Wieviel Erde braucht der Mensch?

30. Juni 2009

Der Knecht nahm die Hacke, grub Pachom ein Grab, genau so lang wie das Stück Erde, das er mit seinem Körper, von den Füßen bis zum Kopf, bedeckte – sechs Ellen –, und scharrte ihn ein.

••• ANHs gestrige Bemerkung zu Michael Jackson scheint mir deutlich den Tatbestand der Herzlosigkeit zu erfüllen. Ich stehe nicht unbedingt im Verdacht, ein ausgesprochener Jackson-Fan zu sein. Lasse ich aber einmal diese Biographie Revue passieren, sehe ich eine Art Sklaven vor mir, der weder je Kind sein noch später kaum einmal er selbst sein durfte. Es mag ihm sogar schwer gefallen sein, zu erahnen, was dieses Selbst tatsächlich hätte ausmachen können.

Den derzeit hinausgespülten Berichten über Jackson kann man kaum glauben. Aber in einigen scheint mir doch das gewisse Körnchen Wahrheit zu stecken. Allein der Bericht der »Daily Mail« vom letzten Wochenende kann einem das kalte Grausen bereiten. Man muss den Eindruck gewinnen, da sei jemand kalkuliert in den Tod gehetzt worden – weil er tot mehr »wert« ist als lebendig.

Da fällt es mir schwer, nachzuvollziehen, wie man die Bemerkung »Einer weniger, na und? Ja, wenn es Mantler gewesen wäre oder Jack Bruce…« so leicht über die Lippen bekommt. Diese Art Wertung eines Menschen unterscheidet sich von jener der gierigen Eltern und »Berater« nur in der Währung.

Gier… Bei diesem Stichwort fielen mir die einfachen einstöckigen Häuschen mit Flachdach auf Fuerteventura ein, die man dort gelegentlich sieht. Jemand erzählte mir, dass auf der Insel nach wie vor ein altes spanisches Gesetz in Kraft ist, das folgendes festlegt: Gelingt es jemanden, binnen 24 Stunden ein vollständiges bewohnbares Haus auf herrenlosem Grund zu errichten, erwirbt er damit das lebenslange unentgeltliche Bleiberecht auf dem vereinnamten Boden.


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Katze und Schwanz

26. Juni 2009

Nur der innere Werth einer literarischen Unternehmung ist es, der ihr ein dauerndes Glück bei dem Publicum versichern kann; auf der andern Seite aber ist es nur dieses Glück, welches ihrem Urheber den Muth auf die Kräfte gibt, etwas beträchtliches auf ihren Werth zu verwenden. Die große Schwierigkeit also ist, dass der Erfolg gewissermaßen schon realisirt sein müßte, um den Aufwand, durch den allein er zu realisiren ist, möglich zu machen. Aus diesem Zirkel ist kein anderer Ausweg, als daß ein unternehmender Mann an jenen problematischen Erfolg so viel wage, als etwa nöthig sein dürfte, ihn gewiß zu machen.

••• Diese Zeilen aus Schillers »Horen-Manifest« kann man sich lange auf der Zunge zergehen lassen. Ebenso jene Illusion, derenwegen über die Jahrhunderte hinweg immer wieder solche Anstengungen unternommen wurden und werden:

Jeder Schriftsteller von Verdienst hat in der lesenden Welt seinen eigenen Kreis, und selbst der am meisten gelesene hat nur einen größeren Kreis in derselben. So weit ist es noch nicht mit der Cultur der Deutschen gekommen, daß sich das, was den Besten gefällt, in Jedermanns Händen finden sollte. Treten nun die vorzüglichsten Schriftsteller der Nation in eine literarische Association zusammen, so vereinigen sie eben dadurch das vorher getheilt gewesene Publicum, und das Werk, an welchem alle Antheil nehmen, wird die ganze lesende Welt zu seinem Publicum haben. Dadurch aber ist man im Stande, jedem Einzelnen alle die Vortheile anzubieten, die der allerweiteste Kreis der Leser und Käufer einem Autor nur immer verschaffen kann.

Oder ist das jetzt defätistisch?

Den gesammelten Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe – dem diese Zitate entnommen sind – kann man übrigens nun via Blog und RSS-Feed in verträglichen Dosen zu sich nehmen.


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Twitteritis

25. Juni 2009

••• Soso, man sieht’s an den Referrern: Ihr lest also keine Feeds mehr, sondern twittert und »followed« andern Twitterern. Ist das eine Seuche? Ist das jetzt unvermeidlich wie Atmen? Oh Mann, ich bin ja soooo letztes Jahrhundert!

Am Start

24. Juni 2009

••• Heute nun das erste Treffen mit Wolfgang Beck (Verleger), Martin Hielscher (Lektor) und Tanja Warter (Presse Literatur) von C. H. Beck. Kaum vorsichtiges Abtasten; wir sind gleich mitten im Gespräch. »Die Leinwand« wird Spitzentitel im literarischen Frühjahrsprogramm und soll als erster Titel bereits Ende Januar erscheinen. In wenigen Tagen macht sich der Lektor ans Werk. Es wird, kündigt er an, nur um Feinheiten gehen.

Wir reden ausführlich über die »Präsentation« des Textes. Es gibt einige Ängste, ob die Gestaltung als Wendebuch funktionieren und angenommen werden wird. Ich vertrete das natürlich vehement und erzähle ein wenig mehr über die Komposition, die jeweils unterschiedlichen Spannungsbögen je nach Lektüre-Variante. Es stellt sich heraus, dass ich weiter gedacht habe als sie und so Vorschläge machen kann, um Bedenken gezielt zu zerstreuen. So fürchtete Beck beispielsweise, der Buchhandelskunde könnte das Exemplar für einen Fehldruck halten, wenn er zwei Titelseiten bemerkt. Ich schlage vor, beide Cover unterschiedlich zu gestalten, beispielsweise typographisch identisch, aber mit unterschiedlichen Illustrationen. So wird gleich klar, dass es sich tatsächlich um zwei »Vorderseiten« handelt. Der obligatorische Barcode ließe sich in die Illustration integrieren und so auf beiden Seiten anbringen. Ist das Buch verschweißt, kann der Barcode als Aufkleber appliziert werden und stört so den Ersteindruck in der Buchhandlung, wo die Folie ja entfernt ist, gar nicht. Dass einige meiner Erstleser sich unaufgefordert für eine der kapitelweise verschränkten Lesevarianten entschieden haben, überrascht die anderen, ist aber ein Argument mehr. Dass die Produktion selbst unproblematisch sein wird, kann ich leicht belegen. Immerhin haben sie das Leseexemplar aus meiner Editions-Produktion gelesen, das genau so gemacht ist. An die Adresse der Buchhandelsvertreter und Buchhändler sage ich: Hey, das ist ein Buch, das Euren Berufsstand sichert, denn es kann nur als gedrucktes Buch genau so funktionieren, wie es konzipiert ist. Ich soll noch einmal direkt mit Grafiker, Hersteller und Vertrieb sprechen. Beck wendet noch ein: So ein Buch hat es aber noch nie gegeben. Eben, sage ich: Das ist doch der beste Grund, es genau so zu machen. (Übrigens stimmt das nicht, wie mir berichtet wurde. Beweisstücke habe ich aber noch nicht gesehen.)

Ich bin also frohen Mutes, die Irritationen noch zerstreuen zu können und »Die Leinwand« am Ende genau so gedruckt zu finden, wie ich es mir vorgestellt habe. Am Ende nämlich reden wir sogar über Motive für die beiden Coverseiten…


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Die Stadt der Blinden

24. Juni 2009

José Saramago
José Saramago (*1922)

••• Wieder bin ich über eine ungeheuerliche Bildungslücke gestolpert. Vor zwei Tagen sah ich mit der Herzdame »Die Stadt der Blinden«, einen dystopischen oder Endzeitfilm, womöglich auch nur eine surrealistische Fiktion, gedreht nach einem Roman des portugiesischen Autors José Saramago. Ich konnte mir mit Mühe den Namen merken. Gehört hatte ich von ihm zuvor noch nie. So bekannt ist er ja auch nicht, sieht man mal vom Nobelpreis ab, den er 1998 verliehen bekam… (Wo habe ich damals eigentlich gelebt? Auf dem Mond? Reden wir nicht darüber.)

Durch eine bislang unbekannte, höchst ansteckende Infektionskrankheit erblinden binnen kurzer Zeit immer mehr Menschen schlagartig. In den ersten Tagen reagiert die Regierung mit den üblichen Epidemie-Massnahmen: Die Betroffenen werden in Quarantäne genommen. Da die Blindheit so extrem leicht übertragbar ist, gehen die Behörden allerdings auch besonders strikt vor. Eine verlassene Irrenanstalt wird als Quarantäne-Revier ausersehen, die Erblindeten am Eingang abgeladen und weggesperrt. Sie müssen sich selbst behelfen. Wer sich der Umzäunung nähert, wird von den Wachsoldaten erschossen.


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Phidias und Praxtiteles

21. Juni 2009

… im Rückblick auf eine jüngere Geschichte besinnen wir uns darauf, dass Skulpturen im antiken Griechenland erst relativ spät signiert wurden, während es zuvor keine Signaturen gab. Bis dahin dokumentierten die Bildhauer noch nicht: »Das ist mein Werk!« Als Phidias und Praxiteles später zu signieren begannen, setzten sie sich selbst in Szene: »Das habe ich geschaffen!« Etwas schaffen und das zu betonen sind zweierlei, wie unsere Kultur beweist, in der vor lauter Urhebern keine Werke mehr entstehen.

Humberto Maturana, aus: »Was ist Erkennen?«

Der nächste Umbruch

19. Juni 2009

Dass die Akzeptanz des lesenden Publikums zum Wechsel auf Lesegeräte und elektronischen Dateien wesentlich größer sein könnte, als sich das Bücherwürmer bisher träumen ließen, zeigt eine Zahl: 35 Prozent aller Buchverkäufe (nach Stückzahlen, nicht nach Wert) sind bei Amazon inzwischen elektronische Versionen für den Kindle, sagt Amazon-Gründer und CEO Jeff Bezos erst Anfang dieser Woche im Magazin Wired. Mehr als ein Drittel – und das in weniger als zwei Jahren.

••• Via Lotrees Journal gefunden beim österreichischen »Standard Online«. 35%? Diese Zahl hat mich dann doch enorm überrascht. Und dann beachte man noch den Zusatz in Klammern: »nach Stückzahlen, nicht nach Wert«.