Autorenbesuch

Donnerstag, den 24. Mai 2007

••• Zu den schönsten Momenten meines Bloggerdaseins gehört es, wenn Autoren, die hier besprochen wurden, höchstselbst dem Turmsegler einen Besuch abstatten und dabei auch noch einen Kommentar hinterlassen. In der Debatte um die Übersetzungen der Shakespeare-Sonette hat sich nun Christa Schuenke zu Wort gemeldet. Ich werde es mir nicht nehmen lassen, Sie nach ihrer Meinung zur Weinert-Übertragung der Sonette zu befragen. Die Grundannahmen beider Übersetzer sind ja sehr unterschiedlich…

Nachtrag: Es sieht so aus, als würde Christa Schuenke sich zu einem Gastbeitrag hinreissen lassen. Aber es kann ein paar Wochen dauern, sagt sie. Ich warte gern…

Vergleich ich dich mit einem Sommertag?

Freitag, den 18. Mai 2007

Shall I compare thee to a summer’s day?
Thou art more lovely and more temperate:
Rough winds do shake the darling buds of May,
And summer’s lease hath all too short a date:
Sometime too hot the eye of heaven shines,
And often is his gold complexion dimmed,
And every fair from fair sometime declines,
By chance, or nature’s changing course untrimmed:
But thy eternal summer shall not fade,
Nor lose possession of that fair thou ow’st,
Nor shall death brag thou wander’st in his shade,
When in eternal lines to time thou grow’st,
So long as men can breathe, or eyes can see,
So long lives this, and this gives life to thee.

Vergleich ich dich mit einem Sommertag?
Du hast mehr Maß und größre Lieblichkeit.
Die Maienknospe, die verzärtelt lag,
Schlägt rauher Wind; kurz währt des Sommers Zeit.
Des Himmels Auge brennt manchmal zu heiß,
Sein goldnes Antlitz, oft trübt sich’s für lang.
Und alles Schöne gibt die Schönheit preis,
Sei’s Zufall, sei’s des Wandels kruder Gang.
Doch nie soll deines Sommers Pracht ermatten,
Nie soll zerschleißen deiner Schönheit Kleid,
Nie Tod sich brüsten, daß in seinem Schatten
Du gehst: Im Vers zwingst du die Sterblichkeit.
Solang ein Mensch noch atmet, Augen sehn,
Solang dies steht, so lang wirst du bestehn.

William Shakespeare, Sonett Nr. XVIII
Übertragung: Christa Schuenke
© der Übertragung Straelener Manuskripte Verlag 1994

••• Mit Stefan Georges Übertragung dieses Sonetts konnte meine Frau sich gar nicht anfreunden. Als sie das Original gelesen hatte, meinte sie: So ein schönes Gedicht; und was ist in der Übertragung davon übrig geblieben?

So streng würde ich mit George nicht umspringen wollen. Aber tatsächlich liest sich die Übersetzung von Christa Schuenke da schon ganz anders und fängt, wie ich meine, deutlich mehr von der ursprünglichen Atmosphäre dieses Sonetts ein. Aus diesem Grund hier – speziell für meine Herzdame – das Sonett Nr. XVIII von Shakespeare noch einmal, diesmal übersetzt von Christa Schuenke.

All dessen müd

Freitag, den 27. April 2007

Tired with all these, for restful death I cry,
As, to behold desert a beggar born,
And needy nothing trimm’d in jollity,
And purest faith unhappily forsworn,
And guilded honour shamefully misplaced,
And maiden virtue rudely strumpeted,
And right perfection wrongfully disgraced,
And strength by limping sway disabled,
And art made tongue-tied by authority,
And folly doctor-like controlling skill,
And simple truth miscall’d simplicity,
And captive good attending captain ill:
Tired with all these, from these would I be gone,
Save that, to die, I leave my love alone.

All dessen müd, nach Rast im Tod ich schrei.
Ich seh es doch: Verdienst muß betteln gehn
Und reinste Treu am Pranger steht dabei
Und kleine Nullen sich im Aufwind blähn
Und Talmi-Ehre hebt man auf den Thron
Und Tugend wird zur Hure frech gemacht
Und wahre Redlichkeit bedeckt mit Hohn
Und Kraft durch lahme Herrschaft umgebracht
Und Kunst das Maul gestopft vom Apparat
Und Dummheit im Talar Erfahrung checkt
Und schlichte Wahrheit nennt man Einfalt glatt
Und Gutes Schlechtesten die Stiefel leckt.
All dessen müd, möcht ich gestorben sein,
Blieb nicht mein Liebster, wenn ich sterb, allein.

William Shakespeare, Sonett Nr. LXVI
Übertragung: Christa Schuenke
© der Übertragung Straelener Manuskripte Verlag 1994

••• Das Urteil von Literatur-Kritik, -wissenschaft und -betrieb war schon immer unfehlbar. Im Nachwort des zitierten Bandes gibt Manfred Pfister einen Abriss über die wechselvolle Rezeptionsgeschichte, die Shakespeares Sonette durchlebten, bevor sie schliesslich zu einer festen Grösse in der Weltliteratur erhoben wurden.

Zunächst verschwanden die Sonette in der Versenkung des öffentlichen Desinteresses. Im Jahre 1640 besorgte John Benson eine „normalisierte“ Ausgabe. „Normalisiert“ wurde dabei das Geschlecht des sweet boy. Aus dem Liebsten wurde also eine Liebste gemacht, damit die Briten nicht mit einem bi- wenn nicht gar homosexuellen Nationaldichter dastehen müssten. Am besten aber ist die Anmerkung des Herausgebers der Shakespeare-Werke George Steevens, der den Verzicht auf den Abdruck der Sonette in seiner Werkausgabe 1773 wie folgt begründet:

Wir haben die Sonette Shakespeares nicht nachgedruckt, weil auch das strengste Parlamentsgesetz nicht reichen würde, ihre Lektüre zu erzwingen. Hätte Shakespeare nichts anderes als sie geschrieben, er wäre so ruhmlos geblieben wie Thomas Watson, ein älterer und viel eleganterer Sonettdichter als er.

Warum fehlt meinem Vers moderner Schick?

Donnerstag, den 26. April 2007

Why is my verse so barren of new pride,
So far from variation or quick change?
Why with the time do I not glance aside
To new-found methods and to compounds strange?
Why write I still all one, ever the same,
And keep invention in a noted weed,
That every word doth almost tell my name,
Showing their birth and where they did proceed?
O, know, sweet love, I always write of you,
And you and love are still my argument;
So all my best is dressing old words new,
Spending again what is already spent:
For as the sun is daily new and old,
So is my love still telling what is told.

Warum fehlt meinem Vers moderner Schick,
Erfindungsreichtum, Spannung, frischer Schwung?
Was schreib ich nicht, wie jeder heut, mit Blick
Auf rare Wörter, Stilerneuerung?
Was schreib ich bloß dasselbe früh und spät,
Beschreib den alten Hut auf alte Art,
Daß meinen Namen jedes Wort verrät
Und willig, wo es herkommt, offenbart?
Weil: liebster Freund, ich schreib allein von dir;
Liebe und du sind stets mein Gegenstand,
Den alten Wörtern leih ich neue Zier,
Verwende neu, was schon so oft verwandt.
Neu steigt die alte Sonne stets, wenn’s tagt.
Neu meine Liebe Altgesagtes sagt.

William Shakespeare, Sonett Nr. LXXVI
Übertragung: Christa Schuenke
© der Übertragung Straelener Manuskripte Verlag 1994

Shakespeare Sonette - Straelener Manuskripte Verlag••• Um über Shakespeares Stücke zu schreiben, muss ich erst einmal tief Luft holen und mich bedenken. Vielleicht wird es mir gar nicht gelingen. Da lasse ich mich einmal überraschen. Aber wenn wir schon bei Shakespeare sind, ist mir dies willkommener Anlass, auf ein Thema zu kommen, das ich mir schon lange im Turmsegler aufgefächert wünsche: Sonette.

Ich habe eine illustre Sammlung zusammengetragen, die ich den Turmsegler-Lesern nicht vorenthalten möchte. Und für einen Moment durchzuckte mich heute sogar der Gedanke, die vielen selbst schreibenden Leser dieses Blogs zu Sonetten anzustiften. Aber eins nach dem anderen. Erst einmal – doch nicht nur einmal – Shakespeare. Und dann wollen wir weiter sehen.