müsste.

Nachdem Antiquariate und Bibliotheken mit der Ausgabe nicht dienen konnten und in der Stadtbibliothek kein Weg zur Ausleihe eines amerikanischen Lyrikbandes führte, war ich recht verzweifelt. Ich weiss nicht mehr, welcher Witzbold mir damals geraten hat, es doch in der Bibliothek der amerikanischen Botschaft zu versuchen. Ernst war der Rat wohl nicht gemeint. Aber ich zögerte nicht.

Das Getriebeöl von Diktaturen ist die Angst der Bürger. Ich war gewiss nicht besonders mutig, eher naiv; und ich hatte ein Ziel. Ich wollte dieses Buch. So bin ich 1987 in die amerikanische Botschaft geschlendert, als wäre es nichts. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich eine Sicherheitsschleuse mit Metalldetektor passiert. Der Sicherheitsbeamte am Eingang wies mir freundlich den Weg zur Bibliothek. Erst die Bibliothekarin machte mir klar, dass ich bis zu ihr gar nicht hätte vordringen dürfen und dass ich besser nicht zu lange bliebe. Den Band – ja – den hatte sie da und hievte ihn für mich aus dem Regal.

Da stand ich nun, tausend Seiten cummings in meinen Händen und nur wenige Minuten, um darin zu lesen. Dass ich noch einmal zurückkehren könnte, um das ausgeliehene Buch zurückzubringen, daran mochte die Bibliothekarin nicht glauben. So musste ich die vielen Gedichte, die doch entdeckt werden wollten, zunächst zurücklassen.

Ganz so unbehelligt, wie ich in die Botschaft hineingekommen war, kam ich nicht wieder hinaus. Eine Strassenecke weiter wollte ein Polizist dann doch meine Personalien aufnehmen und wissen, was ich in der Botschaft zu schaffen hatte. Ich wollte ein Buch ausleihen. Aha, na was denn auch sonst…

Zu den eher grösseren Merkwürdigkeiten der DDR zählte, dass man – wie ich meinen Stasi-Unterlagen entnehmen durfte – durch geringsten Kontakt mit einem US-Bürger verdächtig werden konnte, ein Agent des Klassenfeindes „auf der amerikanischen Linie“ zu sein. Da passt es natürlich ins Bild, dass man die amerikanische Botschaft aufsucht, um „ein Buch auszuleihen“, das man dann nicht einmal vorweisen kann.

Folgen hatte das Ganze nicht. Bestellt habe ich das Buch schliesslich 1993 über eine auf amerikanische Literatur spezialisierte Buchhandlung in Berlin. Mehrere Wochen musste ich warten, bis der Band aus Amerika eintraf. Das ist nun eines der Bücher, die ich an niemanden verleihe. Don’t even try it!

Erinnern und Entdecken

Samstag, den 25. November 2006

Bevor ich aufgehört habe zu schreiben, habe ich aufgehört zu lesen. Wer nicht sprechen mag, hat keinen Verlust durch Schweigen. Nicht mehr zu lesen aber – zumindest was Dichtung betrifft – ist ein Verlust. Ich möchte wieder beginnen, den Kontakt wieder aufnehmen.

Leicht ist das nicht.

Schriftsteller sind keine Künstler. Alphabetisiert sind wir schliesslich alle.

So liess sich Katja Lange-Müller – Autorin des Romans „Kaspar Mauser, Die Feigheit vorm Freund“ vor vielen Jahren in einer Talkshow vernehmen. Ihre Ansicht ist verbreitet und mag dazu beitragen, dass auf kaum einem künstlerischen Gebiet so viel und so schamlos dilettiert wird wie in der Lyrik.

Zwei Bücher haben meinen Zugang zur Dichtung als Jugendlicher geprägt. Das erste stammt von einem Dichter, enthält von ihm selbst jedoch nur ein Vorwort: „Meine liebsten Gedichte. Eine Auswahl deutscher Lyrik von Martin Luther bis Christoph Meckel (1987), zusammengestellt von Johannes Bobrowski. Eine Lehrerin schenkte es mir.

Das zweite kam mir erst später in die Hände, in einer antiquarischen englischen Originalausgabe: „The ABC of Reading“ (1934) von Ezra Pound. (Der Arche Verlag bringt dieser Tage eine neue deutsche Ausgabe unter dem Titel „ABC des Lesens“ heraus.)

The ABC of Reading

This important work, first published in 1937, is a concise and direct statement of Pound’s aesthetic theory. As the title indicates, it is a primer for the reader who wants to maintain and cultivate an active, critical mind, to become increasingly sensitive to the beauty and inspiration of the world’s best literature.

Bei Pound lernt man schnell, dass Schreiben allgemein und allzumal Dichtung ganz ohne Zweifel eine Kunst ist. Mit allen anderen Künsten hat die Dichtung gemein, dass sie erst beginnt, wo die handwerkliche Meisterschaft so selbstverständlich geworden ist, dass sie für den Künstler zugunsten dessen, was es auszudrücken gilt, in den Hintergrund treten kann.

Ich möchte wieder beginnen zu lesen, den Kontakt zur Dichtung wieder aufnehmen. Erinnern möchte ich mich und entdecken. Erinnern an die vielen Gedichte, die mich über die Jahre begleitet haben.

In Anlehnung an Bobrowskis Anthologie will ich die Texte nach und nach online zusammenstellen. Jeder Artikel in diesem Blog soll ganz einem Stück Dichtung gehören – sei es ein Gedicht oder ein Prosaauszug. Wo es sich ergibt, werde ich über meine persönliche Verbindung mit dem jeweiligen Text berichten. Und dazu lade ich auch die anderen Leser, die hoffentlich den Weg auf diese Seiten finden werden, herzlich ein. So wird es sicher auch neue Entdeckungen geben.

Der Titel dieses Weblogs – Turmsegler – ist geliehen von René Char. Mit seinem gleichnamigen Gedicht soll das Blog denn auch starten. Im übrigen wird die Reihenfolge nur dem vielleicht nicht ganz immer ungelenkten Zufall des Erinnerns und Entdeckens folgen.