Wie sieht der Tod aus?

Mittwoch, den 21. Januar 2009

Ich fragte Vater: Wie sieht der Tod aus? Hat er eine körperliche Gestalt? Mutter versetzte mir einen leichten Klaps auf die Wange, als wollte sie etwas Störendes vertreiben und sagte zu Vater auf Jiddisch: »Schejale mit seine klatz Kasches!« (Schejale mit seinen dummen Fragen!) Aber später am Abend gab sie, wenn ich mich recht entsinne, meinen Bitten nach und flüsterte mir zu: »Der Todesengel hat einen Schlangenkopf, Hühnerbeine und den Körper eines Fisches. Er erscheint nur demjenigen, dessen Ende gekommen ist.« […]


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Die Fähigkeit zu sein

Montag, den 12. Januar 2009

Für Arye Sachs

Die Fähigkeit, ein Vogel zu sein,
ist, unter anderem, die Fähigkeit
stets ein passendes Klima zu wählen,
daher die Gabe, hoch aufzusteigen —
zu den Landschaften der Sonne.

Nicht so wie die Poeten, die all ihre Tage den Schatten
von Vögeln mit hellen Pupillen verfolgen
und die Worte wie Flugkörner hochhalten —
nur manchmal springen sie von Brücken und zerschmettern
in ihre stürmischen Gedichte hinein. Während die Vögel
gemächlich über die Brücken ziehen, über das Leben hin.

Asher Reich, aus: »akzente« 6/2008
Übersetzt von Lydia und Paulus Böhmer

••• Wie schon berichtet, bescherte mir die Lektüre von »akzente« 6/2008 eine Neuentdeckung: Asher Reich. Der israelische Lyriker wuchs genau in jenem Milieu auf, das ich in der »Leinwand« als die Kindheitsumgebung von Amnon Zichroni beschreibe. Bis zu seinem 18. Lebensjahr lebte Reich im haredischen Meah Shearim – abgeschottet von der modernen Welt.

Während jedoch Zichroni, was die Dichtung angeht, nie etwas anderes als »Leser« sein wollte, drängte es Reich zum Schreiben.

Der Schriftkundige hatte die Sprachen der Welt zu lernen, Jargon und Tonarten der profanen Zeit, politisches und technisches Vokabular des modernen Staates und seiner Propaganda, die Geheimsprachen der Liebe, des Körpers, der Seele, Dialekte des täglichen Lebens und der Straße, akademische, literarische Hypertrophien.

Christoph Meckel


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dann wieder muss ich mich gedulden

Mittwoch, den 7. Januar 2009

mein beruf ist anstrengend
ich muss die anima der dinge suchen
ich habe die pflicht sie zu betrachten
und ihr verhältnis zueinander neu zu ordnen
jene kleine anhäufung der leeren dosen dort
sie hat doch eine botschaft
dann wieder muss ich mich gedulden
bis die dinge ihre schönheit der zerrüttung preisgeben
ich muss die vögel beruhigen
die nachts um meinen schlaf schwirren
und muss sie schützen vor dem willkürlichen licht

© SAID (2008), aus: »akzente« 6/2008

••• Ich lese sehr langsam derzeit und vor allem wissenschaftliche Bücher, die sich mit Aspekten des Themas beschäftigen, das möglicherweise zum Thema eines neuen Romans werden wird. So sind auch einige Literaturzeitschriften ungelesen liegengeblieben. Gestern habe ich immerhin Heft 6/2008 der »akzente« aus dem Stapel gefischt und durfte mich über eine Wiederbegegnung mit SAID freuen. »akzente« bringt einen Zyklus von SAID und Asher Reich, ein poetisches Zwiegespräch.

SAID erreicht mich durchaus nicht immer, aber mit einigen Gedichten aus diesem Zyklus hat er mir Freude gemacht.

Von Asher Reich ein andermal mehr.