Literatur und Moral

Montag, den 31. August 2009

Eine Erwiderung auf D. G. Myers‘ „In Memoriam Truman Capote“ (»» Read the English Version)

••• Nachdem D. G. Myers‘ Beitrag »In Memoriam Truman Capote« nun auch in deutscher Übersetzung hier veröffentlicht ist, will ich endlich zu einer Antwort ansetzen. Man mag Capote mehr oder weniger oder gar nicht schätzen, aber was Myers hier dem exzentrischen Truman post mortem antut, kann man nicht unwidersprochen lassen.

Mindestens vier Behauptungen in Myers Beitrag gehen mir gegen den Strich. Es beginnt mit der, Capotes Romane vor »Kaltblütig« seien einzig Collagen von Angelesenem. Man könne das wohl, warum würde es sonst erwähnt, schon daran erkennen, dass Capotes Debüt »Other Voices, Other Rooms« erschien, als der Autor gerade einmal 24 Jahre alt war. Darauf nur zwei Dinge: Wer meint, man könne mit 24 Jahren nur Angelesenes zu sagen haben, hat sicher keine komplexe, von unsicheren Bindungen und Verlassenheit geprägte Kindheit durchlebt; und darüber hinaus ist es noch nie ein valides Kriterium zur Beurteilung von Literatur gewesen, ob der Autor auch jede Einzelheit des von ihm Erzählten selbst erlebt und durchlitten hat.

Gleich im Anschluss behauptet Myers, Capotes Prosa sei so eindeutig manieristisch, dass es kaum der Erwähnung bedürfe. Ich wüsste gern, worauf sich dieses Urteil gründet. »Frühstück bei Tiffany« – das habe ich hier schon zu Protokoll gegeben – halte ich für einen makellosen Roman. Er mag nicht erhellen, um welches Zentrum die Welt kreist, aber handwerklich lasse ich nichts auf dieses Buch kommen. Manieristisch – das war Capote selbst, seine Prosa ist es nicht. Ganz allein stehe ich mit dieser Ansicht nicht. Es war immerhin Norman Mailer (der durchaus das eine oder andere schwer zu verdauende Erlebnis mit Capote hatte), der einräumte:

Truman Capote ist der perfekteste Schriftsteller meiner Generation. Ich hätte keine zwei Wörter in »Frühstück bei Tiffany« ändern wollen.

Ein derart heftiges Pauschalurteil, wie es uns Myers hier liefert, müsste schon im Detail begründet werden. Einfach nur scharfzüngig hingeworfen kann ich es nicht akzeptieren.


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In Memoriam Truman Capote

Montag, den 31. August 2009

Ein Gastbeitrag von D. G. Myers
(Englische Originalversion v. 25. 08. 2009)

Truman Capote

••• Heute ist die Jahrzeit von Truman Capote, der fünfundzwanzigste Jahrestag seines Todes wegen einer »Lebererkrankung, kompliziert durch Venenentzündung und multipler Drogenvergiftung«, wie der Untersuchungsbeamte des Bezirks Los Angeles pflichtgemäß berichtete – wenngleich Jahrzeit womöglich nicht das passende Wort ist im Zusammenhang mit jemandem, der einst »die jüdische Mafia in der amerikanischen Literatur« attackierte, die »den Literaturbetrieb weitgehend kontrolliert« mithilfe von »jüdisch dominierten« Publikationen, die »das Schicksal von Schriftstellern in der Hand haben, indem sie ihnen Aufmerksamkeit schenken oder sie zurückhalten«.1

Die Provokation, die sich hinter Capotes Ausfall verbirgt, offenbart sich nicht auf den ersten Blick. Von »Commentary«, der am stärksten von Juden beherrschten Publikation von allen, kann kaum behauptet werden, dass sie »In Cold Blood« (»Kaltblütig«), überging, hat sie dieses Buch in ihrer Ausgabe vom Mai 1966 doch mit immerhin 2.200 Wörtern gewürdigt. William Phillips, der Rezensent, der zufällig auch die »Partisan Review« herausgibt, eine weitere von Juden beherrschte Publikation, räumte sogar ein, dass das Buch »auf seine Art gut« sei, wenn er auch die Frage hinzufügte – »wie in dem alten jüdischen Witz – ob ‚Kaltblütig‘ auch gut für die Literatur sei«.2 Vielleicht hatte Truman keinen Sinn für jüdischen Witz.


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D. G. Myers zu »Kaltblütig«

Mittwoch, den 26. August 2009

••• Ich lese mit andauernder Begeisterung D. G. Myers‘ »A Commonplace Blog«. Myers ist Associate Professer for English and Religious Studies an der Texas A&M University. Seine Artikel – publiziert in einschüchternder Länge und Frequenz – zeugen von seinem umfassenden Wissen nicht nur im Bereich der Literatur. Entdeckungen und neue Erkenntnisse sind garantiert, wenn man im »Commonplace Blog« stöbert.

Anlässlich meiner gestrigen Reminiszenz an Capote kam ich auf die Idee, Myers anzuschreiben und um einen Gastbeitrag zu Capote zu bitten. »Frühstück bei Tiffany« bescherte mir im letzten Jahr zwei glückliche Tage. Es ist nach meiner unmaßgeblichen Überzeugung einer der wenigen wirklich makellosen Romane, die ich je gelesen habe.

D. G. Myers sagte spontan zu und schickte wenig später seinen Beitrag. Ich hatte vor, ihn zu übersetzen und zeitgleich mit Myers Originalversion in seinem Blog hier im Turmsegler zu publizieren. Das ist mir nicht gelungen. Für die Übersetzung hätte ich sicher einen Tag gebraucht (und werde sie nachreichen, wenn die Turmsegler-Leser das wünschen). Vor allem aber war der Beitrag, als ich heute morgen (in anderer Zeitzone als Myers) erwachte, bei ihm bereits erschienen.


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Remembering Truman Capote

Dienstag, den 25. August 2009

A guest contribution by D. G. Myers

Truman Capote

••• Today is the yortsayt of Truman Capote—the twentieth-fifth anniversary of his death from „liver disease complicated by phlebitis and multiple drug intoxication,“ as the Los Angeles County coroner dutifully reported—although yortsayt may not be the best word to use in connection with someone who once attacked „the Jewish Mafia in American letters“ which „control[s] much of the literary scene“ through „Jewish-dominated“ publications that „make or break writers by advancing or withholding attention.“1

The provocation behind Capote’s rant is not immediately clear. Commentary, the most Jewish-dominated publication of them all, hardly withheld attention from In Cold Blood, devoting twenty-two hundred words to the book in its May 1966 issue. William Phillips, the reviewer, who also happened to edit the Partisan Review, another Jewish-dominated publication, even allowed that the book was „good in its own way,“ although he went on to ask—“as in the old Jewish joke—whether In Cold Blood was good for literature.“2 Maybe Capote could not take a Jewish joke.


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Finstere Bilanz

Montag, den 13. Juli 2009

J. D. Salinger 2009
J. D. Salinger (2009)

••• In den letzten zwei Wochen habe ich zum ersten Mal Salinger gelesen. Um welches Buch es sich handelte, muss man ja nicht erwähnen. Ich war enttäuscht und begeistert. Enttäuscht hat mich der nach meinem Geschmack völlig unspannende Ablauf dieser Teenager-Geschichte. Begeistert hingegen war ich von der für mein Gefühl sehr gut getroffenen Sprache, die Salinger seinem Helden Caulfield verpasst. Ich habe die aktuelle Ausgabe von Kiepenheuer & Witsch gelesen in der Übersetzung also von Eike Schönfeld von 1962 und offenbar im Jahr 2003 nachträglich in die neue deutsche Rechtschreibung übertragen, die mir an manchen Stellen wirklich Beschwerden bereitet. Es tut mir Leid. Auch wenn das sinnvoll ist, ich gewöhne mich nur allzu langsam daran und stocke jedes Mal wieder im Lesefluss.

Wie es möglich war, dass sich dieser Roman unterdessen sage und schreibe mehr als 75 Millionen mal verkauft hat, ist mir ein Mysterium. Als Autor ist Salinger nach diesem Streich verstummt und ist es bis heute – 40 Jahre später – geblieben. Ich finde das okay. Wer wollte einen Autor zwingen, Buch auf Buch zu schreiben, nur weil dieser Roman ein solcher Erfolg war?

D. G. Myers vom »Commonplace Blog« sieht das in seinem Beitrag »Suspended in literary amber«, den ich bei ihm – what a coincidence – vor wenigen Tagen las, weniger versöhnlich:

Like an overprotective parent, Salinger has fought desperately to prevent Holden from achieving independence, and the folie à deux has arrested the development of both. Among other things, The Catcher in the Rye is a less interesting novel because it has had no descendants and inheritors, only rivals and apes.