Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen …

Mittwoch, den 31. Oktober 2007

Ende Oktober 1911

Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen
Und sehen auf die großen Himmelszeichen,
Wo die Kometen mit den Feuernasen
Um die gezackten Türme drohend schleichen.

Und alle Dächer sind voll Sternedeuter,
Die in den Himmel stecken große Röhren.
Und Zaubrer, wachsend aus den Bodenlöchern,
In Dunkel schräg, die einen Stern beschwören.

Krankheit und Mißwachs durch die Tore kriechen
In schwarzen Tüchern. Und die Betten tragen
Das Wälzen und das Jammern vieler Siechen,
und welche rennen mit den Totenschragen.

Selbstmörder gehen nachts in großen Horden,
Die suchen vor sich ihr verlornes Wesen,
Gebückt in Süd und West, und Ost und Norden,
Den Staub zerfegend mit den Armen-Besen.

Sie sind wie Staub, der hält noch eine Weile,
Die Haare fallen schon auf ihren Wegen,
Sie springen, daß sie sterben, nun in Eile,
Und sind mit totem Haupt im Feld gelegen.

Noch manchmal zappelnd. Und der Felder Tiere
Stehn um sie blind, und stoßen mit dem Horne
In ihren Bauch. Sie strecken alle viere
Begraben unter Salbei und dem Dorne.

Die Meere aber stocken. In den Wogen
Die Schiffe hängen modernd und verdrossen,
Zerstreut, und keine Strömung wird gezogen
Und aller Himmel Höfe sind verschlossen.

Die Bäume wechseln nicht die Zeiten
Und bleiben ewig tot in ihrem Ende
Und über die verfallnen Wege spreiten
Sie hölzern ihre langen Finger-Hände.

Wer stirbt, der setzt sich auf, sich zu erheben,
Und eben hat er noch ein Wort gesprochen.
Auf einmal ist er fort. Wo ist sein Leben?
Und seine Augen sind wie Glas zerbrochen.

Schatten sind viele. Trübe und verborgen.
Und Träume, die an stummen Türen schleifen,
Und der erwacht, bedrückt von andern Morgen,
Muß schweren Schlaf von grauen Lidern streifen.

Georg Heym (1887-1912)

••• Über dieses Gedicht von Georg Heym bin ich auf den Seiten des Projekt Gutenberg gestolpert. Es handelt sich um ein Digitalisierungsprojekt des „Spiegel“ für literarische Werke, deren Copyright abgelaufen ist. Das Stöbern dort lohnt sich. Man findet immer wieder Perlen.

Die Städte

Dienstag, den 30. Oktober 2007

Georg Heym (1887-1912)
Georg Heym

Der dunkelnden Städte holprige Straßen
Im Abend geduckt, eine Hundeschar
Im Hohlen bellend. Und über den Brücken
Wurden wir große Wagen gewahr,

Zitterten Stimmen, vorübergewehte.
Und runde Augen sahen uns traurig an
große Gesichter, darüber das späte
Gelächter von hämischen rann.

Zwei kamen vorbei in gelben Mänteln
Unsre Köpfe trugen sie vor sich fort
Mit Blute besät, und die tiefen Backen
Darüber ein letztes Rot noch verdorrt.

Wir flohen vor Angst. Doch ein Fluß weißer Wellen
Der uns mit bleckenden Zähnen gewehrt.
Und hinter uns feurige Abendsonne
Tote Straßen jagte mit grausamem Schwert.

Georg Heym (1887-1912)

••• Ganze vierundzwanzig Jahre alt ist er geworden – Georg Heym. Hinterlassen hat er dennoch viel: an die 500 Gedichte, mit denen er dem deutschen Expressionismus den Weg bereitete. Heute vor 120 Jahren wurde er geboren. Und aus diesem Anlass unterbreche ich kurz die Folge über nicht zu Ende gelesene Romane – um an ihn zu erinnern.

Eifersucht

Dienstag, den 28. August 2007

Der Dorn - © by DerTeufel83@deviantart.com

Der Dorn – © DerTeufel83@deviantart.com (2007)

Die Straße wird zu einem breiten Strich.
Die Häuser werden weiß wie eine Wand.
Die Sonne wird ein Mond. Und unbekannt,
Gleichgültig, fremd, ein jedes Angesicht.

Sie sehen aus wie Blätter von Papier,
Weiß, unbeschrieben. Aber hinten winkt
Ein schlankes blaues Kleid, das fern versinkt
Und wieder auftaucht, und sich fern verliert.

Auf seinem Nacken sitzt die Eifersucht.
Ein altes Weib, gestiefelt. Einen Dorn
Bohrt in das Hirn sie ihm, und haut den Sporn
In ihres Reittiers weicher Flanken Bucht.

Georg Heym (28.10.1910)

••• Ich weiss nicht, ob ich wirklich von mir behaupten kann, nicht besonders zur Eifersucht zu neigen. Ich erinnere mich gut an Zeiten, in denen jedes Paar, das mir auf der Strasse begegnete, mir einen Schnitt verpasste in tiefliegenden Schichten des Hirns und der Brust.


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