Liebes-Lied

Sonntag, den 26. Juli 2009

Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an Deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?

Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.

Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.

Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

••• Mit Tanja Warter (Presse C. H. Beck) sprach ich am Freitag über die Inkompatibilität zwischen orthodoxem Alltag und Literatur. Sie war überrascht. Ich habe darüber noch nie gesprochen, aber mich bewegt der Gedanke schon seit geraumer Zeit. Streng genommen ist er schon präsent, seit ich die Arbeit an der »Leinwand« begonnen habe. Es ist sicher kein Zufall, dass ich Amnon Zichroni mit 15 Jahren in das verbotene Zimmer der Eltern führe und ihn dort auf die »unpassende Liebe«, nämlich die Dichtung stoßen lasse. Nun ist Amnons Konflikt nicht einmal der, orthodox zu sein und »verbotene Bücher« zu schreiben. Der erste wesentliche Wendepunkt in seinem Leben belegt aber, wie deutlich die »Inkompatibilität« ist. Allein diese Bücher zu lesen, wird schon als »bitul zman« (Zeitverschwendung) betrachtet. Um wie viel größer ist die Verschwendung, wenn man nicht nur liest, sondern diese Bücher auch noch schreibt?

Es sind besonders die Folgen des Schreibens und Veröffentlichens, die im Kontrast stehen zu den Forderungen der Mussar-Lehrer, Demut zu üben, das Ego zurückzudrängen, in der Gemeinschaft aufzugehen, statt als Individuum hervorzustechen durch Talente und Fähigkeiten, die nicht in direktem Torah-Zusammenhang stehen.


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Am Start

Mittwoch, den 24. Juni 2009

••• Heute nun das erste Treffen mit Wolfgang Beck (Verleger), Martin Hielscher (Lektor) und Tanja Warter (Presse Literatur) von C. H. Beck. Kaum vorsichtiges Abtasten; wir sind gleich mitten im Gespräch. »Die Leinwand« wird Spitzentitel im literarischen Frühjahrsprogramm und soll als erster Titel bereits Ende Januar erscheinen. In wenigen Tagen macht sich der Lektor ans Werk. Es wird, kündigt er an, nur um Feinheiten gehen.

Wir reden ausführlich über die »Präsentation« des Textes. Es gibt einige Ängste, ob die Gestaltung als Wendebuch funktionieren und angenommen werden wird. Ich vertrete das natürlich vehement und erzähle ein wenig mehr über die Komposition, die jeweils unterschiedlichen Spannungsbögen je nach Lektüre-Variante. Es stellt sich heraus, dass ich weiter gedacht habe als sie und so Vorschläge machen kann, um Bedenken gezielt zu zerstreuen. So fürchtete Beck beispielsweise, der Buchhandelskunde könnte das Exemplar für einen Fehldruck halten, wenn er zwei Titelseiten bemerkt. Ich schlage vor, beide Cover unterschiedlich zu gestalten, beispielsweise typographisch identisch, aber mit unterschiedlichen Illustrationen. So wird gleich klar, dass es sich tatsächlich um zwei »Vorderseiten« handelt. Der obligatorische Barcode ließe sich in die Illustration integrieren und so auf beiden Seiten anbringen. Ist das Buch verschweißt, kann der Barcode als Aufkleber appliziert werden und stört so den Ersteindruck in der Buchhandlung, wo die Folie ja entfernt ist, gar nicht. Dass einige meiner Erstleser sich unaufgefordert für eine der kapitelweise verschränkten Lesevarianten entschieden haben, überrascht die anderen, ist aber ein Argument mehr. Dass die Produktion selbst unproblematisch sein wird, kann ich leicht belegen. Immerhin haben sie das Leseexemplar aus meiner Editions-Produktion gelesen, das genau so gemacht ist. An die Adresse der Buchhandelsvertreter und Buchhändler sage ich: Hey, das ist ein Buch, das Euren Berufsstand sichert, denn es kann nur als gedrucktes Buch genau so funktionieren, wie es konzipiert ist. Ich soll noch einmal direkt mit Grafiker, Hersteller und Vertrieb sprechen. Beck wendet noch ein: So ein Buch hat es aber noch nie gegeben. Eben, sage ich: Das ist doch der beste Grund, es genau so zu machen. (Übrigens stimmt das nicht, wie mir berichtet wurde. Beweisstücke habe ich aber noch nicht gesehen.)

Ich bin also frohen Mutes, die Irritationen noch zerstreuen zu können und »Die Leinwand« am Ende genau so gedruckt zu finden, wie ich es mir vorgestellt habe. Am Ende nämlich reden wir sogar über Motive für die beiden Coverseiten…


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