••• Von wegen Google-Maps-Recherchen … Da kann man sich ganz schön in die Nesseln setzen, wie Rebecca Lefort vor einigen Monaten im britischen Telegraph berichtete. Argleton in Großbritannien existiert – allerdings nur auf Google Maps. Unternimmt man einen Ausflug, um sich den Ort live zu besehen, findet man nichts als Felder weit und breit. Von Argleton keine Spur.
Mitternacht schlägt es vom Turm. Es endet der Tag. Ein Kalenderblatt fällt. Man schreibt ein neues Datum. Die Redakteure gähnen. Die Druckformen der Morgenblätter werden geschlossen. Was am Tage geschehen, geredet, gelogen, erschlagen und vernichtet war, lag in Blei gegossen wie ein flacher Kuchen auf den Blechen der Metteure. Der Kuchen war außen hart, und innen war er glitschig. Die Zeit hatte den Kuchen gebacken. Die Zeitungsleute hatten das Unheil umbrochen, Unglück, Not und Verbrechen; sie hatten Geschrei und Lügen in die Spalten gepreßt. Die Schlagzeilen standen, die Ratlosigkeit der Staatenlenker, die Bestürzung der Gelehrten, die Angst der Menschheit, die Glaubenslosigkeit der Theologen, die Berichte von den Taten der Verzweifelten waren vervielfältigungsbereit, sie wurden in das Bad der Druckerschwärze getaucht. Die Rotationsmaschinen liefen. Ihre Walzen preßten auf das Band des weißen Papiers die Parolen des neuen Tages […]
••• Einmal mehr stehe ich in geradezu ehrfürchtiger Bewunderung vor Wolfgang Koeppens Prosa. Vor Monaten habe ich mir den 600 Seiten starken Band 926 der Bibliothek Suhrkamp bestellt, der die Romane von Koeppens Nachkriegstrilogie (»Trilogie des Scheiterns«) enthält. Seither lese ich »Tauben im Gras« – in homöopatisch zu nennenden täglichen Dosen wie seinerzeit schon »Jugend«. Heute morgen kam ich zur oben zitierten letzten Seite …
Die sonne steht tief in dem kleinen jahr
der farn grübelt über dunkel
der mutige pfad ist verschwunden
das große haus ist nur holz
in der täfelung raschelt ein feind
Der stuhl läßt dich sitzen
der tisch läßt dich sitzen
das brot läßt dich stehen
die kleinen kerne der wörter
die kerne der menschenleiber
mahlen und zermalmen deine hand
deinen geist
der feind raschelt
Briefe gären hinter alter täfelung
das mehl murmelt im munde
der holzwurm ritzt sich voran
dein hirn sprengt seine zeit
der feind ist los
Die wände stehlen sich weg
das werkzeug stiehlt sich weg
die uhr stiehlt sich in stillstand
sie haben einen spaziergang gemacht
dein stuhl und dein tisch
sie brüten alte
gierige wörter aus
hoch im schneeweißen gebirg
••• Inger Christensen? Habe ich gar nicht mitbekommen. Nicht, während sie lebte. Und nicht, dass sie im Januar letzten Jahres gestorben ist – ohne den Nobelpreis bekommen zu haben, für den sie jahrelang im Gespräch gewesen ist. Um solche Wissenslücken zu schließen, gibt es glücklicherweise das »Poesiealbum«. Im Heft 285 wird die dänische Lyrikerin mit einer kleinen Auswahl vorgestellt.
••• Ulli Janetzki, seit Urzeiten (möchte man sagen, ohne ihm zu nahe treten zu wollen) Hausherr im Literarischen Colloquium Berlin, hat sich kürzlich überrumpeln lassen. Da zückte einer die Kamera und bat ihn, ein paar Benn-Gedichte zu lesen. Es freut mich diebisch, dass mir das gleich jemand zugetragen hat, denn ich erinnere mich noch lebhaft an Ulli Janetzkis Rezitation von Richard Dehmels »Gerte« (Ich habe dich Gerte getauft, weil du so schlank bist / und weil mich Gott mit dir züchtigen will) und natürlich auch an jeden einzelnen Besuch in jener traumfhaften Villa am Wannsee, damals wie heute ein Ort, der für literarische Veranstaltungen wie geschaffen ist.
••• Schon mal was von Lapsang Souchong gehört? Ich auch nicht. Bis eben jedenfalls. Da ist mir doch tatsächlich eine Delikatesse durch die Lappen gegangen, die La Tortuga aka Ursula T. Rossel Escalante Sánchez auf ihrem virtuellen Postamt »Notizen aus Kangerlussuaq« angerichtet hat.
Lapsang Souchong ist – ein Tee, und was für einer. Dass ich das nun doch noch erfahren durfte, verdanke ich dem litblogs-Lesezeichen 04/2009, das kürzlich online ging und neben dieser Tee-Rafinesse auch noch andere literarische Schmankerln zu bieten hat. Stöbern lohnt sich.
Mein Hut lüftet sich leis in Richtung La Tortuga für dieses Bijoux. In einem Punkt allerdings irrt unsere Feinschmeckerin definitiv:
Es gibt ja auch kaum Essbares, das roh schmeckt, bis auf manche Fleischsorten und Eier.