Ich glaubte lange Zeit, ich hätte so etwas wie einen sechsten Sinn. Nicht, dass ich tote Menschen sah oder etwas Vergleichbares, das man für übernatürlich hätte halten können. Es war eher das Gegenteil der Fall. Ich glaubte, ein Gespür zu haben für das wirklich Vitale in Menschen, die ich traf und die oft meine Hilfe suchten. Ein Gespür dafür, was sie antrieb oder hinderte, etwas zu tun, dafür, wovon sie zehrten, für jenen Kern in ihnen, den sie selbst in einem offenen Moment vielleicht als ihr Ich bezeichnet hätten.
Was einen Menschen ausmacht, das steht ihm nicht ins Gesicht geschrieben. Es lässt sich nicht dem Klang seiner Stimme ablauschen. Man kann es nicht riechen und schmeckt es nicht einmal aus dem Tropfen Schweiss auf der Schläfe im Augenblick der Angst. Wollte man sich auf Berührungen verlassen, wäre man ganz verloren, denn Tastender und Berührter vermischen sich in der Berührung, und man kann nie sagen, ob man nicht mehr von sich selbst wahrnimmt in einem solchen Moment als von dem Menschen, den man zu erkennen hofft. Auch eine Mischung aus all dem ist es nicht. Nein, das, wovon ich hier spreche, ist mit den uns für gewöhnlich verfügbaren Sinnen nicht zu fassen.
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