••• David (5) heute früh auf dem Weg: Weißt Du Papa – alles wird gut!
Da war ich erleichtert.
PS: Heute unbedingt zu beachten: Der Rückspiegel, nämlich Michael Perkampus‘ Erzählung »Die Geschichte des Uhrenträgers«. Die Erstausgabe ist noch zu haben, und die Lektüre lohnt ohne Wenn und Aber.
••• Aaliyah (6) hatte eine Hausaufgabe. Sie sollte sich selbst zeichnen in Ausübung des Berufes, den sie sich für sich wünscht. Sie hat sich zweimal gemalt: als Buchbinderin (die Herzdame hat gestern ein Praktikum bei einem Buchbinder begonnen, gratuliere!) und als Malerin. Da steht sie vor der Staffelei, schwingt den Pinsel, und zwei gewaltige Tränenströme schießen aus ihren Augen.
Die Herzdame hat natürlich gefragt, warum sie auf dem Bild weint. Und die Antwort: Weil keiner meine Bilder haben will!
••• Die US-Regierung sorgt sich um die Gesundheit der Kinder – und verbietet den Verkauf von Kinderbüchern, die vor 1985 gedruckt wurden. Der Grund: Bleipigmente in den für den Druck – insbesondere von Illustrationen – bis dahin verwendeten Farben. Es handelt sich nicht direkt um ein Verbot, denn es wird lediglich darauf hingewiesen, dass Verkauf und Verschenken solcher Bücher strafbewehrt sein können, wenn der Verkäufer sie nicht zuvor auf besagte Pigmente hin hat untersuchen lassen. Die Kosten solcher Tests sind allerdings so hoch, dass auf die meisten alten Kinderbücher nun unweigerlich die Makulierung wartet, denn die im Zweifelsfall zu erwartenden Strafen gehen bis 100.000 US$.
The problem is the Consumer Product Safety Improvement Act of 2008 (CPSIA), passed by Congress last summer after the panic over lead paint on toys from China. Among its other provisions, CPSIA imposed tough new limits on lead in any products intended for use by children aged 12 or under, and made those limits retroactive: that is, goods manufactured before the law passed cannot be sold on the used market (even in garage sales or on eBay) if they don’t conform. The law has hit thrift stores particularly hard, since many children’s products have long included lead-containing (if harmless) components: zippers, snaps, and clasps on garments and backpacks; skateboards, bicycles, and countless other products containing metal alloy; rhinestones and beads in decorations; and so forth. Combine this measure with a new ban (also retroactive) on playthings and child-care articles that contain plastic-softening chemicals known as phthalates, and suddenly tens of millions of commonly encountered children’s items have become unlawful to resell, presumably destined for landfills when their owners discard them. [Children’s books burn, courtesy of the federal government.]
••• Der Skandal um die (bewusst oder unbewusst) gefälschten Holocaust-Erinnerungen eines Kindes, der in der »Leinwand« eine wesentliche Rolle spielt, war – einigen Kritikern zufolge – nur möglich, weil es Ende der 1990er Jahre eine so große Nachfrage nach diesem »Genre« gab. Sogar der unappetitliche Begriff der »Holocaust-Industrie« wurde geprägt. Das Erscheinen von Ruth Klügers Weltbestseller »Weiter leben« fällt in die gleiche Zeit.
Ich mag mich irren, aber es scheint mir, als wäre dieser Trend mit der einsetzenden Obsession mit dem »Authentischen« einhergegangen: reality tv etc. Diese Erinnerungen mussten keine literarischen Highlights sein, aber echt. Und die immer wieder vorkommenden Skandale – erst letztes Jahr wieder einer in Australien – rankten sich denn auch immer um die Enthüllung, dass die jeweiligen Erinnerungen erfunden waren.
»Pans Wiederkehr« soll nun die Geschichte eines Überlebens in dieser Zeit schildern. Die Geschichte, so unglaublich sie scheint, ist authentisch. Es geht mir aber nicht um Erinnern an diese Zeit, sondern um die literarische Gestaltung einer großen Geschichte vom Überleben durch die Liebe, faktisch wie im übertragenen, psychischen Sinne. Also keine Dokumentation, kein Genrestück für die »Holocaust-Industrie«.
••• … ein schönes Bild, wenn dem Bibliophilen auch der Herzschlag stocken dürfte. Ich fühlte mich spontan erinnert an eine Szene aus »Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber«, in der der bibliophile Liebhaber inmitten seiner zerstörten Bibliothek von den Handlangern des Gangsters grausam zu Tode gebracht wird, indem man ihn mit zerknüllten Seiten aus seinen geliebten Büchern stopft wie eine Gans.
Billy Collins: The Best Cigarette (Original CD Cover)
••• Auf das gestern zitierte Gedicht von Billy Collins bin ich kurz vor Schabbes gestoßen und hatte keine Zeit mehr, weiteren Quellen über ihn nachzugehen. Warum er, wie Andrew Shields im Kommentar anmerkt, in den USA eine kontroverse Figur ist, konnte ich noch nicht herausfinden. Zwei Vermutungen: wer mit derart vielen Preisen dekoriert wurde und auch auf offiziellen Feierlichkeiten wie etwa der für die Opfer vom 11. September gelesen hat, dürfte nicht nur Freunde haben.
Wahrscheinlicher aber scheint mir, dass Billy Collins ähnliche den traditionellen Buchmarkt torpedierende Aktionen unternommen hat wie etwa Cory Doctorow. »The Best Cigarette« ist nicht nur der Titel des gestern zitierten Gedichtes, sondern auch der einer Sammlung von 33 Gedichten, die Collins unter der Creative Common License im Internet veröffentlicht hat – in Text und Ton: von ihm selbst eingelesen und in verschiedenen gängigen Audio-Formaten u. a. bei archive.org herunterzuladen.
Die CD mit diesen Aufnahmen – ursprünglich für 12 USD zu erwerben – bekommt man inzwischen nur noch gebraucht und zwar zu Liebhaberpreisen.
There are many that I miss
having sent my last one out a car window
sparking along the road one night, years ago.
The heralded one, of course:
after sex, the two glowing tips
now the lights of a single ship;
at the end of a long dinner
with more wine to come
and a smoke ring coasting into the chandelier;
or on a white beach,
holding one with fingers still wet from a swim.
How bittersweet these punctuations
of flame and gesture;
but the best were on those mornings
when I would have a little something going
in the typewriter,
the sun bright in the windows,
maybe some Berlioz on in the background.
I would go into the kitchen for coffee
and on the way back to the page,
curled in its roller,
I would light one up and feel
its dry rush mix with the dark taste of coffee.
Then I would be my own locomotive,
trailing behind me as I returned to work
little puffs of smoke,
indicators of progress,
signs of industry and thought,
the signal that told the nineteenth century
it was moving forward.
That was the best cigarette,
when I would steam into the study
full of vaporous hope
and stand there,
the big headlamp of my face
pointed down at all the words in parallel lines.