Vergleich ich dich mit einem Sommertag?

Freitag, den 18. Mai 2007

Shall I compare thee to a summer’s day?
Thou art more lovely and more temperate:
Rough winds do shake the darling buds of May,
And summer’s lease hath all too short a date:
Sometime too hot the eye of heaven shines,
And often is his gold complexion dimmed,
And every fair from fair sometime declines,
By chance, or nature’s changing course untrimmed:
But thy eternal summer shall not fade,
Nor lose possession of that fair thou ow’st,
Nor shall death brag thou wander’st in his shade,
When in eternal lines to time thou grow’st,
So long as men can breathe, or eyes can see,
So long lives this, and this gives life to thee.

Vergleich ich dich mit einem Sommertag?
Du hast mehr Maß und größre Lieblichkeit.
Die Maienknospe, die verzärtelt lag,
Schlägt rauher Wind; kurz währt des Sommers Zeit.
Des Himmels Auge brennt manchmal zu heiß,
Sein goldnes Antlitz, oft trübt sich’s für lang.
Und alles Schöne gibt die Schönheit preis,
Sei’s Zufall, sei’s des Wandels kruder Gang.
Doch nie soll deines Sommers Pracht ermatten,
Nie soll zerschleißen deiner Schönheit Kleid,
Nie Tod sich brüsten, daß in seinem Schatten
Du gehst: Im Vers zwingst du die Sterblichkeit.
Solang ein Mensch noch atmet, Augen sehn,
Solang dies steht, so lang wirst du bestehn.

William Shakespeare, Sonett Nr. XVIII
Übertragung: Christa Schuenke
© der Übertragung Straelener Manuskripte Verlag 1994

••• Mit Stefan Georges Übertragung dieses Sonetts konnte meine Frau sich gar nicht anfreunden. Als sie das Original gelesen hatte, meinte sie: So ein schönes Gedicht; und was ist in der Übertragung davon übrig geblieben?

So streng würde ich mit George nicht umspringen wollen. Aber tatsächlich liest sich die Übersetzung von Christa Schuenke da schon ganz anders und fängt, wie ich meine, deutlich mehr von der ursprünglichen Atmosphäre dieses Sonetts ein. Aus diesem Grund hier – speziell für meine Herzdame – das Sonett Nr. XVIII von Shakespeare noch einmal, diesmal übersetzt von Christa Schuenke.

Das böse Kind als alter Mann

Freitag, den 11. Mai 2007

Er hat noch immer diesen Blick
er will noch immer töten
der aus dem Anbeginn der Föten
dem ungeschiedenen Schlick

sich zäh und bös herausgelöst
der langsam, durstig, niemals satt
sich aus dem Ich gerichtet hat
und uns entblößt.

So frei der alte Mann und so allein
so stolz und so erbarmungslos
blieb er erbarmungslos gemieden

und will noch immer keinen Frieden
steht an der Pforte, würgt den Raucherkloß
laut raus. Und rotzt ihn auf den Stein.

© Alban Nikolai Herbst (2007)

••• Für Alban Nikolai Herbst beginnt heute der Countdown. Am morgigen Samstag wird er in der wundervollen Villa des Literarischen Colloqium Am Sandwerder in Berlin zum Finale um den diesjährigen Döblin-Preis antreten. Courage hat er; die muss man ihm nicht wünschen. Was man ihm wünschen kann: eine gute Hand gehabt zu haben bei der Auswahl aus den 1000 Seiten seines Roman-Typoscripts, um die ihm zugestandenen 25 Minuten des Wettlesens zu bestreiten. Und überhaupt: Hals und Beinbruch! So sagt man doch – auf dem Theater. Das sei ihm von Herzen gewünscht.

Aber es war nicht Prosa, über die ich an einem der letzten Tage in seinem Weblog gestolpert bin; nein, es war – ein Sonett.


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Über die Untreue der Weiber

Dienstag, den 8. Mai 2007

Vielleicht würd ich es ihr sogar gestatten
Zu andern Männern sich nach Lust zu legen
Warum nicht etwas Freiheit? Meinetwegen!
Wenn jeder Griff der Fünfminutengatten

Sie nur nicht gleich so sehr verändern würde!
Selbst wenn es gar nicht so besonders glückte
Wenn ihr nur einer mal am Hintern rückte
Spielt sie bestimmt fortan doch die Verführte

Und sehr Geheimnisvolle! Die verschlagen
Den Besserwisser jetzt hereingelegt hat
Da der nicht weiß, und wehe, wenn er’s wüßte!

Daß sie den Hintern damals doch bewegt hat!
Wenn auch nur gegen Ende sozusagen …
Und so entsteht ein Riß, der nicht entstehen müßte.

Bertolt Brecht (1927)

••• Dass ich mich für Sonette von der ersten Begegnung mit ihnen an so sehr begeistern konnte, verdanke ich Brecht. Er schert sich nicht um die Vorgabe der thematischen Aufteilung innerhalb des Sonetts. Und er wagt immer wieder Experimente mit erstaunlicher Wirkung. Wer sagt denn, im Sonett müssten die Sätze oder Nebensätze mit der Zeile enden? Indem er die Sätze um die Zeilenenden und damit auch um die Reime quasi herumfliessen lässt, verschwindet das Getragene, das im Sonett so leicht zum Stolzieren gerät. Nahezu prosaisch klingt Brecht hier – und das inmitten einer strengen Form.

Dem Fluss des Gesagten zum Opfer gefallen ist auch das Reimschema der Terzette. Und doch – spätestens wenn man das Gedicht laut liest, wird klar, dass hier jedes Wort am rechten Platz ist.

Das nenne ich meisterhaften Umgang mit einer strengen klassischen Form! Sie ist da und und wirkt, doch aus dem Hintergrund. Nicht die Spur von Selbstzweck, sondern ganz Mittel zum Zweck.

übermüdes abendland

Montag, den 7. Mai 2007

die letzte nacht, die blaugefrorn und knochenstarr
sich an den rotwein klammernd auf die leinwand
leergewohnter häuser grinst: hast du noch eurostückchen
kauf dir erinnerungen, schnell, bevor die welt zerfällt

nimm all die abgelegten süchte auf und halt sie in den
aufgemalten strahl der ichfabrik, bunt wie lavalampenblut
vermischt mit dispersionsverbrechen: das ist kein wohnraum hier
das ist der zwang klischees von wohlstand vorzuleben, die in

den treibhäusern der gengemüterzüchter aus blankgezogenen
erinnerungen wuchern: schnell wird ein pressevorwand
hingerichtet als seis ein insasse aus echtem fleisch

und diese letzte, allerletzte nacht greift mit tentakeln
in die leinwandkästen der erkenntnistaucher: ein ruf nur
und die dunkelheit, unweigerlich, ist da

© Sonogara (2007)

••• Als ich zum ersten Mal Gabriela Mistrals „Sonette vom Tode“ las, fiel mir tatsächlich zunächst gar nicht auf, dass sie nicht gereimt waren. Als ich es schliesslich bemerkte, faszinierte mich die Idee. In der Tat ist es vor allem das Versmass, das diese Form so musikalisch macht; und es braucht den Reim gar nicht, der in unserer verhältnismässig reimarmen Sprache doch zu schnell zu einer übergrossen Fessel wird.

Später habe ich feststellen müssen, dass lediglich der Nachdichter auf den Reim verzichtet hatte, um in seiner Übertragung näher am Sinn, dichter bei den ursprünglichen Worten bleiben zu können. Im spanischen Original sind Gabrielas Sonette sehr wohl gereimt. Wie auch immer – die Idee des ungereimten Sonetts hat sich bei mir festgesetzt.

Nun gibt es bekanntlich keine Zufälle. Vor wenigen Tagen stiess ich im Weblog von Sonogara auf ein ungereimtes Sonett. Und da es durchaus mehr zu bieten hat als nur den schönen Formenmantel, habe ich mir Erlaubnis eingeholt, es hier zu zitieren.

Shall I compare thee to a summer’s day?

Sonntag, den 6. Mai 2007

Shall I compare thee to a summer’s day?
Thou art more lovely and more temperate:
Rough winds do shake the darling buds of May,
And summer’s lease hath all too short a date:
Sometime too hot the eye of heaven shines,
And often is his gold complexion dimmed,
And every fair from fair sometime declines,
By chance, or nature’s changing course untrimmed:
But thy eternal summer shall not fade,
Nor lose possession of that fair thou ow’st,
Nor shall death brag thou wander’st in his shade,
When in eternal lines to time thou grow’st,
So long as men can breathe, or eyes can see,
So long lives this, and this gives life to thee.

Soll ich vergleichen einem Sommertage
Dich der du lieblicher und milder bist?
Des Maien teure Knospen drehn im Schlage
Des Sturms und allzukurz ist Sommers Frist.

Des Himmels Aug scheint manchmal bis zum Brennen,
Trägt goldne Farbe die sich oft verliert,
Jed Schön will sich vom Schönen manchmal trennen
Durch Zufall oder Wechsels Lauf entziert.

Doch soll dein ewiger Sommer nie ermatten:
Dein Schönes sei vor dem Verlust gefeit.
Nie prahle Tod, du gingst in seinem Schatten . . .
In ewigen Reimen ragst du in die Zeit.

Solang als Menschen atmen, Augen sehn
Wird dies und du der darin lebt bestehn.

William Shakespeare, Sonett Nr. XVIII
Übertragung: Stefan George

••• Hat jemand gemeint, das wär schon alles gewesen zum Thema Stefan George? Da muss ich enttäuschen. George hat neben eigener Dichtung auch diverse Übersetzungen ins Deutsche zu verantworten.

Legendär ist seine Übertragung von Baudelaires „Blumen des Bösen“. Doch auch Shakespeares Sonette hat George nachgedichtet. Der vollständige Text ist sogar online zu finden, und ein Vergleich mit den Übertragungen von Christa Schuenke – nun, überraschend.