Die Engel

Sonntag, den 9. März 2008

Peter Huchel 1964 im Garten seines Hauses am Hubertusweg, Foto: Roger Melis
Peter Huchel 1964 im Garten seines Hauses am Hubertusweg, Foto: Roger Melis

Ein Rauch,
ein Schatten steht auf,
geht durch das Zimmer,
wo eine Greisin,
den Gänseflügel
in schwacher Hand,
den Sims des Ofens fegt.
Ein Feuer brennt.
Gedenke meiner,
flüstert der Staub.

Novembernebel, Regen, Regen
und Katzenschlaf.
Der Himmel schwarz
und schlammig über dem Fluß.
Aus klaffender Leere fließt die Zeit,
fließt über die Flossen
und Kiemen der Fische
und über die eisigen Augen
der Engel,
die niederfahren hinter der dünnen Dämmerung,
mit rußigen Schwingen zu den Töchtern Kains.

Ein Rauch,
ein Schatten steht auf,
geht durch das Zimmer.
Ein Feuer brennt.
Gedenke meiner,
flüstert der Staub.

Peter Huchel (1903-1981)
aus: Die Gedichte. suhrkamp taschenbuch
© Suhkamp Verlag 1984, 1997

••• Gestern kamen die „Gesammelten Gedichte“ von Peter Huchel an. Ich habe wahllos eine Seite aufgeschlagen (206) und gleich dieses starke „Engelsgedicht“ gefunden. Huchel mag ja ein wenig „alt“ sein und sein Themenkreis vorwiegend beim letzten Weltkrieg und der Nachkriegszeit liegen — aber es ist in jedem Fall eine ganz eigene poetische Stimme, wie ich finde. Diesen Gedichtband von vorn bis hinten durchzusehen, darauf freue ich mich schon.

Die Bauern überliefern

Mittwoch, den 5. März 2008

Maserung in Nussbaum-Holz
Maserung in Nussbaum-Holz

Die alten Bauern sagen, daß am Binsenbruch
sie eines Tages des Büdners junge Magd gefunden,
die hing, den Rock kreuzweis mit Bast
eng unter den Knien zusammengebunden,
erwürgt am langen Schultertuch,
wippend am niedern Nußbaumast.

Die alten Bauern sagen, daß seit jenem Tag
kein Pferd das Laub des Nußbaums fressen mag,
und daß das Vieh, wenn es im Umkreis weidet,
den giftigen Schatten dieses Nußbaums meidet.

Die Bauern überliefern, daß sommers in dem Tal
die grünen Raupen fressen die grünen Bäume kahl.

Peter Huchel (1903-1981)
aus: „Gesammelte Werke, Bd. 1, Die Gedichte“
© Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main, 1984

••• Ein Nachtrag noch zum Poesiealbum 277 mit Gedichten von Peter Huchel. Das hier, fällt mir auf, wäre beinahe ein Sonett geworden. Beim ersten Lesen fielen mir tatsächlich nicht einmal die Reime auf, so gefangen war ich vom Bild der Magd im Nussbaum. Huchel nimmt es auch nicht so genau mit dem Versmaß. Aber das kann diesem Gedicht nicht das Geringste anhaben.

Schlucht bei Baltschik

Dienstag, den 4. März 2008

Keine Zeit braucht den Dichter so sehr wie diejenige, die ihn entbehren zu können glaubt.

Jean Paul

Poesiealbum 277 - Peter Huchel••• Gestern früh bin ich doch zur Ärztin. Die wollte mich für eine Woche ins Bett stecken. Sowas hört ein Freiberufler nun gar nicht gern. Ich wollte sie auf einen Tag runterhandeln. Gut, ich mach zwei draus und bleibe auch morgen noch im Bett. Das gibt mir nun wenigstens Gelegenheit, die Eingänge der letzten Wochen zu sichten. Da ist viel liegen geblieben, weil ich jede freie Minute am Text der „Leinwand“ saß.

Eingetroffen sind zum Beispiel die ersten beiden Hefte des Poesiealbum, das – wie schon früher berichtet – vom Märkischen Verlag Wilhelmshorst seit kurzem wieder herausgegeben wird. Die Aufmachung ist identisch mit jener der früheren 276 Ausgaben. Nur die Erscheinungsweise ist vorerst noch nicht wieder monatlich. Quartalsweise erscheinen die Hefte nun. Aber das ist immerhin ein erfreulicher Neuanfang.


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