Nelson Rodrigues ist tot

Montag, den 10. August 2009

»Krötenwanderung« • Eine Gastkolumne von Markus A. Hediger

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Nelson Rodrigues, Journalist, Dramaturg und Dichter, starb 68-jährig an einem Sonntagmorgen in Rio de Janeiro. Die Berichte über jene Stunden, die unmittelbar auf seinen Tod folgten, gehen auseinander. Einige Quellen erzählen, er sei in der Badehose gestorben, zwischen den Zehen noch Sand vom morgendlichen Spaziergang am Strand, und dass seine Frau sich geweigert habe, ihm das Totenhemd anzuziehen. Andere berichten von langweiligen Fußballspielen, die an jenem Sonntagnachmittag in den Stadien von Rio de Janeiro ausgetragen wurden. Langweilig, weil Rodrigues, der durch seine Reportagen den Fußball zur Kunstform erhoben und den Partien oft erst nachträglich auf seiner Schreibmaschine zu unvergesslichen Momenten verholfen hatte, tot war. Am populärsten aber ist jene Geschichte, wonach Nelson Rodrigues, wenige Stunden nach seinem Herzstillstand, bei der Sonntagsziehung den Lotto-Sechser gewann.


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Auf dem Küchentisch

Sonntag, den 9. August 2009

»Krötenwanderung« • Eine Gastkolumne von Markus A. Hediger

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Nachdem ich der Frau, die ihre Hand auf meine rechte Schulter gelegt hatte, einen Namen gegeben hatte, wollte ich von unserer letzten Begegnung erzählen und diese als Anlass dafür hernehmen, zu illustrieren, was mir an der Schweiz so fremd geblieben und wie fremd mir der brasilianische Gegensatz dazu geworden ist. Heute hätte ich den Text publizieren sollen, doch während ich ihn überarbeitete, beschlich mich ein ungutes Gefühl. Was ich da tat, war unaufrichtig, unlauter. Unsorgfältig.

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Der Versuch, mir den Abschied von der Schweiz schwer zu machen, bedeutet eben auch, mir die Ankunft in Brasilien nicht gerade leicht zu machen. Ich habe Angst vor dem, was mich in Rio erwartet. Angst, weil ich nicht weiß, was mich dort erwartet. Deshalb wohl erwische ich mich immer wieder dabei, wie ich alles auf Klischees reduzieren möchte. Mich ablenken vom Komplexen, Widersprüchlichen, Unvorhersehbaren. Der sorgfältige Blick auf die Schweiz aber zeigt mir kein Land, sondern Menschen. Karoline.


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Doch so einfach

Donnerstag, den 6. August 2009

»Krötenwanderung« • Eine Gastkolumne von Markus A. Hediger

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Am 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag, fuhr ich mit meinen Eltern auf die Schwägalp. Mein Vater wollte das riesige weiße Kreuz auf rotem Tuch sehen, das zehn wagemutige Bergsteiger an der Flanke des Säntis angebracht hatten. Es war ein blauer Tag, der Berg majestätisch. So groß wie zwei Fußballfelder hing die Schweizer Marke da oben hoch am symbolträchtigen Felsen. Vier Tage ist es nun her und noch immer spricht mein Vater davon, wie ergriffen er war, als er diese gigantische Fahne sah. Vielleicht ist Heimat nichts anderes als das: ein Symbol, das für ein Stückchen Land steht, und dieses wiederum für bestimmte Eigenschaften. Im Falle der Schweiz mögen es Ordnung und Fortschritt sein. Zusammen ergeben sie jene Qualität, für die Schweizer Produkte weltberühmt sind. Gesetzliche Richtlinien bestimmen, wie viel Schweiz in einem Produkt stecken muss, damit es sich mit dem Schweizer Wappen zieren darf. Mein Vater tut keinen Schritt ohne Schweizer Taschenmesser im Hosensack.

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Doch so einfach ist es nicht.

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Krötenwanderung

Sonntag, den 26. Juli 2009

••• Es ist soweit. Markus A. Hediger macht sich zum zweiten Mal auf den One-Way nach Brasilien. Mit den Erfahrungen des »Krötenkarneval« und des »TamTam Grand Hotel« im Hinterkopf kommt hierbei keinem das Wort »endgültig« leicht über die Lippen. Aber Markus wäre nicht der Autor, der er ist, würde er sich wortlos auf diese erneute Reise machen. In den kommenden Monaten dürfen wir hier im Turmsegler seine Gastkolumne »Krötenwanderung« mitverfolgen, deren Beiträge hoffentlich eines Tages gesammelt als weiterer Hediger-Band in der edition neue moderne erscheinen werden. Vor das Buch aber hat der Ewige das Abenteuer des Schreibens gesetzt. Und vor das Schreiben das Leben und Zweifeln. Ich bin gespannt, wie es Markus ergehen wird und wie er uns davon berichtet.

Die »Krötenwanderung« kann man hier im Blog oder auch per RSS-Feed verfolgen.

Die Sprache der Schöpfung (III)

Dienstag, den 14. Juli 2009

Markus A. Hediger (im Stande der Unschuld?) © Markus A. Hediger

Ein Gastbeitrag von Markus A. Hediger

••• Als ich vor einem Jahr meine autobiographischen Fiktionen beendete, ahnte ich nicht, wie sehr sie mein Selbstbild und – als Folge daraus – mein Leben bestimmen würden. Ich hatte sie in einem rauschhaften Zustand geschrieben, der wochenlang anhielt und mich taumelnd durch eine plötzlich eingetretene oder gefundene Kongruenz zwischen persönlicher Geschichte und aktuell Erlebtem tanzen ließ. Sprache wurde zur Musik, die sich selbst sang. Als das Büchlein schließlich publiziert war, wollte ich weiterschreiten, weiterarbeiten an meiner Fiktion, aber es gelang mir nicht. Es war, als hielte mich die Welt zurück, als zwänge sie mich zum Stillstand.

Fiktion beschränkt sich nicht nur auf das Geschilderte. Teil einer Fiktion ist auch ihre Konstruktion, ist auch ihre Wortwahl, ihr Rhythmus. Fiktion zeichnet sich weniger durch das aus, was sie erzählt, sondern durch das Wie.


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