Über die Menschen

Freitag, den 2. März 2007

Illustration vn Miloslav Troup

Nun war die Sonne auf der Welt. Und im Wasser schwammen die Fische, und in der Luft flogen die Vögel, und unzählige Tiere gab es auf der Erde. Aber keines der Tiere bedankte sich für die Sonne. Das gefiel den Göttern gar nicht.

„Wir werden Menschen schaffen“, beschlossen sie. „Sie werden uns nicht enttäuschen.“ Und so geschah es.

Der blaue Gott Tlaloc machte sich sogleich ans Werk. Er nahm Lehm und schuf daraus einen Menschen. Doch nicht umsonst heißt es: „Gut Ding braucht Weile.“ Der Lehmmensch, den Tlaloc geschaffen hatte, konnte nicht einmal aufrecht stehen, und kaum war er in eine Pfütze gerutscht, da löste er sich auf. Da lachte Xipe Totec und sagte kühn: „Wie kann man Menschen aus Lehm machen. Schaut her, meine Menschen werden bestehen und sich nicht auflösen!“

Und schon nahm er ein Messer zur Hand, schnitt damit einige Äste ab und schnitzte aus den Ästen Figuren. Sie lösten sich nicht auf. Also liessen die Götter sie leben.

Aber die Holzmenschen verhielten sich wie Marionetten. Ihre Gesichter zeigten kein Lächeln, ihre Augen weinten keine Tränen, – sie prügelten ihre Hunde, sie ließen die Töpfe und Pfannen so lange auf dem Feuer, bis sie anbrannten und schlugen mit Stöcken und Steinen derart aufeinander ein, daß ihre Holzglieder zerbrachen.

Die Götter schauten den Holzmenschen eine Weile zu. Sie gefielen ihnen nicht. Und die Holzmenschen nahmen auch bald ein schlechtes Ende. Eines Tages war es so weit. Alle Tiere, Töpfe, Stöcke und Steine sagten den Holzmenschen den Kampf an. Sie entzündeten große Feuer und trieben die Holzmenschen in die Flammen hinein und ließen sie zu Asche verbrennen.

Darauf sagte der schwarze Gott Tezcatlipoca: „Lehm und Holz gibt es genug auf der Welt, deshalb werden wir daraus auch keine Menschen mehr machen. Gold ist das Wertvollste, wir machen Menschen aus Gold.“


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Die fünfte Sonne

Donnerstag, den 1. März 2007

Miloslav TroupIns Unendliche entfloh die Zeit. Aus dem Unendlichen kehrt sie zurück. Fern, ganz fern hinter dem Großen Ozean fliegt in unendlicher Höhe eine Schlange mit gewaltigen Flügeln, sie fliegt über rauchende Vulkane, die ihr mit heißem Atem ungeheure Kraft verleihen, sie fliegt über Dschungel, deren Schreie und Farben ihren Hunger und Durst stillen, sie fliegt über die endlose Prärie, die sie im Fluge wiegt. Die Schlange mit den gewaltigen Flügeln hat sich von Anfang der Welt an alles ins Gedächtnis geprägt, hat sich all das eingeprägt, was man sich seit eh und je auf der ganzen Welt erzählt über das, was war und ist und kommen wird. Lassen wir uns forttragen über das Große Wasser, über Vulkane, Dschungel und Prärie, hören wir, was die Schlange mit den gewaltigen Flügeln erzählt.

aus: „Die fünfte Sonne“
Indianerlegenden Mittel- und Südamerikas
Nacherzählt von Vladimir Hulpach
mit Illustrationen von Miloslav Troup

••• Atztekische Märchen waren mein erstes Zusammentreffen mit lateinamerikanischer Literatur. In kurzem Abstand bekam ich von meinen Eltern zwei Bücher von Valdimir Hulpach geschenkt mit prächtigen Illustrationen von Miloslav Troup. Ich konnte damals noch nicht lesen. Sicher ist meiner Mutter bitter Unrecht getan, wenn ich sage, ich erinnere mich besonders an jene Male, als mir mein Vater zum Einschlafen aus diesen Büchern vorlas. Es kam vielleicht nicht so oft vor, aber seine Mimik war unvergleichlich, wenn er versuchte, die schwierigen Namen auszusprechen: Tezcatlipoca, Quetzalcoatl, Teccuciztecatl…

Heute habe ich zum ersten Mal meinen Kindern aus diesen Büchern vorgelesen, eine Geschichte vom raffinierten Spinnenmännchen Anansi. Das war noch nicht so schwierig. Aber auch wenn wir später zu den Göttergeschichten kommen, werde ich es leichter haben als mein Vater damals. Ich habe da jetzt einfach ein bisschen mehr Übung…