So auch mit mir

Donnerstag, den 5. Juli 2007

Seeflotten – auch sie streben heim zum Pier.
Der Eisenbahnzug eilt dem Bahnhof entgegen.
Nun, um so mehr zieht es mich zu dir
(ich liebe ja!) -.
du mein Magnet und mein Segen.
Bei Puschkin: der geizige Ritter –
steigt die Kellertreppe hernieder,
um drunten lüstern im Golde zu wühlen.
So kehr auch ich, Freundin,
zu dir immer wieder.
Gern mustre ichs wie ein Zuhause:
dies Herz – es ist mein.
Ihr kehrt fröhlich heim,
gönnt euch eine Pause.
Schmutz schabt ihr vom Leibe,
rasiert und wascht euch tagein – tagaus.
So kehr auch ich
geläutert zu dir wieder, –
und bin ich, zu dir gehend,
nicht auf dem Heimweg, nach Haus?!
Die Irdischen empfängt der Erdenschoß,
wir kehren zurück zum zielhaften End.
So kehr auch ich
zu dir heim, du mein Los,
unausweichlich, wir haben uns kaum getrennt,
kaum ließen die Augen einander los.

Wladimir Majakowski (1922)

••• Schändlich! Da schreibe ich über Katajew und Majakowski; und kein einziges Gedicht bringe ich hinterdrein. Das lag zunächst daran, dass seine Verstreppen im Web nahezu unsetzbar sind. Aber es gibt, zumal aus den 1920er Jahren, ja auch Gedichte von ihm, in denen er die Verse noch weniger raumgreifend gestaltet. (Die Legende behauptet ja, dieser ausgreifende Stil wäre finanziell motiviert gewesen. So passten auf den gleichen Platz – einer Zeitungsseite etwa – weniger Gedichte, und es wurde nach Seiten bezahlt…)

Seeflotten – auch sie streben heim zum Pier.

Ein wenig fühlte ich mich an „Die Anker lichten“ erinnert…

Ignaz

Freitag, den 1. Juni 2007

Nach Iswaly mußte er im Waggon eines Güterzuges fahren, zusammen mit Schweinen, die auf ihren dicken, fetten Hintern saßen und grunzten. Die Schweine wurden als Zuchttiere zu einem reichen Gutsbesitzer geschickt; ein Gärtner des Gutsherrn begleitete den Transport. Es war ein sauberer, stiller Mann, der früher im Haus bedienstet gewesen war. Außer ihm, Ignaz und den Schweinen reiste noch ein Jude in dem Güterwagen, ein Mann mit großem Kopf, krausem, ergrautem Haar und Bart, mit einer Brille, einen steifen Hut auf dem Kopf; sein fußlanger Mantel war an manchen Stellen noch dunkelblau, aber an vielen Stellen bereits abgeschabt und hellblau; die Taschen saßen ganz tief. Er schwieg die ganze Zeit, war nachdenklich, ernst, trank Tee und summte irgendeine Melodie. Der Gärtner schlummerte. Die Schweine saßen in dem Holzverschlag, mit grauen Wolldecken zugedeckt, auf denen gestickte Initialen und Kronen prangten. Es dämmerte, der Wind trug Schnee durch die offene Tür herein und zerrte an dem feuchten Stroh unter den Schweinen. Die Felder schimmerten in trübem Weiß, die dunklen Sträucher fingen den Rauch aus der Lokomotive auf. Ignaz wurde von einer tiefen, unerklärlichen Schwermut gequält. Mit gerunzelten Brauen, die Zähne fest zusammengebissen, stand er an der Tür, knackte Sonnenblumensamen und schielte zu dem Juden hinüber. Der Jude saß auf einer umgestürzten Kiste und hielt in seiner großen, mit violetten Adern bedeckten Hand eine Tasse Tee. Die Schalen der Sonneblumenkerne flogen mit dem Wind, eine Schale fiel in die Teetasse. Der Jude blickte lange und erregt durch seine Brille auf Ignaz. Ignaz wartete ab, was der Jude sagen würde, um ihm bei seinen ersten Worten mit dem Stiefel in die Brust zu stoßen. Aber der Jude sagte nichts: er erhob sich nur und goß den Tee absichtlich ganz dicht neben Ignaz‘ Füßen aus, neben seinen breiten, flachen Militärstiefel.

Ivan Bunin, aus der Erzählung „Ignaz“

••• Eine Probe der Buninschen Prosa wollte ich nach dem vorletzten Beitrag doch nicht schuldig bleiben.


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Azrael

Mittwoch, den 30. Mai 2007

Michail Alexandrowitsch Wrubel: Sechsflügeliger Seraph

Michail Alexandrowitsch Wrubel: Sechsflügeliger Seraph

••• Gekauft habe ich Katajews „Gras der Vergessens“ ursprünglich aus nur einem Grund: Der Klappentext versprach, dies sei der Roman eines ungeschriebenen Romans über den Todesengel Azrael. Ich schrieb damals an meinem ersten Romanmanuskript „Der Libellenflügel“. Und Azrael war die selten sichtbare, doch immer anwesende Hauptfigur dieses Textes. Ich kaufte und las alles, was mir zu Azrael unter die Finger kam.


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Majakowskis Gehirn

Dienstag, den 29. Mai 2007

„Wartet mal“, sagte da Olescha. „Das ist noch gar nichts. Das Unheimlichste, Unfaßbarste bei aller Stofflichkeit habe ich gestern in der Gendrikow-Gasse gesehen, Majakowskis Gehirn. Ich sah es. Oder doch beinah. Jedenfalls wurde Majakowskis Gehirn an mir vorbeigetragen.“Und Olescha erzählte in wirrer Folge, was er später in seinem Buch „Kein Tag ohne eine Zeile“ mit einzigartiger künstlerischer Identität geschildert hat.

„Plötzlich drangen laute Geräusche aus seinem Zimmer, sehr laute, rücksichtslos laute. Es hörte sich an, als ob jemand Holz hackte. Sein Schädel wurde geöffnet. Still horchten wir, von Entsetzen gepackt. Alsdann kam ein Mann aus dem Zimmer, Krankenwärter oder Sanitäter, jedenfalls kannte ihn keiner von uns. Der Mann trug eine Schüssel, zugedeckt mit einem weißen Tuch, das sich in der Mitte zu einer kleinen Pyramide wölbte. Als ob dieser Soldat in weißem Kittel und Schaftstiefeln die Osterquarkspeise trüge. In der Schüssel lag Majakowskis Gehirn…“

Valentin Katajew
aus: „Das Gras des Vergessens“

Wladimir Majakowski 1916••• Das Verhältnis zu Bunin beschreibt Katajew ganz als eines zwischen Lehrer und Schüler, wenngleich auch befreundeten. Ganz anders ist der Ton, wenn Katajew im letzten Drittel des Buches auf Majakowski zu sprechen kommt. Ganz anders auch war das Verhältnis. Majakowski war zur Zeit ihres Zusammentreffens eine Institution in der jungen Sowjetunion. Sein Status war so marmorn, dass er sich Unangepasstheit ganz selbstverständlich erlaubte. Ein Zugstier der Dichtung, ein Alleskönner der Poesie, der über die Grabenkämpfe zwischen den ungezählten literarischen Strömungen dieser Zeit schmunzelnd hinwegsah. Ein Popstar? Vielleicht, doch einer mit Format, wie man einen heute kaum finden würde.

All die Literaten, Dichter, Theaterleute überzog er mit seinem legendären Spott. Und doch: bei aller Gegensätzlichkeit, die jene Autoren des damaligen sowjetrussischen Literaturlebens verkörperten, kamen sie doch immer wieder auch wie eine Familie zusammen. An jenem Abend im Juli 1930 beispielsweise – in Katajews Wohnung. Majakowski schrieb an jenem Abend und in jener Nacht Zettelchen mit Liebesbotschaften, die einer Schauspielerin galten, die zwischen ihm und ihr quer durchs Zimmer durch die Luft flogen und schliesslich, als Majakowski ging, zerknüllt in der ganzen Wohnung verstreut lagen.

Am kommenden Morgen erfuhren die Freunde, dass Majakowski sich mit der Mauserpistole, die er stets mit sich zu tragen pflegte, ins Herz geschossen hatte. Wie wenig Dichtung heute noch gilt, kann man ermessen, wenn man Katajews Bericht liest vom „Tag danach“. Dergleichen wäre heute undenkbar.


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Manieriert, kokett, prätentiös

Montag, den 28. Mai 2007

Valentin Katajev••• Regeln sind dafür da, gebrochen zu werden. Ich weiss, dass einige Turmsegler-Leser das ebenso umgehend unterschreiben würden wie Valentin Katajew, der für den forschen Regelbruch gar einen Gattungsbegriff prägte: Mauvismus.

Mauvismus, das ist die Kunst des schlechten Schreibens. Etwa: Er antwortete „nach Ablauf einer gewissen Menge eines physikalischen Maßes, das in bestimmten Kreisen Zeit genannt wird.“ Oder auch das wiederholte unmittelbare Widerrufen einer soeben gemachten Aussage: Ich wusste genau, was er wollte. Ich wusste nicht im Geringsten, was er wollte. Er hatte Blau ausgewählt, vielleicht hatte er auch Grün ausgewählt.

„Ich bin Mauvist!“ Wann immer Katajew dies ausruft, ist allerdings auch ein wenig Augenzwinkern dabei. Er zieht den Mauvismus-Trumpf als Generalentschuldigung. Denn Katajew wusste ausserordentlich genau, wo „schlechtes Schreiben“ beginnt. Und er konnte es sich – in sparsamen Dosen – erlauben, weil er im Übrigen ein brillianter Handwerker der Sprache war.


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