Was ich erzähle, geschieht
Sonntag, den 13. Mai 2007Eine Erwiderung auf Markus A. Hediger: „Spiegel und Maske“
••• Von der „Sprache Gottes“ war die Rede im Gastbeitrag „Spiegel und Maske“ von Markus A. Hediger. Und all jene, die meinen Roman „Das Alphabet des Juda Liva“ gelesen haben, wird es nicht verwundern, dass ich auf die Spekulationen in diesem Beitrag antworten muss. Der Roman verdankt seinen Titel einem fiktiven Kommentar des Rabbi Löw von Prag zu einem der wichtigsten Texte der jüdischen Mystik, dem Sefer Yetzirah (Buch der Schöpfung). Dieser Text beschreibt die 22 Buchstaben (Sefarim) des hebräischen Alphabets zuzüglich der 10 Sefirot (evtl. übersetzbar mit Sphären und vom gleichen Wortstamm SFR wie Buchstabe) als die Werkzeuge G’ttes bei der Schaffung der uns bekannten Welt.
Ungezählte Kommentare existieren zu diesem Buch. Und der fiktive Kommentar, dem der Roman seinen Namen verdankt, kommt zu dem kühnen Schluss, dass mittels der selben Buchstaben die Welt auch veränderbar, die Schöpfung in ihrer Existenz beeinflussbar sei. Der Erzähler des Prologs spricht ganz in diesem Sinne auch deutlich aus, welche Macht er dem Buchstaben und den daraus gewebten Erzählungen zumisst: „Was ich erzähle geschieht, nicht umgekehrt.“ Und damit spricht er mir als Autor aus dem Herzen.
Das Hebräische wird ohne Vokale geschrieben. Bei vielen Worten gibt es daher einen Deutungsspielraum, welches Wort der Autor tatsächlich zu schreiben wünschte. Es verwundert nicht, dass ein mystischer Text voll ist von solchen für die Interpretation offenen Schreibweisen. Eine dieser Stellen möchte ich in Annäherung an die Frage nach der „Sprache Gottes“ näher beleuchten, weil sie mein Verständnis von „Realität“ und Literatur, die „Realitäten“ beschreibt, ganz massgeblich bestimmt.