••• Die Herzdame mag »Jahresprojekte«. Vorletztes Jahr war es ein Skizzen-Blog mit dem Titel »Ten Years Ago«. Letztes Jahr hat sie (fast) alle Münchner Kinos besucht und die Besuche mit Foto in ihrem Blog »snowflakes & blackvampires« dokumentiert. Dieses Jahr nun gibt es wieder ein künstlerisches Projekt in einem Weblog. Freunde und Bekannte und Freiwillige, die sich eine Teilnahme wünschen, beantworten auf »What is Red for you?« die Frage, was ihnen die Farbe Rot bedeutet.
Eine Übersetzung ist etwas anderes als eine Interpretation, obwohl sie, zugegeben, Interpretation nicht immer vermeiden kann. Wer etwa den berühmten Goya-Satz (im »Capricho 43«) »El sueño de la razón produce monstruos« übersetzt, muß ihn interpretieren: entweder »Der Schlaf« oder dann »Der Traum der Vernunft erzeugt Ungeheuer« – einfach weil »el sueño« beides heißen kann. Die spanische Sprache entscheidet sich hier nicht, sie hat nur ein Wort für beides, und dies »funktioniert« auch, weil im Normalfall der Verwendung ja klar ist, ob Schlaf gemeint ist oder Traum. Entweder also die Ungeheuer entstehen dadurch, dass sich die Vernunft, metaphorisch geredet, zur Ruhe begibt, also einschläft, oder (es wäre etwas ganz anderes) dadurch, dass die Vernunft träumt. Entweder also ist das aufklärerische Kritik am Irrationalismus oder aber, gerade umgekehrt, antiaufklärerische Kritik an einer selbstherrlichen, sich träumend überhebenden Vernunft.
Hans-Martin Gauger: »Was ist eine Übersetzung?«
Aus: »akzente« 6/2009, S. 519
••• Der Verlag brauchte gestern die englische Übertragung eines Satzes aus der »Leinwand«. Zichroni sagt gleich zu Beginn seines Teils des Buches: »Unsere Erinnerungen sind es, die uns zu dem machen, was wir sind.« Ein einfacher Satz, dachte ich, aber um eine Übersetzung war ich dann doch verlegen. Die zwei Vorschläge, die der Verlag unterbreitete, stellte die Herzdame via Facebook ihren englischsprachigen Freunden zur Diskussion. Man glaubt nicht, wie viele Varianten da genannt wurden.
••• Kaum habe ich mir für das neue Jahr ein wenig Beschleunigung gewünscht, schon bekomme ich sie. Die letzten drei ereignisreichen Tage habe ich in Berlin verbracht, um mit Ulrich Grasnick und Verbrecherei-Verleger Jörg Sundermeier über mein noch ausstehendes Nachwort zu Charlotte Grasnicks »Gesammelten Gedichten«, Gestaltungsdetails und Termine (!) zu sprechen. Außerdem stand ein Besuch im Atelier von Prof. Dieter Goltzsche auf dem Programm, der uns angekündigt hatte, wir würden aus einem großen Angebot neuer Zeichnungen zu Charlottes Gedichten unsere noch benötigten 10 Blätter für den Band auswählen können.
••• In der DDR gab es fast nur uralte Gebetbücher, noch aus der Kaiserzeit. Darin abgedruckt war auch das »Gebet für das Heimatland und die Landesherren«, also Kaiser und Kaiserin. Nach der Gründung des Staates Israel schrieben Rav Yitzchak Halevi Hertzog und Rav Ben-Zion Uzi’el das im obigen Video von Chaim Adler und Yitzchak Meir Helfgot gesungene Gebet, das seither in aller Welt die jeweiligen »Gebete für die Landesherren« ersetzt. Die Fama behauptet, Shmuel Agnon, weltberühmter Romancier und Nobelpreisträger, hätte es verfasst. Das Gerücht hält sich so zäh, sogar seine Enkelin war felsenfest davon überzeugt. Tatsächlich wurde Agnon gebeten, bei der Erstellung des Textes behilflich zu sein. Es ist aber unklar, ob wirklich Teile des Textes von ihm stammen.
••• Die Herzdame hat mir einen Film geschenkt, den ich schändlicherweise noch nicht kannte. Was für ein Film! In »8 1/2« porträtiert Fellini einen Regisseur, der vor der Realisation seines immerhin 9. Filmes steht und feststellen muss, dass er nichts zu sagen hat. EIn Haufen Geld wurde bereits ausgegeben für absurde Kulissen. Guido, der von Marcello Mastroianni wunderbar gespielte Regisseur, den man gern für das (ein?) Alter Ego Fellinis halten darf, ist von Schauspielerinnen umgeben, die ihn mit Fragen nach ihren Rollen bedrängen, und er weiß ihnen nichts zu sagen. Der kryptische Titel bezieht sich auf den am Ende nicht realisierten (deshalb halben) 9. Film. Was wir zu sehen bekommen, ist die Geschichte des Scheiterns dieses Filmes. Ein grandioses Scheitern.
Ein Juwel in diesem Film ist das Treffen mit dem Kardinal im Dampfbad:
Guido: Eminenz, ich bin nicht glücklich.
Kardinal: Warum sollten Sie glücklich sein? Das ist nicht Ihre Aufgabe, mein Sohn. Wer hat Ihnen gesagt, dass man auf die Welt kommt, um glücklich zu sein?