Zizit

Donnerstag, den 28. Februar 2008

Zizit

••• Heute kam ich mir vor wie ein Schreibschüler. Es gibt Augenblicke, da wünscht man sich die realistische Beschreibungskraft eines Ivan Bunin. Heute hätte ich sie gebraucht. Ob die Portion eigenes Talent hingereicht hat heute, da bin ich mir noch nicht sicher.

Zichronis Vater führt in Geula ein Geschäft für Taleisim. Dass wir ihn genau beobachten beim Knüpfen der Zizit, das ist bedeutsam für den Höhepunkt des Kapitels: eine wortlose Geste zwischen Vater und Sohn, die Zichroni so viel bedeutet, dass er sich nach Jahren noch daran erinnert. Diese Geste bliebe völlig unverständlich und somit bedeutungslos für den Leser, würde man ihn nicht zuvor eingeweiht haben in das Mysterium der Fäden, Windungen und Knoten…


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Die Leinwand (Z.01)

Dienstag, den 26. Februar 2008

••• Tatsächlich bin ich beim erneuten lauten Lesen wie vermutet noch über das eine oder andere gestolpert. Eine Korrektur werde ich noch machen. Dann lege ich dieses Kapitel erst einmal ab.

Das Nachdenken über meinen Besuch am Sonntag bei B. W. hat mich heute noch sehr beschäftigt. Das Gespräch – ich war über neun Stunden bei ihm – hat der geplanten Geschichte doch eine neue Wendung gegeben – in einem kleinen, aber doch sicher entscheidenden Detail.

Wozu ich mich auch entschlossen habe: Ich werde bewusst abrücken, von bestimmten Örtlichkeiten und biographischen Details, die vor dem Hintergrund der zugänglichen Veröffentlichungen zum Fall den Eindruck des Dokumentarischen erwecken könnten. Dem Plot tut das nicht im geringsten weh.

Was ich bedaure, dass die Person, die meine eine Hauptfigur – Amnon Zichroni – inspiriert, sicher nicht mit mir sprechen wird. B. W. hat das unmissverständlich zu verstehen gegeben. Wie heftig und mit welch widerlichen Methoden die Presse in diesem Fall allen Beteiligten zugesetzt haben muss, das war schon eine erschreckende Erkenntnis.

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Gabe und Strafe (5)

Donnerstag, den 14. Februar 2008

Gemara - Mesechet Brachot
Gemara – Mesechet Brachot

«« Gabe und Strafe (4)

Gefallen waren die Namen – Freud, Jung, Poe und Wilde – in einem Gespräch über den Talmud-Traktat, den ich gerade in der Yeshivah lernte: Brachot. Ich hatte ihn fast beendet, und nach vielen, vielen grossen Folioseiten voller trickreicher Gesetzesherleitungen war ich auf eine der geliebten, weil entspannenden aggadischen Passagen gestossen, keine Gesetze, keine Berechnungen, sondern Geschichten – und zwar über Träume, ihre Deutung und Bedeutung, zwei Dinge, die, wie man aus der Gemara lernen konnte, durchaus zwei völlig unterschiedliche Dinge waren.

Der Satz, der eben jene Passage einleitete, hatte mir Schwierigkeiten bereitet: Ein ungedeuteter Traum, hiess es dort, ist wie ein ungelesener Brief. Und weiter hiess es: Alle Träume folgen dem Mund. Ganz gleich, lehrten die Weisen, was wir sähen in einem Traum, Bedeutung würde es nur durch die Deutung erlangen. Einmal ausgesprochen aber hätte die Deutung Bestand und würde sich erfüllen.


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Gabe und Strafe (4)

Mittwoch, den 13. Februar 2008

Bookshelf

«« Gabe und Strafe (3)

Leichter, wenn auch nur ein wenig, liess sich die Frage klären, was sich hinter der stets verschlossenen Tür zum Elternzimmer verbarg. Doch wie bei so vielen Fragen in meinem Leben, so drängend sie mir auch erschienen waren, löste ich sie nicht selbst, nicht durch Raten, Erkundigungen, Forschen, nicht durch eine Tat. Die Antwort wurde mir vor die Füsse gelegt, und zwar im Wortsinne, nämlich in Gestalt eines der beiden Schlüssel, die meine Eltern für gewöhnlich immer bei sich trugen.


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Gabe und Strafe (3)

Dienstag, den 12. Februar 2008

Meah Shearim
Meah Shearim

«« Gabe und Strafe (2)

Die neue Wohnung lag nur wenige Strassen von der alten entfernt. Für den Umzug liehen meine Eltern sich Leiterwagen von den Nachbarn aus. Zwei Jungen aus der Nachbarschaft halfen beim Tragen. Und das, obwohl die Nachbarn unverhohlen missbilligten, dass wir nicht im Viertel blieben. Das neue Haus nämlich, wenn auch nur wenig mehr als zweihundert Meter vom alten Haus entfernt, gehörte bereits zu einer anderen Welt.


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Gabe und Strafe (2)

Montag, den 11. Februar 2008

Meah Shearim

«« Gabe und Strafe (1)

Geboren wurde ich in Meah Shearim, Yerushalayim, einem der Epizentren jüdischer Gottesfürchtigkeit. Ich war der erste Sohn nach drei Töchtern und ganze fünfeinhalb Jahre jünger als meine älteste Schwester. Dies war in unserer Nachbarschaft alles andere als ungewöhnlich. Einzig das Alter meiner Eltern hätte als auffällig gelten können, denn sie waren bereits ein gutes Stück über dreissig. Dafür konnte es an einem Ort wie diesem nur drei Erklärungen geben. Entweder waren sie Sitzengebliebene, weil irgendetwas in den jeweiligen Familien nicht ganz koscher gewesen war: ein unheilvolles Walten des Bösen Blicks beispielsweise, Synonym für lebensbedrohliche Melancholie, oder aber unbezähmbare Teives, die, Gott behüte, ein Mitglied der Familie vom einzig wahren Weg der Torah abgebracht hatten. Als zweite Möglichkeit kam in Betracht, dass es nicht ihre erste Ehe war. Und die dritte mögliche Erklärung, nämlich dass ihre jüdischen Wurzeln nicht bis unmittelbar an den Fuss des Berges Sinai zurückreichten, hätte einen kaum geringeren Makel bedeutet.


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Gabe und Strafe (1)

Sonntag, den 10. Februar 2008

Ich weiss es nicht. Ich bin mir wirklich unsicher, ob ich diese, meine Fähigkeit eine Gabe nennen soll. Täte ich es, wer, müsste ich fragen, wäre der Gebende gewesen? Dort, woher ich komme, gibt es auf eine solche Frage nur eine Antwort: Ha-Kadosh baruch-hu, der Heilige, gelobt sei er; oder aber Satan, der ewige Versucher, und es hätte einzig an mir gelegen, den Beweis der tatsächlichen Herkunft dieses Geschenks anzutreten. Denn jeder Gabe, so hätte man mir gesagt, wohne das Potential des Guten wie auch des Bösen inne, und es läge letztendlich immer in der Hand des Beschenkten, das Geschenk zu einem Segen oder einem Fluch zu machen.


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