Ingeborg Bachmann: Kriegstagebuch

Dienstag, den 20. April 2010

Ingeborg Bachmann. Kriegstagebuch (Suhrkamp)••• Zurück aus Hamburg erreicht mich heute eine Büchergeschenksendung von der Herzdame. Im Päckchen liegt ein schmaler grauer Band aus dem Hause Suhrkamp. Neues von der Bachmann? Kann es das noch geben? Ja, es kann. Hans Höller hat sich die Mühe gemacht, das »Kriegstagebuch« der Bachmann aus der Zeit Spätsommer 1944 bis Frühsommer 1945 (da war sie 18-19) aus dem Nachlass zu edieren.

Bevor die eingefleischten Bachmann-Fans vor Freude im Quadrat springen, muss man ein wenig Erwartungsmanagement betreiben. Das Tagebuch selbst besteht aus 15 1/2 großzügig gesetzten Seiten. Ich habe es heute früh in der U-Bahn gelesen, also innerhalb 15 Minuten. Man muss sich schon überlegen, ob man dafür 15,80 € auf den Zahlteller legen möchte. Herausgeber Höller wird sich das auch gefragt haben und liefert denn auch noch einiges an Material, das nicht von der Bachmann stammt, aber Licht auf dieses letzte Kriegsjahr und noch mehr auf das erste Friedensjahr wirft. Denn man hätte das Tagebuch mit wenigstens gleichem Recht auch »Friedenstagebuch« nennen können. Mehr als die Hälfte des Textes befasst sich nämlich mit Erlebnissen der Bachmann nach dem Eintreffen der Briten. In einen von ihnen – Jack Hamesh – verliebt sich die Bachmann.


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14 Arten, den Regen zu beschreiben

Sonntag, den 15. Februar 2009

Hanns Eisler im Gespräch mit Bertolt Brecht
Hanns Eisler im Gespräch mit Bertolt Brecht (Quelle: Bundesarchiv)

••• Ich habe eine Schwäche für Eislers »Neue deutsche Volkslieder«. (»Es sind die alten Weisen, die neu in uns erstehn…«) Während meiner (zu kurzen) Gesangsausbildung habe ich sie allesamt einstudiert. Damals stieß ich in einer Eisler-Werkliste auf einen Titel, den ich nie vergessen habe: »14 Arten, den Regen zu beschreiben«. Gehört habe ich das Stück jedoch nie. Gestern fiel mir der Titel wieder ein, als ich über »Todesarten« assoziierte.

Bei Classics Online, einem MP3-Download-Portal (320kbps und kein DRM!) des Classic-Labels Naxos, habe ich nun eine Aufnahme gefunden.

Irgendwo habe ich gelesen, das Wort »Todesarten« sei in sich falsch. Es müsse »Sterbearten« heißen, denn während es viele Varianten des Sterbens gäbe, wäre das Ergebnis, das Tot-Sein immer das gleiche. Das Argument ist nur auf den ersten Blick einleuchtend. Es ist ein atheistisches Argument, lassen doch fast alle Religionen Raum für individuelle Fortsetzungen nach dem Sterben. Das Wort »Todesarten« bezeichnet allerdings nicht das Danach, sondern tatsächlich die Arten des Sterbens. Man muss ja aber, würde man das Wort als themengebenden Titel wählen, es nicht bei dieser Bedeutung belassen.


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Herzzeit

Donnerstag, den 4. September 2008

Ingeborg Bachman / Paul Celan: Herzzeit (Briefwechsel)
Ingeborg Bachman / Paul Celan: Herzzeit (Briefwechsel)

Ich habe Dich heute lieb und so gegenwärtig…

••• Weil mir heute so verliebt zumute ist, kommt hier ein Post ganz speziell für die Herzdame, die vor lauter Blog-Verfolgen (und allerhand anderen unaufschiebbaren Dingen) gar nicht mehr zum Bücherlesen kommt. Nicht zum Lesen von gedruckten und zum Lesen von noch nicht gedruckten schon gar nicht. Das ist schade. Aber was soll man machen.

Damit ihr diese Perle, die ich vor einigenTagen erstanden habe, nicht ganz entgeht, hier also eine Kostprobe aus „Herzzeit“, einem Band aus dem Suhrkamp-Verlag, der den Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan dokumentiert – eine wunderbare, aber ziemlich komplexe Liebesgeschichte…


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Aria I

Freitag, den 9. Februar 2007

The Lone Leaf - © 2006-2007 ~Kyra-Wolf

Wohin wir uns wenden im Gewitter der Rosen,
ist die Nacht von Dornen erhellt, und der Donner
des Laubs, das so leise war in den Büschen,
folgt uns jetzt auf dem Fuß.

Wo immer gelöscht wird, was die Rosen entzünden,
schwemmt Regen uns in den Fluß. O fernere Nacht!
Doch ein Blatt, das uns traf, treibt auf den Wellen
bis zur Mündung uns nach.

Ingeborg Bachmann

••• Noch eine Assoziation zu Gabriela Mistral:

Die Seele wird dem Körper sagen, sie trüge
das Gewicht des Leibes auf dem Rosenweg nicht weiter …

Bei diesem Vers aus den „Sonetten des Todes“ musste mir einfach die „Aria I“ einfallen.

Die gestundete Zeit

Montag, den 1. Januar 2007

Es kommen härtere Tage.
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.
Bald mußt du den Schuh schnüren
und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.
Denn die Eingeweide der Fische
sind kalt geworden im Wind.
Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.
Dein Blick spurt im Nebel:
die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.

Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand,
er steigt um ihr wehendes Haar,
er fällt ihr ins Wort,
er befiehlt ihr zu schweigen,
er findet sie sterblich
und willig dem Abschied
nach jeder Umarmung.

Sieh dich nicht um.
Schnür deinen Schuh.
Jag die Hunde zurück.
Wirf die Fische ins Meer.
Lösch die Lupinen!

Es kommen härtere Tage.

Ingeborg Bachmann, aus: „Die gestundete Zeit“
R. Piper & Co. Verlag 1957

Die gestundete Zeit.••• Schaut man sich die bislang hier zitierten Autoren an, könnte man meinen, die Männer hätten mir mehr mitzuteilen als die Dichterinnen. Das Gegenteil ist der Fall. Es waren und sind immer wieder vor allem Texte von Frauen, die mich inspirieren und lange Zeit begleiten. In den nächsten Tagen wird das auch auf dem Turmsegler spürbar werden.

Wenn ich Dichterinnen sage, beginnt und endet meine Assoziation mit Ingeborg Bachmann. Zum Neujahrstag sei den Lesern die „Gestundete Zeit“ in Erinnerung gerufen: Es kommen härtere Tage.

Allen Turmsegler-Lesern wünsche ich Gesundheit und gutes Gelingen beim Bestehen der vielen Herausforderungen – und immer genügend Zeit für eine tägliche Dosis Poesie.

Erklär mir, Liebe

Dienstag, den 12. Dezember 2006

Dein Hut lüftet sich leis; grüßt, schwebt im Wind,
dein unbedeckter Kopf hat’s Wolken angetan,
dein Herz hat anderswo zu tun,
dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein,
das Zittergras im Land nimmt überhand,
Sternblumen bläst der Sommer an und aus,
von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,
du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,
was soll dir noch geschehen –

Erklär mir, Liebe!

Der Pfau, in feierlichem Staunen, schlägt sein Rad,
die Taube stellt den Federkragen hoch,
vom Gurren überfüllt, dehnt sich die Luft,
der Entrich schreit, vom wilden Honig nimmt
das ganze Land, auch im gesetzten Park
hat jedes Beet ein goldner Staub umsäumt.

Der Fisch errötet, überholt den Schwarm
und stürzt durch Grotten ins Korallenbett.
Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion.
Der Käfer riecht die Herrlichste von weit;
hätt ich nur seinen Sinn, ich fühlte auch,
daß Flügel unter ihrem Panzer schimmern,
und nähm den Weg zum fernen Erdbeerstrauch!

Erklär mir, Liebe!

Wasser weiß zu reden,
die Welle nimmt die Welle an der Hand,
im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.
So arglos tritt die Schnecke aus dem Haus!

Ein Stein weiß einen andern zu erweichen!

Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann:
sollt ich die kurze schauerliche Zeit
nur mit Gedanken Umgang haben und allein
nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?
Muß einer denken? Wird er nicht vermißt?

Du sagst: es zählt ein andrer Geist auf ihn…
Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander
durch jedes Feuer gehen.
Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.

Ingeborg Bachmann (1926-1973)

••• Wenn wir bei Liebeslyrik sind, darf dieses Gedicht nicht fehlen. Das Wort Salamander ist für mich ganz durch dieses Gedicht geprägt. Und wo immer ich es verwende, schwingt Bachmanns Salamander aus „Erklär mir, Liebe“ mit.

Für Freunde des Werks von Ingeborg Bachmann sei an dieser Stelle auf eine beeindruckende Online-Kompilation ihres Werks hingewiesen. Das von Ricarda Berg gestaltete Ingeborg Bachmann Forum zu durchstöbern, erfordert Zeit! Soll keiner sagen, ich hätte nicht gewarnt.