Neue Töne

Freitag, den 21. September 2007

Bright Eyes - © 2006-2007 by ~netnit@deviantart.com

Bright Eyes – © 2006-2007 by ~netnit@deviantart.com

Jetzt soll ich dir neue Töne erfinden,
und ich habe doch nur dieses eine Lied.
Ich sing es und rufe, und du antwortest nicht;
und Nebel fällt kalt ins Herz.

So wird es immer bleiben, nicht wahr?
Wir stehen im Herbst,
die Augen weit geschlossen,
und schwanken im Sturm unserer Träume.

© Benjamin Stein (1999)

••• Mir fiel gestern ganz plötzlich der Nebel kalt ins Herz. Und das rief die Erinnerung an diese Zeilen wach. Ich habe den Fliesstext wieder in die ursprüngliche Versform gebracht und das Partizip in der letzten Zeile entsorgt. Mit dem Verb scheint es mir doch stärker.

Liebeslied

Dienstag, den 11. September 2007

Morgenstern

es herrscht krieg im land:
eine bauernarmee
marschiert auf den hügeln
mit morgenstern, schild und posaunen

sie pflanzt feldzeichen auf
in meinen augen
sie hebt gräben aus
zwischen stirn und hals
und zieht stampfenden schritts
von schläfe zu schläfe
und schlagbäume trommeln im bauch

das herz willst du öffnen
mit bloßer hand
und mit küssen
die rippen
zerbrechen?

reiß auf die haut
die armee muss heraus
es herrscht krieg im land
meine liebe

© Benjamin Stein (2007)

••• Die Kommentare von eukapirates und Markus haben mich angestiftet. Die stampfende Bauernarmee ging mir schon den ganzen Tag über im Kopf um. Aber ich wusste noch nicht, worauf es hinaus wollte. Und nun hat sich das ganze so angerichtet.

versteinerte flügel

Montag, den 27. August 2007

Zaunkönig

ich muss mich fest
gegen die wände stemmen
das haus erweitern
in dem ich steh
die riemen sind
zu fest angezogen
und der brustkorb schmerzt
im korsett

ich erinnere mich
ans spannen der muskeln
ans atemholen und springen
von ufer zu ufer
zwischen welten
taumelnd

die zäune sind
niederzureißen
auf denen der könig
sein gefälschtes lied
vom bewahren singt
und kraftlos die längst
versteinerten flügel
hebt und vorzeigt
wie einen schatz

der zaunkönig will
seine krone verpfänden
und niemand soll singen
wo er einst
in der sicherheit
der gefangenschaft saß:

vogelhäuser
kasernenhöfe
tempel
fabriken
da capo!

© Benjamin Stein (2007)

••• Das ist der Nachteil daran, dass es wieder „fließt“. Plötzlich bekommt auch so eine Wut eine Stimme und steht dann im Gedicht wie etwas Endgültiges da. Aber das ist eine Täuschung.


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die wüsten kammern

Mittwoch, den 22. August 2007

Bat - © by Edward Gorey

Bat – © by Edward Gorey

nun saugt die fledermaus
an deinem puls
und spreizt die flügel
und ihr herr geht
ganz mondän
in leder eingeschnürt
die wüsten kammern
deines schlosses ab
er atmet tief und haucht
ein rauhes raunen
in die mauerritzen
im kerzenwiderschein
erkennt er sich
als schemen an der wand
kein spiegelbild
ein schatten nur
der sich verzerrt und flieht
sobald die dämmerung
aus deinen augen
steigt

© Benjamin Stein (2007)

Verdrängte Schatten

Dienstag, den 21. August 2007

cigarette - © 2004-2007 by ~5tellaWasADiver@deviantart.com

cigarette — © 2004-2007 by ~5tellaWasADiver@deviantart.com

mit einer zigarette taucht am abend
die traurigkeit der kindheit wieder auf
aus der erinnerung entsteigen narbend
gehüllt in rauch verdrängte schatten auf
zerfließen langsam malen an die wand
das bild des baums vorm haus: dem wind sich neigend
das mählich sich verzerrt und aus ihm steigend
erreicht im dunkel mich dann deine hand
die tröstend harte und sie will nicht weichen
beharrlich bleibt sie läßt nicht ab von mir
und wiederholt der liebe kalte zeichen
wie du mich einst ertrugst in dir und mir
das leben gabst: mit schmerz – gerade so
ruft mich dein schatten fort ins nirgendwo

© Benjamin Stein (1988)

••• Das ist eines der Gedichte, bei denen ich mir über die Jahre immer unsicher war, ob es nicht doch lieber zu vernichten sei. Das letzte Terzett schien mir immer misslungen, aber man kann, wenn so ein Text einmal „ausgeatmet“ ist, nicht ohne weiteres den Schluss durch einen anderen ersetzen. Das wäre mir – wunderlich vielleicht – doch unehrlich erschienen.

Nun, ich habe es trotz der Bedenken aufgehoben, möglicherweise weil es die Brücke zum Motiv des bei lebendigem Leib verbrennenden Rottenstein (nicht wirklich, oder doch?) im „Alphabet des Juda Liva“ gewesen sein könnte.