Bei den jungen Wilden

Mittwoch, den 2. Dezember 2009

Verbrecher Verlag••• Mit tatkräftiger Unterstützung durch meine Agentin habe ich für die Gedichte von Charlotte Grasnick einen Kooperationspartner gefunden. Ich werde den Band nicht als Paperback in der edition neue moderne herausbringen. Stattdessen soll er, herausgegeben von mir, im kommenden Frühjahr als Hardcover im Verbrecher Verlag erscheinen.

Meine Agentin hatte hier wieder einmal die richtige Nase: Die Verbrecherei und Lyrik? Aber ja! Das literarische Programm dieses Verlages kann sich wirklich sehen lassen, und auf das Frühjahrsprogramm darf man sehr gespannt sein.


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Van Goghs Briefe

Montag, den 12. Oktober 2009

Brief
Ausschnitt aus einem Brief Vincent van Goghs an Theo van Gogh, London, 13. 09. 1873
Quelle: Van-Gogh-Museum Amsterdam / Huygens Institute

••• In dem letztens erwähnten Text Reinhard Jirgls zu den späten Gedichten von Charlotte Grasnick beginnt er mit einer autobiographischen Einlassung, dem Geständnis einer »Marotte«, seit Kindheitstagen beibehalten. Seit jeher, schreibt er, hätten Handschriften eine große Faszination auf ihn ausgeübt. Er habe sie oft, die Buchstaben nachschreibend, mit der Hand nachempfunden und sich der Vorstellung hingegeben, auf diese Art einen Zugang zur Persönlichkeit des ursprünglichen Schreibers finden zu können. Eine schöne Idee.


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Einen Einfall wagen

Montag, den 5. Oktober 2009

Charlotte Grasnick
Charlotte Grasnick (Mitte der 1980er Jahre)

••• Vor mir liegt das Manuskript für den ersten Gedichtband, den ich als Verleger (oder zumindest als Herausgeber) betreue. »so nackt an dich gewendet« soll er heißen und die etwa 150 gesammelten Gedichte von Charlotte Grasnick enthalten. Da die Originalausgaben vergriffen sind, waren die Rechte erhältlich. Wie ich es von Charlotte kannte, existierten keine elektronischen Versionen. Ich musste alles aus den gedruckten Büchern abtippen.

Wie ich erfahren habe, wurden Lyrikbände in der DDR in Auflagen gedruckt und offenbar auch verkauft, die hier nicht einmal überdurchschnittlich gut laufende Romane erreichen: mehrere Tausend. Dieser Gedichtband, der Charlotte Grasnicks lyrisches Werk wieder und dauerhaft zugänglich machen soll, wird wohl eher eine Liebhaberausgabe in deutlich kleinerer Auflage werden. Illustriert wird er sein mit Grafiken von Wilhelm Lachnit und Dieter Goltzsche. Ich hoffe, noch einen Part mit nachgelassenen Gedichten und solchen aus Anthologien hinzufügen zu können, die nicht in den erschienenen Gedichtbänden enthalten waren.


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Weggefährtin poetischer Maler

Freitag, den 10. Juli 2009

••• Einen sehr schönen Nachruf auf Charlotte Grasnick finde ich eben erst im Textarchiv der Berliner Zeitung.

Wann immer Charlotte Grasnick einen Lyrikband veröffentlichte, daraus im Literaturcafé an der Landsberger Allee las oder wie in den letzten Jahren öfter, auf der von ihr und ihrem Mann, dem Dichter Ulrich Grasnick, geleiteten Lesebühne im Kulturhaus Karlshorst: Immer schwang irgendwie die Bildende Kunst mit. Diese Ost-Berliner Lyrikerin hatte eine Sprache, die das Bildhafte durch die Begleitung von Linien, Kringeln, Zeichen und Chiffren gleichsam verlangte. Und so illustrierten Maler und Grafiker wie Dieter Goltzsche, gern ihre Gedichte, weil es eine poetische Entsprechung gab.

Nicht unvollendet

Mittwoch, den 8. Juli 2009

••• Heute nun endlich konnte ich mit Ulrich Grasnick telefonieren, und wir sprachen lange über Charlotte. Zwei gute Nachrichten brachte er mir zu der traurigen ihres Todes. Sie ist friedlich eingeschlafen nach einem glücklichen Tag mit Spaziergängen, Scherzen und der unvermeidlichen Zigarette gegen Abend. Und – sie konnte zwar nicht allen Texten ihres letzten, so viele Jahre dauernden Projektes den allerletzten Schliff geben; aber geschafft hat sie, was sie sich vorgenommen hatte, nämlich diese Geschichten noch zu Ende zu erzählen. Es gibt also ein Manuskript, zum großen Teil bereits lektoriert, zum Teil handschriftlich, wie ich es von ihr kannte.

Ein Schritt Zweifel, ein Schritt Hoffnung

Montag, den 15. Juni 2009

Berliner Dom

I

Im kühlen Steinbauch
dröhnen noch die Preßlufthämmer –
so irdisch wird es hier
nie wieder zugehn.
In blauen Wattejacken
und gelben Helmen
die Männer,
in ihrer Wirklichkeit
bauen sie den Traum:
endlicher Abschied
von Kriegen
kehren sie den Engeln
den Schutt aus dem Haar
und den Staub
von den Flügeln

II

Jeder neue Stein
ist erkennbar,
die alten Steine
sind dunkel.

Was haben wir überlebt,
daß wir so schwer
zu beeindrucken sind?

Ein Geländer aus Eisen,
das die Zeit noch zurückließ –
Stufe um Stufe
führt uns nach oben:
ein Schritt Zweifel,
ein Schritt Hoffnung.

Charlotte Grasnick (1939-2009)

Charlotte Grasnick (1939-2009)••• Eben erst habe ich nach meiner Rückkehr aus dem Urlaub den Anrufbeantworter abgehört. Nur eine Nachricht: Charlotte ist tot. Anfang April noch haben wir telefoniert und über die »Leinwand« gesprochen. Charlotte hatte die Chemo überstanden, und ich war fest davon überzeugt, dass sie es schaffen würde. »Weißt Du«, sagte sie: »So viel Zeit brauche ich ja nicht mehr, um die paar Geschichten zu beenden, die ich noch schreiben will…« Das waren jene poetischen Prosastücke, deren erste Anfänge ich Mitte der Neunziger für sie in den Computer getippt hatte und die ich so gern eines Tages als Buch in Händen gehalten hätte. Die Zeit aber hat wohl nicht gereicht.

Ein Schritt Zweifel, ein Schritt Hoffnung – das war Charlottes »Gangart« als Dichterin. Die Zweifel waren ihr oft unüberwindbares Hindernis. So blieb manches unvollendet. Die Hoffnung aber trieb sie immer wieder an, dennoch und vielleicht gerade deswegen erneut zu versuchen, Worte für vermeintlich Unsagbares finden. Leicht war es nicht, sich in einer Künstlerfamilie von Männern zu behaupten – der Ehemann, Ulrich Grasnick, Lyriker wie sie, die beiden Söhne, Thomas Grasnick und Stefan Friedemann, Maler. Ich habe ihr immer mehr Beachtung gewünscht – nicht nur als Dichterin.

Was wir uns erzählen…

Dienstag, den 13. Februar 2007

Salome - © 2006-2007 by PonuryKosiarz@deviantart.com

Was wir uns erzählen
aus Kindheitstagen
ich erinnere mich an die Geräuschemacher
Regen, Sturm und Gewitter
niemand nimmt meinen Schatten an
über den Zaun geworfen ein Gnadenblick
für das Gesicht
und das Haus fällt in Tränen
aus deinen Augen

Das stille Weinen ist leicht
hörst du es?
du mußt leise sein
die Schultern sind es nicht gewohnt
so heftig bewegt zu werden

Charlotte Grasnick, aus: „Nach diesem langen Winter“
Verlag Un Art Ig Aschersleben
© Charlotte Grasnick (2003)


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