Mit beiden Augen

Montag, den 27. Juni 2011

Das Publikum applaudierte. Ich applaudierte auch. Peinliche Geschichten haben immer etwas Reizvolles. Katelyn allerdings legte unterm Tisch ihre Hand auf mein Knie. Sie sah mich an, und für einen Moment glaubte ich, sie würde, was ich noch nie erlebt hatte, tatsächlich weinen.

Was ist? fragte ich besorgt.

Nichts, sagte sie ruhig, hatte sich augenblicklich wieder gefasst und meinte: Ich habe mich nur eben gefragt, ob wir wirklich das Richtige tun.

Das tun wir, sagte ich, das tun wir sicher.


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Die falsche Hymne

Sonntag, den 26. Juni 2011

Zum Auftakt des Davis-Cup-Finales zwischen Australien und Spanien, das 2003 in der Rod-Laver-Arena in Melbourne ausgetragen wurde, sollte Morrison die spanische Nationalhymne spielen. Und er spielte sie. Wochen zuvor schon hatte man ihm die Noten zugeschickt. Die Tonart sei für die Trompete problematisch gewesen, aber er habe das Stück nicht transponieren wollen, weil er davon ausgegangen war, dass einige der anwesenden Spanier ihre Hymne würden mitsingen wollen. Also hatte er sich redlich gemüht und geübt und war bestens vorbereitet.

Es war, erzählte er, ein wenig schräg: Ich wusste nicht, wo ich hinschauen sollte. Dort stand das spanische Team und schaute zu mir herüber. Aber ich bin Australier! Ich hätte unser Team anfeuern sollen. Stattdessen spielte ich die Hymne der Spanier. Was soll’s, sagte ich mir: Es ist ein Job. Ich wollte es gut machen. Dieses Stück sollte so etwas wie der verlängerte rote Teppich sein, auf dem wir die Spanier und ihren König willkommen hießen.


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Der Abend vor der Implantation

Freitag, den 24. Juni 2011

James MorrisonIn der Firma ging es nun hektisch zu. Matana gab sich einsilbig. Alle Teams wurden zum Rapport einbestellt, Experimente zum hundertsten Mal wiederholt, um letzte Gewissheit zu bekommen, dass alles perfekt vorbereitet war und das Implantat funktionieren würde. Die Nervosität steckte mich an, und damit ich mich und die anderen nicht zu sehr verrückt machte, wurde ich beurlaubt. Ich sollte mich ein paar Tage ausruhen, versuchen, an anderes zu denken und vor allem: mir keine Sorgen machen.

Das war leichter gesagt als getan. Am Tag vor der OP tigerte ich vom frühen Morgen an durch meine Wohnung. Es gab nichts mehr zu tun für mich als abzuwarten und den anderen zu vertrauen. Glücklicherweise kam Katelyn zu Besuch. Sie hatte sich ausgemalt, wie es um mich stehen musste und präsentierte mir stolz zwei Eintrittskarten für einen Jazzclub, in dem wir einige Monate zuvor schon einmal gewesen waren.

Jazz? fragte ich ungläubig: Heute?

Warum nicht? antwortete sie. Was willst Du sonst tun? Auch den Rest des Tages in der Wohnung auf und ab laufen?


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Ein Huf auf dem Nacken

Mittwoch, den 22. Juni 2011

Ich atmete tief und drehte den Kopf zur Seite. Konnte das sein? Oder war es eine Täuschung? Das waren doch die zierlichen Füße der Masseurin, die ich warm im Rücke spürte. Auf der Wand aber waberte ein riesiger aufrechter Schatten: muskulöse Beine, ein gewaltiger Oberkörper und da, das konnte doch nicht … gewundene Hörner!

Ich schrie. Ich wollte aufspringen und das Monster abschütteln, aber ich konnte mich nicht bewegen. Statt eines zarten Fußes glaubte ich nun, einen Huf auf meinem Nacken zu spüren. Ich wusste nicht, ob das markerschütternde Geheul, das ich hörte, mein eigenes panisches Schreien war oder das grausige Lachen Pans, der auf meinem Rücken einen irren Tanz vollführte.


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Da haben wir es!

Dienstag, den 21. Juni 2011

Thai-MassageSie verschwand hinter dem klickernden Perlenvorhang, und ich inspizierte das Zimmer, in das sie mich gebeten hatte. Es war ein fensterloser Raum, beleuchtet von vielleicht zwei Dutzend Öllichtern auf einem schmalen Bord, das in Kopfhöhe rings um den Raum führte. In der Mitte stand eine professionelle Massageliege und an deren Kopfende ein Tischchen mit einem Stapel sorgsam zusammengelegter Handtücher und drei bauchigen Flaschen, wahrscheinlich mit verschiedenen Ölen für die Massage. Quer über die Liege führte in etwa zwei Meter Höhe von Wand zu Wand eine Messingstange. Im hinteren Eck des Raumes entdeckte ich hinter einem Paravan einen Stuhl und einen Stummen Diener. Ich streifte die Schuhe ab, zog Socken, Jackett und Hose aus, hängte alles sorgsam über den Stummen Diener und setzte mich auf den Stuhl.

Kurz darauf kehrte die Frau zurück, mit einem Kupferbecken voll schaumigen Wassers und einem Handtuch. Sie stellte das Becken vor mir ab, kniete sich hin und sagte: Bitte. Ich stellte meine Füße in das lauwarme Wasser. Schweigend wusch sie meine Füße. Sie knetete ein paarmal kräftig mit den Daumen meine Sohlen, zog an den Zehen und massierte die Knöchel. Dann trocknete sie mir die Füße ab, stand auf und, während sie das Becken hochhob, um es beiseite zu stellen, sagte sie mit weicher Stimme, aber doch bestimmtem Tonfall, der etwas Hypnotisches an sich hatte: Sie müssen schon ganz ablegen, sonst können wir nicht anfangen.


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