verschwendung

3. September 2009

bestimmt bist du bestimmt
mit einer sanften stimme
flehst um aufschub:
nur kein dienst am mann!
und schon gar kein tändeln
so aus spaß am lieben lese ich
auf meinen händen sitzend
und im schoß die kalte pfeife
aus der asche viel vergebliches
von vertanen stunden
und verschonten herzen
aufschub des aufschubs
saftigerer tage

© Benjamin Stein (2009)

Sonett Nr. 19

3. September 2009

Nur eines möcht ich nicht: daß du mich fliehst.
Ich will dich hören, selbst wenn du nur klagst.
Denn wenn du taub wärst, braucht ich, was du sagst
Und wenn du stumm wärst, braucht ich, was du siehst

Und wenn du blind wärst, möcht ich dich doch sehn.
Du bist mir beigesellt, als meine Wacht:
Der lange Weg ist noch nicht halb verbracht
Bedenk das Dunkel, in dem wir noch stehn!

So gilt kein: »Laß mich, denn ich bin verwundet!«
So gilt kein »Irgendwo« und nur ein »Hier«
Der Dienst wird nicht gestrichen, nur gestundet.

Du weißt es: wer gebraucht wird, ist nicht frei.
Ich aber brauche dich, wie’s immer sei.
Ich sage ich und könnt auch sagen wir.

Bertolt Brecht (1898-1956)

••• Die kleine Reihe mit Liebesgedichten soll einen würdigen Abschluss finden. Und da wir mit einem Sonett von Brecht begonnen haben, soll nach dem Quartett-Muster A-B-B-A auf BrechtFriedFried auch noch ein Brecht-Sonett folgen.

Zunächst dachte ich an »Das zehnte Sonett«:

Am liebsten aber nenne ich dich Muck,
Weil du mir, wenn du aufmuckst, so gefällst


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Literature and Morality

2. September 2009

A response to D. G. Myers‘ „Remembering Truman Capote“ (»» Deutsche Version lesen)

••• Now that D. G. Myers’s „Remembering Truman Capote“ has been posted here in German, I can finally begin to respond. How much one likes Capote may vary—one may not even like him at all—but what Myers does posthumously to the eccentric Truman demands explicit contradiction.

At least four claims in Myers’s post rub me the wrong way. He begins with the claim that Capote’s novels before „In Cold Blood“ are mere collages of what Capote had read. Apparently, this is made sufficiently clear (otherwise it would not have been worth mentioning) by the fact that Capote’s debut, „Other Voices, Other Rooms,“ was published when the author was just 24. Well, whoever thinks a twenty-four-year old can have nothing to say except what he has read surely did not have a complex childhood shaped by unstable relationships and abandonment; beyond that, though, whether the author has experienced and suffered every detail of what he relates has never been a valid literary-critical criterion.

Immediately after that point, Myers claims that Capote’s prose is so clearly mannered that it is hardly worth mentioning. I would really like to know the basis of this assertion. To me, „Breakfast at Tiffany’s“—as I am already on the record as saying here—is a flawless novel. It may not shed light on whatever the world revolves around, but in terms of technique, the book seems to me to be beyond criticism. Capote himself may have been mannered—but his prose is not. This is not just my opinion. None other than Norman Mailer, after all (who definitely had at least one or two hard-to-swallow experiences with Capote), admitted that

Truman Capote is the most perfect writer of my generation. … I would not have changed two words in „Breakfast at Tiffany’s“

Such a blanket condemnation as Myers’s must be justified in detail. I cannot accept how it has just been tossed off so acidly.


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Wahrheit in fiktionaler Form

2. September 2009

Lawrence Grobel
Lawrence Grobel

Grobel: Glauben Sie, dass Joyce und Proust den Roman bis an seine Grenzen herangeführt haben?

Capote: Oh, nein, ganz und gar nicht. Es besteht ein Bedürfnis nach Fiktion, aber ich glaube, es wird sich wohl zunehmend um das drehen, was ich zu machen versuche, das heißt, Wahrheit in Fiktion zu verwandeln, oder Fiktion in Wahrheit — ich weiß nicht, was es ist, aber es dreht sich im Grunde um Wahrheit, abgehandelt in fiktionaler Form.

Grobel: Doch Ihrer Meinung nach sind Fiction und Nonfiction verschmolzen?

Capote: Es ist eigentlich keine Frage von Wahrheit oder Nicht-Wahrheit. Es ist eigentlich eine Frage des Erzählens. Darum geht es. Darum, daß man lernt, den Erzählfluß so in den Griff zu bekommen, daß er schneller abrollt und zugleich tiefer schürft.

aus: »Ich bin schwul, ich bin süchtig, ich bin ein Genie«,
Ein intimes Gespräch zwischen
Truman Capote und Lawrence Grobel
Aus dem Englischen von Thomas Lindquist
© Diogenes Verlag 1986

Online-Symposium Book Blogging

2. September 2009

Anecdotal Evidence and A Commonplace Blog asked a number of book bloggers to speculate about the past, present, and future of this youngest of literary genres. Their replies will be posted to Anecdotal Evidence and A Commonplace Blog over the next several days and (in most cases) cross-posted to the contributor’s own blog.

••• Patrick Kurp und D. G. Myers beginnen heute in ihren Blogs Anecdotal Evidence und A Commonplace Blog mit einem Online-Symposium (»The Function of Book Blogging at the Present Time«), das die Frage erhellen soll, welche Funktion(en) das Literarische Weblog heute (noch) erfüllen kann. Sie sehen im Book Blogging nicht weniger als ein literarisches Genre.

Mir fallen gewisse Parallelen zur spatien-Sonderausgabe »Literarische Weblogs« auf. Spannend für mich ist hier natürlich vor allem der Blick über den Teich. Man darf schon annehmen, dass im Blog-Bereich auch künftig wesentliche Impulse und Vorboten neuer Entwicklungen von dort kommen.

Nicht unerwähnt will ich lassen, dass auch ich eingeladen wurde, den Symposium-Fragebogen auszufüllen, was ich gern getan habe. Der Beitrag wird in einem der ausrichtenden Blogs in Kürze erscheinen.

Liebe auf den ersten Blick

1. September 2009

Natürlich denke ich
auch schon an deinen Schoß
wie ich ihn küssen
will daß er naß wird
und wieder trocken
und was mir
oder meinen Fingern
einfallen wird bei dir

Du findest das ungehörig?
Gut: wenn es dir lieber ist
will ich deine Haare
nahe an deinem Ohr
nur fast, doch nicht wirklich küssen
und an deine Augen denken
und mir ein für alle mal sagen
daß dein Schoß für
mich nicht existiert.
So fügsam bin ich –
Warum bist du jetzt beleidigt?

Wahrscheinlich glaubst du
wenn zwei Menschen einander sehr bald
ihre Namen sagen
und miteinander essen
und fragen was sie arbeiten
und was sie denken
daß daraus dann nie mehr
eine wirkliche Freundschaft wird

Erich Fried (1921-1988)

••• Ich habe noch weiter in dem Fried-Band gestöbert. Mir ist aufgefallen, dass es wohl Markus‘ »Schuld« sein muss, dass wir jetzt hier sowas verhandeln, genau, das Vinícius-Interview: »Aber ich glaube auch, dass jene Liebe, die für die Ewigkeit erschafft, die Liebe der Leidenschaft ist. Diese Liebe ist die einzige, die diese Dimension der Ewigkeit besitzt.« Wie kommt er eigentlich darauf?

Ich lese gerade einen Band mit Interviews, die Lawrence Grobel mit Truman Capote geführt hat. In einem dieser Interviews geht es um »Liebe, Sex und Angst«.


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Literatur und Moral

31. August 2009

Eine Erwiderung auf D. G. Myers‘ „In Memoriam Truman Capote“ (»» Read the English Version)

••• Nachdem D. G. Myers‘ Beitrag »In Memoriam Truman Capote« nun auch in deutscher Übersetzung hier veröffentlicht ist, will ich endlich zu einer Antwort ansetzen. Man mag Capote mehr oder weniger oder gar nicht schätzen, aber was Myers hier dem exzentrischen Truman post mortem antut, kann man nicht unwidersprochen lassen.

Mindestens vier Behauptungen in Myers Beitrag gehen mir gegen den Strich. Es beginnt mit der, Capotes Romane vor »Kaltblütig« seien einzig Collagen von Angelesenem. Man könne das wohl, warum würde es sonst erwähnt, schon daran erkennen, dass Capotes Debüt »Other Voices, Other Rooms« erschien, als der Autor gerade einmal 24 Jahre alt war. Darauf nur zwei Dinge: Wer meint, man könne mit 24 Jahren nur Angelesenes zu sagen haben, hat sicher keine komplexe, von unsicheren Bindungen und Verlassenheit geprägte Kindheit durchlebt; und darüber hinaus ist es noch nie ein valides Kriterium zur Beurteilung von Literatur gewesen, ob der Autor auch jede Einzelheit des von ihm Erzählten selbst erlebt und durchlitten hat.

Gleich im Anschluss behauptet Myers, Capotes Prosa sei so eindeutig manieristisch, dass es kaum der Erwähnung bedürfe. Ich wüsste gern, worauf sich dieses Urteil gründet. »Frühstück bei Tiffany« – das habe ich hier schon zu Protokoll gegeben – halte ich für einen makellosen Roman. Er mag nicht erhellen, um welches Zentrum die Welt kreist, aber handwerklich lasse ich nichts auf dieses Buch kommen. Manieristisch – das war Capote selbst, seine Prosa ist es nicht. Ganz allein stehe ich mit dieser Ansicht nicht. Es war immerhin Norman Mailer (der durchaus das eine oder andere schwer zu verdauende Erlebnis mit Capote hatte), der einräumte:

Truman Capote ist der perfekteste Schriftsteller meiner Generation. Ich hätte keine zwei Wörter in »Frühstück bei Tiffany« ändern wollen.

Ein derart heftiges Pauschalurteil, wie es uns Myers hier liefert, müsste schon im Detail begründet werden. Einfach nur scharfzüngig hingeworfen kann ich es nicht akzeptieren.


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