Shakespeare • George

Freitag, den 14. Dezember 2007

Was ist mein vers an neuer pracht so leer •
Von wechsel fern und schneller änderung?
Was schiel ich mit der zeit nicht auch umher
Nach neuer art und seltner fertigung.

Was ich nur stets das gleiche schreib • das eine •
Erfindung halt im üblichen gewand?
Dass fast aus jedem wort mein name scheine •
Die herkunft zeigend und wie es entstand?

O süsses lieb • ich schreibe stets von dir
Und du und liebe • ihr seid noch mein plan . .
Mein bestes: altes wort in neuer zier:
Dies tu ich immer • ists auch schon getan.

So wie die sonne täglich alt und neu
Sagt meine liebe schon gesagtes treu.

William Shakespeare, Sonett LXXVI
Umdichtung: Stefan George (1909)

••• Wie ich via Lotrees erfahre, bringt Klett-Cotta im Rahmen der grossen kommentierten George-Ausgabe Anfang 2008 Band 12 mit den Georgeschen Umdichtungen der Shakespeare-Sonette, und zwar – wie der Verlag anmerkt – erstmals in kritischer Edition.


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Bemitleid dieses untier, unmenschheit

Donnerstag, den 15. November 2007

pity this busy monster, manunkind,

not. Progress is a comfortable disease:
your victim (death and life safely beyond)

plays with the bigness of his littleness
– electrons deify one razorblade
into a moutainrange; lenses extend

unwish through curving wherewhen till unwish
returns on its unself.
A world of made
is not a world of born – pity poor flesh

and trees, poor stars and stones, but never this
fine specimen of hypermagical

ultraomnipotence. We doctors know

a hopeless case if – listen: there’s a hell
of a good universe next door; let’s go

e. e. cummings (1943)

bemitleid dieses untier, unmenschheit,

nicht! Fortschritt ist ’ne seuche, die bequem:
dein opfer (tod und leben fest entfernt)

spielt mit der größe seiner winzigkeit
– vergöttern elektronen eine klinge
zur bergkette; und linsen dehnen aus

unwunsch durch krümmen von wo-wann, bis unwunsch
sein unselbst wiederhat.
Die welt der mache
ist nicht die welt des zeugens – armes fleisch

und stern, baum, stein bemitleid, aber nie
dies feine beispiel hypermagischer

ultraomnipotenz. Als ärzte sehn wir:

ein hoffnungsloser fall … hör: nebenan
ist eine höllisch gute welt. Los, gehn wir

e. e. cummings (1943)
Deutsch von: Gisbert Kranz
aus: „Englische Sonette“
© Philipp Reclam jun. Stuttgart 1981

••• Vor einigen Tagen stand wieder eine Bücherkiste vor der Tür des Antiquitätengeschäfts unten im Haus. Ich habe zwei dieser kleinen orangefarbenen Reclam-Bändchen vorm Tod durch den Regen bewahren können. Über beide Funde habe ich mich sehr gefreut. Denn das eine Büchlein ist eine zweisprachige Ausgabe von Christopher Marlowes „Edward II“ (von Marlowe, Shakespeares Zeitgenossen, habe ich noch nichts gelesen und brenne darauf, das nun nachzuholen); das zweite trägt den Titel „Englische Sonette“ und enthält ganze 92 davon, im Original und sehr gelungenen deutschen Nachdichtungen von Gisbert Kranz präsentiert.


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Ich sah im Traum dich auf der Totenbahre

Dienstag, den 4. September 2007

Altar of Dis-Ease - © by ~ray00@deviantart.com (2003-2007)

Altar of Dis-Ease – © by ~ray00@deviantart.com (2003-2007)

Ich sah im Traum dich auf der Totenbahre.
Das Zimmer, wo du lagst, war blau erhellt.
Ich trat zu dir heran wie zum Altare,
auf den das Herz das letzte Opfer stellt.

Da lagst du streng und starr. Um deine Haare
bog sich der Schmetterling des Abendrots.
Ich streute blindlings meine jungen Jahre
wie Rosenblätter über deinen Tod.

Die Welt lag wesenlos um deine Hülle,
wie ein gedehnter Schatten um das Licht,
bis alles hinschwand. – Nur dein Angesicht

hing weiß wie eine Wolke in der Stille.
Dann schlug mein Leben beide Augen zu.
Kein Raum war, und kein Ich, kein Du. Nur Ruh.

Rose Ausländer
aus: „Der Regenbogen“ (Sonette), XI

••• An manche Träume erinnert man sich sehr lebendig noch nach Jahren. In gleich zwei solchen Träumen, die mich so aufgewühlt haben, dass ich sie wahrscheinlich nie vergessen werde, bin ich zum Mörder an geliebten Menschen geworden.


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Wie viele Schalen…

Montag, den 3. September 2007

Masks - © ~Stillight@deviantart.com

Masks – © ~Stillight@deviantart.com

Wie viele Schalen, Lieb, wie viele Schichten
umgeben deinen letzten Herzenskern?
Ich schau‘ dich an, doch deine Augen flüchten
und bleiben unerreichbar wie ein Stern.

Ich kann nicht mehr – ich will dein Bild vernichten
und nicht mehr wissen, daß du warst und bist?
O, komm mir nicht mit tausenden Gesichten!
Ich weiß, daß keines deine Seele ist.

Hinweg, hinweg? Erinnerungen binden
mein hörig Herz an deinen harten Schritt.
Ich geh‘ mit dir und kann dich doch nicht finden.

Ich folge dir auf Pfaden gleich Spiralen,
und zähle nicht die Qualen, die ich litt,
da ich den Kern nicht fand, nur Schalen, Schalen.

Rose Ausländer
aus: „Der Regenbogen“ (Sonette), X

••• Diese Ohnmacht, jemandem gegenüber zu stehen, den man liebt und zu wissen: was gesehen wird von diesem anderen, hat mit einem selbst kaum etwas zu tun. Auf der Projektionsleinwand verzerrte Spukgestalten, von Vermutungen entstellt, fremd, so weit entfernt vom Ich, das da angesehen wird. Und das Erschreckendste dabei: Mitunter ist man es selbst, der sich so gegenübersteht und doch nichts erkennt. „… nur Schalen, Schalen.“

Ich ging in dich hinein wie in ein Feld

Sonntag, den 2. September 2007

The Weed - © ~kelc@deviantart.com (2007)

The Weed – © ~kelc@deviantart.com (2007)

Ich ging in dich hinein wie in ein Feld
voll Sommerduft und reicher Ährenlast.
Ich baute mir in dir ein Garbenzelt
und wähnte mich in einem Goldpalast.

Die Tage flogen wild um unser Haus,
die Vögel zogen in uns ein und aus,
der blonde Weizen rieselte wie Wein
in unsern tiefen Kelch der Lust hinein.

So war mein Leben auf ein Tun gestellt:
Dein Herz umspannte meine ganze Welt,
und alle Fluren tanzten um mein Glück.

Da kamen Winde und verwirrten dich,
da kamen Falter und entführten dich,
und ließen mich im Stoppelfeld zurück.

Rose Ausländer
aus: „Der Regenbogen“ (Sonette), IX

••• Ich wollte wirklich kürzer treten mit den Sonetten. Aber man begegnet ihnen auf Schritt und Tritt. „Der Regenbogen“ ist ein Sonettenzyklus von Rose Ausländer, Gedichte an einen Geliebten. Sie haben mich gleich sehr berührt. Die direkte Ansprache ist mir sehr vertraut. Und es gelingen ihr immer wieder sehr starke Bilder, die sie konsequent ausgestaltet wie etwa hier die Feld-Metapher.

Drei der Sonette möchte ich in den nächsten Tagen vorstellen, jedes ein Meisterwerk und jedes mit dem gewissen Czernowitzer Klang, der mich auch bei Celan so gefangen nimmt.