Berliner Dom
I
Im kühlen Steinbauch
dröhnen noch die Preßlufthämmer –
so irdisch wird es hier
nie wieder zugehn.
In blauen Wattejacken
und gelben Helmen
die Männer,
in ihrer Wirklichkeit
bauen sie den Traum:
endlicher Abschied
von Kriegen
kehren sie den Engeln
den Schutt aus dem Haar
und den Staub
von den Flügeln
II
Jeder neue Stein
ist erkennbar,
die alten Steine
sind dunkel.
Was haben wir überlebt,
daß wir so schwer
zu beeindrucken sind?
Ein Geländer aus Eisen,
das die Zeit noch zurückließ –
Stufe um Stufe
führt uns nach oben:
ein Schritt Zweifel,
ein Schritt Hoffnung.
Charlotte Grasnick (1939-2009)
••• Eben erst habe ich nach meiner Rückkehr aus dem Urlaub den Anrufbeantworter abgehört. Nur eine Nachricht: Charlotte ist tot. Anfang April noch haben wir telefoniert und über die »Leinwand« gesprochen. Charlotte hatte die Chemo überstanden, und ich war fest davon überzeugt, dass sie es schaffen würde. »Weißt Du«, sagte sie: »So viel Zeit brauche ich ja nicht mehr, um die paar Geschichten zu beenden, die ich noch schreiben will…« Das waren jene poetischen Prosastücke, deren erste Anfänge ich Mitte der Neunziger für sie in den Computer getippt hatte und die ich so gern eines Tages als Buch in Händen gehalten hätte. Die Zeit aber hat wohl nicht gereicht.
Ein Schritt Zweifel, ein Schritt Hoffnung – das war Charlottes »Gangart« als Dichterin. Die Zweifel waren ihr oft unüberwindbares Hindernis. So blieb manches unvollendet. Die Hoffnung aber trieb sie immer wieder an, dennoch und vielleicht gerade deswegen erneut zu versuchen, Worte für vermeintlich Unsagbares finden. Leicht war es nicht, sich in einer Künstlerfamilie von Männern zu behaupten – der Ehemann, Ulrich Grasnick, Lyriker wie sie, die beiden Söhne, Thomas Grasnick und Stefan Friedemann, Maler. Ich habe ihr immer mehr Beachtung gewünscht – nicht nur als Dichterin.