Voraussetzungen für Dichtung
Dienstag, den 15. April 2008Ein Gastbeitrag von Wladimir Majakowski
••• Welche Voraussetzungen sind nun für den Beginn einer dichterischen Arbeit nötig?
Ein Gastbeitrag von Wladimir Majakowski
••• Welche Voraussetzungen sind nun für den Beginn einer dichterischen Arbeit nötig?
Ein Gastbeitrag von Wladimir Majakowski
••• Bei einem dichterischen Produkt ist Neuheit Vorbedingung. Das Material an Worten und Wortzusammenstellungen, das sich dem Dichter bietet, muss umgearbeitet werden. Wenn zur Versfabrikation Wortschrott verwendet wird, muss er sich in genauer Übereinstimmung mit der Menge des neuen Rohstoffes befinden. Von der Quantität und Qualität dieses Neuen wird es abhängen, ob eine solche Legierung Gebrauchswert besitzt.
Neuheit setzt selbstverständlich nicht das dauernde Aussprechen welterschütternder Entdeckungen voraus. Jambus, freier Vers, Alliteration, Assonanz werden nicht jeden Tag neu geschaffen. Auch ihre Fortentwicklung, Vertiefung, Verbreitung bietet Arbeitsmöglichkeiten.
Ein Gastbeitrag von Wladimir Majakowski
••• Noch einmal mache ich sehr entschieden den Vorbehalt: Ich gebe keinerlei Regeln, wie man Dichter werden, wie man Verse schreiben soll. Solche Regeln gibt es überhaupt nicht. Dichter heißt gerade einer, der diese Regeln für die Dichtkunst schafft. Zum hundertsten Male führe ich mein bis zum Überdruss bekanntes Beispiel an.
Ein Mathematiker ist ein Mensch, der mathematische Regeln schafft, ergänzt, entwickelt, der einen neuen Beitrag zur mathematischen Wissenschaft liefert. Der Mann, der als erster die Formel »2+2=4« fand, ist ein großer Mathematiker, selbst dann, wenn er diese Wahrheit aus der Addition von je zwei Zigarettenstummeln gewonnen hat. Alle Nachfolgenden, mögen sie auch unendlich größere Dinge addiert haben, zum Beispiel eine Lokomotive und noch eine Lokomotive – alle diese Leute sind keine Mathematiker. Diese Feststellung setzt keineswegs die Arbeit desjenigen herab, der die Lokomotiven zusammenzählt. Seine Arbeit kann in Tagen einer Transportkrise hundertmal wertvoller sein als ein nackter arithmetischer Lehrsatz.
Ein Gastbeitrag von Wladimir Majakowski
••• Über dieses Thema muss ich schreiben.
In zahlreichen literarischen Diskussionen, im Gespräch mit jungen Mitarbeitern verschiedener Schriftstellerverbände (RAP, TAP, PAP und wie sie alle heißen mögen), bei der Auseinandersetzung mit Kritikern war ich oft gezwungen, die alte Lehre von der Dichtkunst wenn nicht umzustoßen, so doch mindestens zu diskreditieren. Der völlig unschuldigen alten Dichtkunst selbst haben wir natürlich kaum ein Haar gekrümmt. (Sie bekam nur etwas ab, wenn allzu eifrige Verteidiger des alten Krempels vor der neuen Kunst hinter den breiten Rücken der Denkmäler Deckung suchten.)
Umgekehrt: indem wir die Denkmäler von ihren Piedestalen herunterholten und sie geräuschvoll hin und her zerrten, haben wir den Lesern erst die »Großen« von einer völlig unbekannten, noch unerforschten Seite gezeigt.
Kinder (junge literarische Richtungen ebenfalls) interessieren sich immer dafür, wie das Schaukelpferd von innen aussieht. Nach den Bemühungen der »Formalisten« liegen die Eingeweide der papiernen Rösser und Elefanten offen zutage. Sollten die Pferde dabei einigen Schaden davongetragen haben – Entschuldigung! Mit der Poesie der Vergangenheit herumzustreiten, ist nicht unseres Amtes sie ist für uns Lehrstoff.
••• Einen Gastbeitrag ganz besonderer Art kann ich heute ankündigen. Es handelt sich sogar um eine Reihe von Gastbeiträgen, also gewissermaßen eine Gastkolumne.
Das Thema ist schwergewichtig: Was ist Dichtung? Und: Wie schreibt man Verse? Dass ich keinen Zweifel daran hege, dass der Kolumnist uns Wesentliches zu sagen haben wird, das wird nicht verwundern, wenn ich den Namen des Autors nenne: Wladimir Majakowski.
Er hat übrigens zugesagt, sich an allfälligen Diskussionen hier im Turmsegler zu beteiligen.