Santiago, New York und Isla Negra

Donnerstag, den 29. September 2016


Statue der Inmaculada auf dem San Cristóbal

••• Es fällt mir schwer zu schreiben. Dabei bin ich an einem Sehnsuchtsort. Vierunddreißig Jahre habe ich darauf gewartet, einmal durch die Straßen von Santiago de Chile zu gehen. Jetzt bin ich hier. Und wäre ich im Vollbesitz meiner Kräfte, würde es nicht mehr als diese Fakten brauchen, um einen ganzen Regenbogen an Geschichten aufzuspannen. Aber es fällt mir schwer zu schreiben. Wie kann das sein?

Als ich vor fast einem Jahr die Einladung zum Filba-Festival in Buenos Aires erhielt, war mir sofort klar, dass ich diese Gelegenheit nutzen würde, um nach Chile zu reisen. Drei Dichter, die mich maßgeblich geprägt haben, stammen von hier: Gabriela Mistral, Pablo Neruda und Antonio Skármeta. Dabei war Skármeta derjenige, über den mir die beiden anderen überhaupt erst wirklich zugänglich wurden.


Den ganzen Beitrag lesen »

Ballade

Freitag, den 23. März 2007

Er ging mit einer anderen vorbei,
und ich sah ihn gehn.
Samten der Wind,
im Frieden der Weg.
Meine armen Augen,
sie sahen ihn gehn!

Er liebt eine andere
im blühenden Land.
Der Weißdorn brach auf,
vorbei weht ein Lied.
Er liebt eine andere
im blühenden Land!

Er küßt eine andere
am Meeresstrand.
In den Wogen sank unter
weiß blühend der Mond.
Und mein Blut färbte nicht
die Weite des Meers!

Er wird mit der anderen
auf ewig gehn.
Heiter der Himmel.
(Gott hüllt sich in Schweigen.)
Er wird mit der andern
auf ewig gehn.

Gabriela Mistral
Übertragung: Albert Theile
© der Übertragung Luchterhand 1958

••• Dieses Gedicht erinnert mich an eine Schallplatte, die mir mein Grossvater vor vielen, vielen Jahren von einem Kuraufenthalt auf Kuba mitgebracht hat. Ich sehe noch genau das Cover vor mir, und habe noch die Boleros und Balladen im Ohr. An den Namen der Sängerin erinnere ich mich nur vage. Ich glaube, es war Miriam Ramos. Ich habe ja nichts verstanden, aber es muss pausenlos um Liebe gegangen sein in diesen Liedern.

Und das Gedicht erinnert mich auch an eine meiner liebsten CDs. Da singt Nina Simone einen Text von Jesse Mae Robinson:

The other woman finds time to manicure her nails
The other woman is perfect where her rival fails
And she’s never seen with pin curls in her hair

The other woman enchantes her clothes with french perfume
The other woman keeps fresh cut flowers in each room
There are never toys that’s scattered everywhere

And when her baby comes to call
He’ll find her waiting like a lonesome queen
‚Cos when she’s by his side
It’s such a change from old routine

But the other woman will always cry herself to sleep
The other woman will never have his love to keep
And as the years go by the other woman
Will spend her life alone

Ich würde das ja gern in den Podcast leiten; aber dann stehen gleich die bösen Anwälte der Musikindustrie auf der Matte…

Preß nicht meine Hände

Donnerstag, den 22. März 2007

Preß nicht meine Hände!
Die Zeit wird kommen, die lang dauernde,
des Ausruhn´s mit viel Staub und Schatten
in den verflochtenen Fingern.

Du möchtest sagen: „Ich kann
sie nicht lieben, denn ihre Finger lösten sich schon,
wie aus der Samenhülle das Korn“.

Küß nicht meinen Mund!
Der Augenblick wird kommen, erfüllt
von erlöschendem Licht, da ich ohne Lippen
sein werde, auf nasser Erde.

Du möchtest sagen: „Ich habe sie geliebt,
aber ich kann sie nicht länger lieben, jetzt,
wo sie den Ginsterduft meines Kusses nicht mehr atmet“.

Ängstigen würde es mich, dich sprechen zu hören,
und du sprächest im Wahn und blind.
Denn meine Hand wird auf deiner Stirne ruhen,
wenn meine Finger brechen,
und auf dein Gesicht, gezeichnet von Sehnsucht,
wird sich mein Atem senken.

Daher berühre mich nicht. Lüge wäre es,
zu sagen, ich schenkte dir meine Liebe
in meinen ausgebreiteten Armen,
meinem Mund, meiner Stimme;
und du, wenn du glaubst, du hättest alles getrunken,
du täuscht dich wie ein einfältiges Kind.

Denn meine Liebe ist nicht nur die Garbe,
widerspenstig, ermattet, meines Leibes,
der erzittert, wenn das Büßerhemd ihn streift
und mir zurückbleibt bei jeglichem Flug.

Im Kuß ist nicht nur die Lippe,
und die Stimme nicht nur Echo der Brust:
Meine liebe ist Gottes Sturmwind, der meines Fleisches
Zweig mir im Fluge spaltet!

Gabriela Mistral
Übertragung: Albert Theile
© der Übertragung Luchterhand 1958

••• Mit zwei Gedichten von Gabriela Mistral habe ich diese kleine Reise nach Lateinamerika begonnen. Mit zwei Gedichten von ihr will ich sie auch – vorläufig – beenden. Ich muss sicher noch einmal zurückkehren, denn allzu viele mir wichtige Autoren sind noch nicht erwähnt: Márquez beispielsweise oder Asturias. Das wird nachgeholt werden. Aber es drängt mich jetzt, das Thema zu wechseln, weil ich eine grosse Entdeckung gemacht habe, die ich mit den Turmseglern teilen möchte. Noch aber ist es nicht so weit, und es gibt – heute und morgen – nochmals Gabriela Mistral.

Aria I

Freitag, den 9. Februar 2007

The Lone Leaf - © 2006-2007 ~Kyra-Wolf

Wohin wir uns wenden im Gewitter der Rosen,
ist die Nacht von Dornen erhellt, und der Donner
des Laubs, das so leise war in den Büschen,
folgt uns jetzt auf dem Fuß.

Wo immer gelöscht wird, was die Rosen entzünden,
schwemmt Regen uns in den Fluß. O fernere Nacht!
Doch ein Blatt, das uns traf, treibt auf den Wellen
bis zur Mündung uns nach.

Ingeborg Bachmann

••• Noch eine Assoziation zu Gabriela Mistral:

Die Seele wird dem Körper sagen, sie trüge
das Gewicht des Leibes auf dem Rosenweg nicht weiter …

Bei diesem Vers aus den „Sonetten des Todes“ musste mir einfach die „Aria I“ einfallen.

Morgens und abends zu lesen

Donnerstag, den 8. Februar 2007

Umbrella - by NELA.LAZAREVIC

Der, den ich liebe,
Hat mir gesagt,
Daß er mich braucht.
Darum
Gebe ich auf mich acht
Sehe auf meinen Weg
Und fürchte von jedem
Regentropfen
Daß er mich erschlagen
könnte.

Bertolt Brecht

••• Assoziation zu Gabriela Mistrals Vers

Auf meinen Leib achte ich nur, damit ich dein Grab schützen kann vor Regen und Schnee.

aus „Falls der Tod kommt“.