die strände die welle

Mittwoch, den 2. Mai 2007

für Undine Materni

Unsicher stehn wir auf den herzen der freunde Am strand stirbt der wind wenn er rastet wie Wir stürzen entkräftet ins meer Für sekunden ruhen wir atemlos aus Den kopf ins seegras geschmiegt Nimmt uns die welle kühl den staub von den stirnen Fort ist auch sie Müde des ansturms gegen die küsten Der matte schimmer den wir bemerkten auf ihrem verflachenden kamm War nur der widerschein helleren leuchtens In uns Wohin ihre kühle nicht reicht

© Benjamin Stein (1988)

••• Die Auflösung schreitet voran. Das „Andere Blau“ bewegt sich aufs Finale zu. Dieses Gedicht aus dem Off markiert das letzte Innehalten vor dem Abschied von Nadia und Richard. Geschrieben wurde es 1987 oder 1988 für Undine Materni.

Schon im „Libellenflügel“, dem Vorversuch zum „Anderen Blau“, hätte dieses Gedicht dieselbe Funktion haben sollen, die der Synkope vor dem Finale. „Der Libellenflügel“ endete am Meer…

Den Wellen zu

du mußt bleiben, sagt eine stimme, hier.

doch ich weiß, wer spricht; und ich höre nicht mehr auf die stimme. hinaus will ich, den wellen zu. ich kann nicht glauben, daß ich sie nicht mehr verstehen soll. so muß ich vorwärts, bis sie meine füße umspülen, den sand fort unter meinen nackten sohlen, wenn sie zurückfluten, als wollten sie mich zu fall bringen.

sie wollen mich nicht, denke ich. und ich gehe dennoch, weiter, fort von dem strand, hinaus in das wasser, hinaus in die weite…

die möwe fliegt auf von meiner schulter, fort, zieht einsam weite kreise über dem meer.

Aus dem Meer ist im „Blau“ ein See geworden. Aus der Einsamkeit eine Gemeinsamkeit. Oder ist es am Ende doch nur ein fremdes Nebeneinander? In zwei Tagen werden wir es wissen.

der tag geht hin in niemandes gewand

Sonntag, den 29. April 2007

Crow Jane © by aleksandra@deviantart.com

der tag geht hin in niemandes gewand
die wälder stehn bedrohlich schweigen dumpf
zu schwach die hand das hirn wie ausgebrannt
von liebe satt und alles denken stumpf

das große wort ging aus sich zu ermorden
die handvoll sterne war zu schnell verbraucht
gedanken kreisen nun in wilden horden
warn kaum idee und sind doch schon verraucht

was ich erdacht starb wirkungslos dahin
doch spreizte sich und gab sich aus für leben
es gab die zeit dem wort nur seinen sinn
und nahm ihn auch und machte es zu sand

der rabe kommt den letzten stoß zu geben
der tag geht hin in niemandes gewand

© Benjamin Stein (1988)

••• Meine erste bewusste Begegnung mit Sonetten hatte ich nicht bei Shakespeare sondern bei Brecht. Ich werde noch Beispiele bringen. Die strenge Form faszinierte mich; und ich wollte sie umgehend selbst erproben. Dieses Sonett war der erste Versuch. Es existieren noch weitere, die ich auch aufgehoben habe. Aber ich fürchte, der erste war auch der gelungenste Versuch.

Eine Änderung habe ich allerdings heute erst vorgenommen: Die letzten 6 Zeilen waren gemäß dem Reimschema auf zwei Terzette aufgeteilt, um der Formvorgabe auch wirklich gerecht zu werden. Das war vielleicht wichtig für einen Erstversuch. Heute darf ich da frei agieren und setze die drittletzte Zeile zum vorangehenden Terzett, wie es thematisch passt.

Das Gegenteil von Liebe

Sonntag, den 22. April 2007

Pod-z-Blitz Nr. 5••• Am 12. April war ich bei Michael Perkampus zu Gast. Am Wohnzimmertisch entspann sich ein inspirierendes Gespräch um Verlage, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Erzählens, Psychoanalyse und jüdische Mystik. Wir haben das Micro laufen lassen mit der vagen Vorstellung, am Ende einen Podcast zu schneiden. Michael hat sich die Heidenarbeit gemacht, die Essenz aus dem Gespräch zu ziehen, und er bringt heute das Ergebnis als 5. Sendung seines Podcasts Pod-z-Blitz.

Wenn schon von Psychoanalyse die Rede ist… Es mag verwundern, dass ich eine 12 Jahre alte Geschichte wie die Begegnung mit Günter Grass in solch emotionaler Deutlichkeit schildere. Dabei waren es nicht die Bemerkungen von Günter Grass, die damals beinahe mein Buch verhindert hätten. Es war die Kriecherei des Betriebs. Dummheiten geschehen. Uns allen. Aber sie sollten auch verjähren dürfen.

Die Geschichte meiner Begegnung mit Grass, nehme ich mir also vor, soll hier zum letzten Mal erzählt worden sein. Die Wirbellosigkeit des Betriebs im Umgang mit Autoren wird mich allerdings auch künftig leidenschaftlich aufregen, wo immer sie mir begegnen mag.

Anmerken möchte ich noch, dass „Das Alphabet des Juda Liva“ als Hardcover schliesslich bei Ammann in Zürich erschien, der als Verleger und Freund damals viel für mich getan hat. Bei dtv ist zwei Jahre später lediglich die Taschenbuchausgabe erschienen.

Pod-z-Blitz, Nr. 5 • Literarischer Podcast von und mit Michael Perkampus

Abschied

Sonntag, den 25. März 2007

Nie war es schwieriger, Abschied zu nehmen, als jetzt.
Doch die Zeit, Lebewohl zu sagen, ist gekommen.

Sag den verbotenen Küssen adieu.
Gib deiner Angst zum letzten Mal die Hand.
Lass die Prinzessin noch einmal deinen Kopf ausgraben.
Schau ihr lang ins Gesicht und liebe ihr Haar und ihr Auge
und den stolzen Schwung ihrer Stirn.
Sieh noch einmal hinein in den Rachen der Kinderträume.
Gib dich noch einmal der Verlassenheit hin
und lass deinen Atem stocken
im Spinnenkessel der Nacht.

Du kannst das Loch nicht mit Wasser stopfen.
Kein Kuss macht den Hunger wett.
Atme aus und ein und öffne die Augen
und jage die Herzvagabunden davon.

Sag: Adieu, die Zeit ist gekommen.
Gib deiner Angst zum letzten Mal die Hand.

© Benjamin Stein (2007)
aus: „Ein anderes Blau“

••• Nach einigem Überlegen habe ich mich entschlossen, das „Blau“ ausschliesslich über die Tag-Seiten und RSS-Feeds zu bringen und hier mit dem Turmsegler-Programm ganz wie gewohnt fortzufahren. Eine Ausnahme allerdings will ich machen. Die Gedichte aus dem „Blau“ werde ich, wenn die Reihe an sie gekommen ist, auch hier bringen. Denn Lyrik ist schliesslich das vornehmliche Turmsegler-Thema.

Dieses Gedicht hat für mich eine besondere Bedeutung ganz jenseits des Themas. Es war, nach einer Pause von vielen Jahren, das erste Gedicht, das den Weg zu mir gefunden hat. Ich hatte mehrere Jahre als Journalist gearbeitet, zig Hundert Artikel produziert. An Literatur war nicht zu denken.

Dieses Gedicht entstand an einem Abend in Paderborn. Ich hatte eine Wochenschulung bei Siemens zu geben, am frühen Abend ein wenig zu Fuss die Innenstandt erkundet und sass im Hotel am offenen Fenster.

Und da war es plötzlich da und musste nur noch notiert werden. Und ich wusste: Es geht noch.

An diesem Abend schlief ich lange nicht ein.

Ein anderes Blau

Donnerstag, den 22. März 2007

Ives Klein: Obsession de la lévitation (Foto: Harry Shunk)
Ives Klein: Obsession de la lévitation (Foto: Harry Shunk)

Das Tor ist offen… »