Worin die Notwendigkeit liegt

Mittwoch, den 28. Oktober 2009

Ilse Aichinger
Ilse Aichinger (*1921)

••• Das ist mal wieder eine Fügung: Vor einigen Tagen erst dachte ich unvermittelt an Günter Eich und seine »Träume«-Hörspiele, über die ich schon lange einmal hier schreiben will, es aber immer wieder aufschiebe; und heute erreicht mich via @Hilbi ein Tweet mit Hinweis auf ein Interview mit Ilse Aichinger, die – was ich bis eben gar nicht wusste – 19 Jahre mit Günter Eich verheiratet war.


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Kurz vor dem Regen

Freitag, den 16. März 2007

laundry in the rain © 2007 by eunoia@deviantart.com

Gleich wird es regnen, nimm die Wäsche herein!
Auf der Leine die Klammern schwanken.
Ein Wolkenschatten verdunkelt den Stein.
Die Dächer sind voller Gedanken.

Sie sind gedacht in Ziegel und Schiefer,
gekalkten Kaminen und beizendem Rauch.
Mein Auge horcht den bestürzten Worten, –
o lautloser Spruch aus dem feurigen Strauch!

Ein Schluchzen beginnt in mir aufzusteigen.
Die wandernden Schatten ändern den Stein.
Ein Windstoß zerrt an den flatternden Hemden.
Gleich regnet es. Hol die Wäsche herein.

Günter Eich, aus: „Botschaften des Regens“
© Suhrkamp Verlag 1955

••• Wäsche, Regen und Schluchzen. Beim Lesen von „Walking around“ kam mir dieses Gedicht von Günter Eich in den Sinn. Daher ein kleines Abschweifen von den Lateinamerikanern.

Irgendwo habe ich mal gelesen, es gäbe die Eich-Fraktion und die Celan-Fraktion; und da gäbe es kein Zusammenkommen. Das kümmert mich gar nicht. Ich mag sie beide.

Ende August

Dienstag, den 20. Februar 2007

Natural Architecture - © 2003-2007 ~eigenart@deviantart.com

Mit weißen Bäuchen hängen die toten Fische
zwischen Entengrütze und Schilf.
Die Krähen haben Flügel, dem Tod zu entrinnen.
Manchmal weiß ich, daß Gott
am meisten sich sorgt um das Dasein der Schnecke.
Er baut ihr ein Haus. Uns aber liebt er nicht.

Eine weiße Staubfahne zieht am Abend der Omnibus,
wenn er die Fußballmannschaft heimfährt.
Der Mond glänzt im Weidengestrüpp,
vereint mit dem Abendstern.
Wie nahe bist du, Unsterblichkeit, im Fledermausflügel,
im Scheinwerfer-Augenpaar,
das den Hügel herab sich naht.

Günter Eich, aus: „Botschaften des Regens“
© Suhrkamp Verlag 1955

Ich glaube nicht an den lieben Gott. Wie käme ich dazu. Auch an Vorbestimmung glaube ich nicht; es gibt nichts, was unser Leben lenkt. Alles, was geschieht, geschieht rein zufällig, außer, wir haben es entsprechend eingerichtet. Manchmal kommt es dann trotzdem ganz anders und manchmal haben wir Glück. Und manchmal beides zusammen.

••• So beginnt Petra Hofmanns Erzählung „Ach, mein Joseph“, die ich in der letztens hier besprochenen Ausgabe von „entwürfe“ gelesen habe. „Uns aber liebt er nicht“, lässt sich das Ich bei Günter Eich vernehmen, das also die Existenz Gottes selbst nicht gleich leugnet.

Ich teile weder die eine noch die andere Ansicht und finde doch in beiden etwas Wahrhaftiges. Eingangs des täglichen jüdischen Hauptgebets, der „Sch’mone Essre“, heisst es: G’tt, gross, mächtig und furchtbar

Von lieb ist keine Rede.


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Botschaften des Regens

Montag, den 12. Februar 2007

Pouring down with Rain - ©2006-2007 TheHumanFly@deviantart.com

Nachrichten, die für mich bestimmt sind,
weitergetrommelt von Regen zu Regen,
von Schiefer- zu Ziegeldach,
eingeschleppt wie eine Krankheit,
Schmuggelgut, dem überbracht,
der es nicht haben will –

Jenseits der Wand schallt das Fensterblech,
rasselnde Buchstaben, die sich zusammenfügen,
und der Regen redet
in der Sprache, von welcher ich glaubte,
niemand kenne sie außer mir –

Bestürzt vernehme ich
die Botschaften der Verzeiflung,
die Botschaften der Armut
und die Botschaften des Vorwurfs.
Es kränkt mich, daß sie an mich gerichtet sind,
denn ich fühle mich ohne Schuld.

Ich spreche es laut aus,
daß ich den Regen nicht fürchte und seine Anklagen
und den nicht, der sie mir zuschickte,
daß ich zu guter Stunde
hinausgehen und ihm antworten will.

Günter Eich, aus: „Botschaften des Regens“
© Suhrkamp Verlag 1955


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