Träges Haar

Mittwoch, den 15. August 2007

A Girl With a Hat by ~borissov@deviantart
A Girl With a Hat — © by borissov@deviantart

ist der hut abgelegt
will das haar
noch lange nicht
zwanglos fallen
verloren schwebt
das medusenhaupt
durch eisige luft
und im blinden spiegel grüßen
dich müde augen und bannen
dein lachen
in stein

© Benjamin Stein (2007)

••• Die Tradition und deren männliche Hüter erwarten von der verheirateten jüdischen Frau, dass sie ihr Haar bedeckt – und zwar vollständig. Die Vorschrift beruht auf einem Nebensatz in der Torah (Bamidbar [Numeri] 4:21-7:89). Aus der Beschreibung der Sotah-Zeremonie, in deren Verlauf der Kohen im Tempel das Haar der vom Ehemann der Untreue verdächtigten Frau löste und so gewissermaßen zur Schau stellte, leitet man(n) ab, dass Haar Symbol und Gegenstand erotischer Anziehung ist und verdeckt werden müsse bei einer Frau, die anderen verboten ist.


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Beschlagene Scheiben

Freitag, den 3. August 2007

smokey window to my soul © macrocosm12@deviantart
smokey window to my soul © macrocosm12@deviantart

Du wirst den Dämonen
begegnen müssen.
Sie schleichen nicht fort,
wenn du bittest und schreist.

Sie haben gewaltige,
kräftige Arme
und greifen nach dir,
und halten dich klein.
Keine Nacht ohne Pochen
an beschlagenen Scheiben.
Kein Tag vergeht
ohne Angsthauch im Nacken.
Keine Stunde,
in der nicht
der Biss der Gespenster
dir plötzlich ins Innerste reißt.

Du wirst den Dämonen
begegnen müssen.
Sie lassen nur ab,
wenn du weißt.

© Benjamin Stein (2007)

••• Unfertig? Wie das meiste im Leben, wie wir selbst.

blaue stunde

Sonntag, den 1. Juli 2007

Smoke – © vikking20@deviantart.com

Smoke – © vikking20@deviantart.com

in der blauen stunde streift
meine zunge im schafspelz
geständnisse ab
an deiner haut

heute will ich auf steinen schlafen
hörst du mich sagen und
ehrlicher klirren die ketten nie
als am tag des verrats

in der blauen stunde
gehn die kinder durchs ried
und köpfen mit hölzernen schwertern
was vom schilf noch blieb

© Benjamin Stein (2007)

••• Das könnte der heutige Gegenentwurf sein zum Gedicht vom Donnerstag: in der Form wie im Inhalt. Ob es auch epigonal ist, müssen andere entscheiden…

Begegnung

Donnerstag, den 28. Juni 2007

Als wir begannen, schamlos zu betrachten
des andren Lippen, Augen, Hand und Haar
vergaßen wir sehr bald, darauf zu achten
was vorher uns die größte Angst noch war:
daß ohne Müh der andre uns erkennte.

Ich war darauf nicht sonderlich erpicht
daß mit dem ersten Wort uns nicht mehr trennte
Verschwiegenes, das meint: den kennst du nicht.

Sagt ich: Zur Offenheit gehört auch Mut
da riefst du: Feigling! Hast mich so genannt
und ich war stumm und Traurigkeit wohl da.

Doch wurd ich froh am Ende, als ich sah:
Wir hatten uns – trotz allem – doch erkannt.
Und wußt es: So – und nur so – war es gut.

© Benjamin Stein (1989)

bleierne wasser

Sonntag, den 27. Mai 2007

Listen to Water © 2004-2007 by Keizie

Listen to Water © 2004-2007 by Keizie@deviantart

seltsam verkleidet kehren
die sommer der kindheit
zurück in die stadt
meine kinder führen
mich plappernd umher
über asphaltwege
unter flirrender luft
schwappen bleierne wasser
in meine augen
und schwemmen das gras
das wuchernde gras und die disteln
aus meinem kopf / aus den höhlen
und füllen mich
aus

© Benjamin Stein (2007)