Angst vor der Zukunft
12. Februar 2009Ich habe wirklich eine große Angst vor der Zukunft, denn ich glaube beinahe, dass ich der »Berühmtheit« entgegenstrebe.
Oskar Maria Graf (1894-1967)
Ich habe wirklich eine große Angst vor der Zukunft, denn ich glaube beinahe, dass ich der »Berühmtheit« entgegenstrebe.
Oskar Maria Graf (1894-1967)
••• Die Papsthatz der letzten Wochen hat mich wieder und wieder geärgert. Es ist ein gigantisches Versagen – der Medien, der Politiker, der Diplomaten. Es wurde deutlich, dass es mit der »mündigen Öffentlichkeit« nicht weit her ist, vor allem, weil diese Öffentlichkeit nicht bereit oder nicht in der Lage ist, sich mit grundlegendem Wissen zu versorgen. Dass der Zentralrat der Juden in Deutschland, mit meiner eigenen Gemeindepräsidentin an der Spitze, ebenso vollständig in ihrer Diplomatie versagt hat, ist eine persönliche Enttäuschung. Aber der Reihe nach…
Philip Roth – Quelle: Random House
Michael Naumann:
Aber sind Sie glücklich?Philip Roth:
Das frage ich mich niemals.Michael Naumann:
Warum nicht?Philip Roth:
Weil es mich nicht interessiert. Ich frage mich nur: Geht es voran mit der Arbeit? Und wenn ich an einem Buch sitze, bin ich lebendig. Ich wache morgens auf und will sofort an die Arbeit. Die schlimmste Zeit ist diejenige zwischen zwei Büchern. Dann weiß ich nicht, was ich mit mir anfangen soll. Ich gehe in drei Museen, und dann ist das erledigt. Aber was soll ich mit meiner Zeit anfangen? Ich bin einfach zum Schreiben da, und wenn ich nicht schreibe, komme ich mir vor wie ein Wagen, dessen Räder im Schnee durchdrehen.
••• Philip Roth sprach mit »Zeit Online« übers Altern, Schreibstrategien und seine ungebrochene tägliche Freude am Schreiben.
[via: Bücherlei Notizen]
Jonathan Beck, Detlef Felken, Robert Weil, Michael Krüger, Wolfgang Beck *(v.l.n.r)
••• Der Tag fing übel an und endete grandios; und morgens wie abends waren es die Büchermacher, die fürs Wetter sorgten. Was die Enttäuschungen des Morgens angeht, will ich mich kurz fassen: Der eine Verleger verharrt in der passiven Verweigerung, die Scheidung amtlich zu machen und mich nach Jahren der faktischen Trennung mit meinen Rechten ziehen zu lassen. Und jenes Haus, das ich am ehesten als neue Wunschheimat im Visier hatte, mag die Liebe nicht erwidern. Unerwiderte Liebe ist nichts Ungewöhnliches. Die Enttäuschung besteht in der Art des Korbes, den mir meine Agentin heute früh pflichtschuldig weiterleitete: Tolles Buch, darf man paraphrasieren, aber ein zu gewagtes Thema. Feigheit?, springt es mich an. Jetzt werde ich nie sagen können, wohin ich mit der »Leinwand« wollte. Ich nehme eine solche Nachricht – wohlgemerkt – nicht persönlich. Aber Feigheit vor einem Thema? Himmel! Ein Verleger darf allerhand sein, aber nicht feige.
Zu der Veranstaltung in der LMU zum Thema »Amerikanische Buchkultur und German Publishing«, die ich vor zwei Wochen hier angekündigt habe, wollte ich nicht mehr gehen. Geschäftemacher, Feiglinge, Blahfasel … Mit den Verlegern geht es zu Ende, mit der Literatur ohnehin… Das war die Stimmungslage. Glücklicherweise war ich nur kurz kindisch und habe in letzter Minute noch ein Taxi geschnappt, die Odyssee der Raumsuche im Hauptgebäude der LMU erfolgreich überstanden und saß pünktlich zum Beginn im voll besetzten Fakultätssaal, in den die Sektion »Buchwissenschaft« der LMU geladen hatte.
••• Das ist doch mal eine Meldung:
In den USA hat die Pornoindustrie bereits bei der Regierung um eine Finanzspritze in Höhe von 5 Milliarden US-Dollar ersucht. Der Chef der Pornofirma GGW, Joe Francis, sagte dem Fernsehsender CNN: »Die US-Regierung sollte die Adult-Anbieter aktiv dabei unterstützen, zu überleben und zu wachsen, genauso wie andere Branchen unterstützt werden.«
So liberal ist nicht mal Obama.
[via: golem.de]
mehr dazu bei PR Newswire u. a. dort:
»People are too depressed to be sexually active […] This is very unhealthy as a nation. Americans can do without cars and such but they cannot do without sex.«
Ein Gastbeitrag von Alexander Nicolai
••• Die Bücher meines Vaters haben im Leben und Wohnen meiner Familie immer schon einen besonderen Raum eingenommen. Nie wurden sie an Dritte ausgeliehen, und auch in Zeiten finanzieller Not schlug mein Vater beharrlich jedes ihm gemachte Angebot aus, auch nur eines davon zu verkaufen. Äußerlich betrachtet gab diese Sammlung nicht viel her. Sie bestand und besteht aus abgegriffenen Büchern, teilweise illegal angefertigten Kopien, die erst später gebunden wurden, teils auch aus abgetippten Manuskripten in Form einer Loseblatt-Sammlung. Die meisten dieser Werke sind nicht einmal über antiquarische Quellen zu beziehen, nur wenige wurden noch einmal aufgelegt, andere waren niemals einem öffentlichen Publikum zugänglich. Mit dem Umfang und der Vielfalt einer Bibliothek wie der eines Alexander von Bernus oder Carl Gustav Jung konnte die Sammlung nie mithalten. Weniger erlesen ist sie indes auch nicht, und gemein mit diesen beeindruckenden Bibliotheken ist vor allem ihr Zweck. Soweit ich zurückdenken kann, schärfte mein Vater mir immer wieder ein, dass die Sicherheit dieser Bücher im Ernstfall oberste Priorität habe, und das es im Falle eines ihn plötzlich ereilenden Todes meine erste Pflicht sei, diese Bücher an mich zu nehmen, bevor andere ihre Hände danach ausstrecken könnten. Die Antworten auf alle Fragen, so erklärt er es mir bis zum heutigen Tage, seien in diesen Werken zu finden.
Was fängt man in jungen Jahren mit solch einer Erklärung an? Wenig.
Les Murray (1997) – Foto: Valerie Murray
Cockspur Bush
I am lived. I am died.
I was two-leafed three times, and grazed,
but then I was stemmed and multiplied,
sharp-thorned and caned, nested and raised,
earth-salt by sun-sugar. I am innerly sung
by thrushes who need fear no eyed skin thing.
Finched, ant-run, flowered, I am given the years
in now fewer berries, now more of sling
out over directions of luscious dung.
Of water the crankshaft, of gases the gears
my shape is cattle-pruned to a crown spread sprung
above the starve-gut instinct to make prairies
of everywhere. My thorns are stuck with caries
of mice and rank lizards by the butcher bird.
Inches in, baby seed-screamers get supplied.
I am lived and died in, vine-woven, multiplied.
Ich werde gelebt. Ich werde gestorben.
Ich war dreimal zweiblättrig und abgeweidet,
doch schließlich gestielt und vermehrt,
spitzdornig und gerohrt, benestet und erhoben,
Erdensalz um Sonnenzucker. Ich werde innerlich besungen
von Drosseln, die kein beaugtes Hautding fürchten müssen.
Befinkt, ameisenbelaufen, beblüht, werden wir die Jahre
in mal weniger Beeren, mal weiteren Bögen
über den Richtungen köstlichen Mists gegeben.
Aus Wasser die Kurbelwelle, aus Gasen das Getriebe
ist meine Form vielgestutzt zur weiten Krone gesprossen
über dem Hungerbauchinstinkt, aus allem Prärie
zu machen. Meine Dornen sind vom Würgervogel
mit Karies aus Mäusen und stinkenden Echsen bestückt.
Ein Stück nach innen werden körnerschreiende Kleine versorgt.
Es wird gelebt, wird gestorben in mir, rankenbewebt, vermehrt.
Les Murray, aus: »Übersetzungen aus der Natur«
aus dem Englischen von: Margitt Lehbert
© Edition Rugerup 2007
••• Der große Dichter Derek Walcott schrieb über Les Murrays Werk:
»Es gibt keine Poesie in der englischen Sprache, die so verwurzelt ist in ihrer Heiligkeit, so breitblättrig in ihren Freuden und doch so intim und umgangssprachlich.«
Dem Gedichtband »Translations from Nature« setzt Les Murrays ein Motto voran: Zur Ehre Gottes. Heiligkeit und Frömmigkeit sind nicht das gleiche. Fromm sind diese Gedichte gewiss nicht, in denen Les Murray – ähnlich wie Neruda in seinen Oden – von Tieren und Pflanzen schreibt und dabei doch immer Menschliches poetisch in Szene setzt.