Bei Koeppen in Greifswald

Donnerstag, den 16. Dezember 2010

Im Koeppen-Archiv Greifswald: An die 10.000 Bände umfasste Koeppens private Bibliothek
An die 10.000 Bände umfasste Koeppens private Bibliothek. In den speziellen Kartons lagern Originale von Postkarten und Briefen. Die meisten Originale sind jedoch aus Sicherheitsgründen an einem anderen Ort untergebracht und im Archiv selbst lediglich Kopien einzusehen.

••• Als Koeppen-Fan habe ich mich hier ja schon ausgiebig geoutet. Dass ich die Einladung nach Greifswald ins Koeppen-Haus (mit angegliedertem Archiv) gar nicht ausschlagen konnte, ist also klar. Heute bin ich gegen Mittag im völlig zugeschneiten Greifswald eingetroffen, und Anett Hauswald vom Koeppen-Haus hat mich denn auch gleich vom Hotel abgeholt und ins Koeppen-Haus begleitet.

Katharina Krüger, die das dort untergebrachte Archiv betreut, hat mich durch die Regalreihen geführt. Das Archiv beherbegt Koeppens nachgelassene private Bibliothek. Das besondere daran ist, dass die Bücher in der Reihung katologisiert und ins Regal gestellt wurden, wie sie auch bei Koeppen standen. Das allein ist hoch interessant. So hatte Koeppen beispielsweise Regale mit den kompletten Reihen der Bibliothek Suhrkamp und der Regenbogenreihe der Suhrkamp-Taschenbücher. Einige Bücher aus diesen Reihen finden sich aber nicht in diesen Regalen, sondern waren über andere Regale in der Wohnung verstreut, meist in besserer Reichweite. Darunter habe ich diverse Titel entdeckt, die mich auch brennend interessieren. Aufgeschrieben habe ich mir zum Beispiel den Band mit Liebesbriefen von Majakowski an Lilja Brik. Muss ich besorgen. Nicht bei Suhrkamp sondern in einem Hamburger Verlag bereits 1925 erschienen ist ein (offenbar mehrfach gelesener) Band mit frühen Erzählungen Klaus Manns. Ich habe hineingelesen und war überrascht, wieviel Papa Mann in dieser frühen Prosa noch durchblitzte, was man von den späteren Romanen ja nun wirklich nicht sagen kann. Auch spannend.


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Das Leben gefiltert

Mittwoch, den 20. Januar 2010

Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras (Suhrkamp)

Mitternacht schlägt es vom Turm. Es endet der Tag. Ein Kalenderblatt fällt. Man schreibt ein neues Datum. Die Redakteure gähnen. Die Druckformen der Morgenblätter werden geschlossen. Was am Tage geschehen, geredet, gelogen, erschlagen und vernichtet war, lag in Blei gegossen wie ein flacher Kuchen auf den Blechen der Metteure. Der Kuchen war außen hart, und innen war er glitschig. Die Zeit hatte den Kuchen gebacken. Die Zeitungsleute hatten das Unheil umbrochen, Unglück, Not und Verbrechen; sie hatten Geschrei und Lügen in die Spalten gepreßt. Die Schlagzeilen standen, die Ratlosigkeit der Staatenlenker, die Bestürzung der Gelehrten, die Angst der Menschheit, die Glaubenslosigkeit der Theologen, die Berichte von den Taten der Verzweifelten waren vervielfältigungsbereit, sie wurden in das Bad der Druckerschwärze getaucht. Die Rotationsmaschinen liefen. Ihre Walzen preßten auf das Band des weißen Papiers die Parolen des neuen Tages […]

Wolfgang Koeppen
»Tauben im Gras / Das Treibhaus / Der Tod in Rom«
Bibliothek Suhrkamp 926, S. 220

••• Einmal mehr stehe ich in geradezu ehrfürchtiger Bewunderung vor Wolfgang Koeppens Prosa. Vor Monaten habe ich mir den 600 Seiten starken Band 926 der Bibliothek Suhrkamp bestellt, der die Romane von Koeppens Nachkriegstrilogie (»Trilogie des Scheiterns«) enthält. Seither lese ich »Tauben im Gras« – in homöopatisch zu nennenden täglichen Dosen wie seinerzeit schon »Jugend«. Heute morgen kam ich zur oben zitierten letzten Seite …


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Roman essen Seele auf

Freitag, den 25. September 2009

Wolfgang Koeppen: Ich?

Der Roman lebt von der Seele des Schreibers. Manchmal (ist es) die verkleidete Seele, aber die Seele schon. Stil ist der Autor.

Wolfgang Koeppen, in:
»Wolfgang Koeppen: Ich?«

••• Der Roman lebt davon. Manchmal zehrt er sie auf. Wächst Seele nach?

Ungeschehene Empfängnis

Montag, den 21. September 2009

Wolfgang Koeppen - Foto: © Stefan Moses
Wolfgang Koeppen – Foto: © Stefan Moses

••• Jetzt sind die bestellten Koeppen-Bücher da, und ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll. Vielmehr: Ich habe ja begonnen – und zwar mit »Tauben im Gras« – aber am Freitag kam auch der Briefwechsel, den Koeppen über 36 Jahre mit seiner Frau Marion führte, und gleich habe ich mich auch dort festgelesen, dem Marketing-Wiesel des Verlags auf den Leim gegangen. Denn was steht da im Klappentext? Man hätte über Jahre angenommen, das Zusammensein mit der um so viel jüngeren und schwer mit Alkoholproblemen beladenen Frau sei verantwortlich gewesen für Koeppens jahrzehntelanges Schweigen; doch legten die Briefe, Telegramme und eilig hingeworfenen Zettelbotschaften nun etwas anderes nahe. Ach ja? Und schon ist das Buch aufgeschlagen und man liest sich hinein in die fremden intimen Botschaften, als stöbere man in einem Gossip-Blatt.


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Jugend

Samstag, den 12. September 2009

Wolfgang Koeppen (1991), Foto: Joseph Gallus Rittenberg
Wolfgang Koeppen (1991), Foto: Joseph Gallus Rittenberg

••• Letztens sprach ich mit Dina, die hier in München das jüdische Altenheim leitet, in der Synagoge über Wolfgang Koeppen. »Den haben wir alle sehr gemocht«, sagte sie. Wie wir auf ihn zu sprechen gekommen sind, weiß ich nicht mehr. Aber ich erfuhr einige wohl weniger bekannte Geschichten aus seinen letzten Jahren. Sein Verleger Unseld hatte für den hochbetagten Schriftsteller, als er sich nicht mehr allein zu Hause behelfen konnte, mit verschiedenen Altenheimen in München verhandelt, den mittellosen Autor ohne Krankenversicherung aufzunehmen. Das jüdische Altenheim erklärte sich bereit, obgleich Unseld nicht die vollen Kosten tragen konnte. Der Verleger hoffte noch immer auf den lange erwarteten »großen Roman«; und so bekam Koeppen ein Appartement mit zwei Zimmern und einer kleinen Terrasse und dazu eine Sekretärin. Sie soll nicht sehr helle gewesen sein, was wohl eine Voraussetzung dafür war, tagelang mit gezücktem Block neben Koeppen auszuharren, dem zunehmend Altersdemenz zusetzte und der weit davon entfernt war, noch ein großes Werk zu diktieren, wie Unseld hoffte.

– Wo bin ich denn?
– Im jüdischen Altersheim, Herr Koeppen.
– Soso… Aber ich esse keine Zwiiiiiebeln!


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