Wahrheit in fiktionaler Form
Mittwoch, den 2. September 2009
Lawrence Grobel
Grobel: Glauben Sie, dass Joyce und Proust den Roman bis an seine Grenzen herangeführt haben?
Capote: Oh, nein, ganz und gar nicht. Es besteht ein Bedürfnis nach Fiktion, aber ich glaube, es wird sich wohl zunehmend um das drehen, was ich zu machen versuche, das heißt, Wahrheit in Fiktion zu verwandeln, oder Fiktion in Wahrheit — ich weiß nicht, was es ist, aber es dreht sich im Grunde um Wahrheit, abgehandelt in fiktionaler Form.
Grobel: Doch Ihrer Meinung nach sind Fiction und Nonfiction verschmolzen?
Capote: Es ist eigentlich keine Frage von Wahrheit oder Nicht-Wahrheit. Es ist eigentlich eine Frage des Erzählens. Darum geht es. Darum, daß man lernt, den Erzählfluß so in den Griff zu bekommen, daß er schneller abrollt und zugleich tiefer schürft.
aus: »Ich bin schwul, ich bin süchtig, ich bin ein Genie«,
Ein intimes Gespräch zwischen
Truman Capote und Lawrence Grobel
Aus dem Englischen von Thomas Lindquist
© Diogenes Verlag 1986