Liebevoller Optimismus

2. Juni 2010

••• Da Jan Faktors neuer Roman die unsittliche Länge von 636 1/2 Seiten hat, werde ich wohl noch eine Weile brauchen, bis ich mehr darüber schreiben kann. »Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag« – das ist jedenfalls mal ein gewichtiger Titel. Und eingetaucht bin ich in Faktors Erzählungen schon allein deswegen liebend gern, weil mich die Frauenwirtschaft, in der Georg in Prag aufwächst, angenehm an die Marková-Frauendynastie aus dem »Alphabet des Juda Liva« erinnert.

Eine Passage will ich, wenn ich auch noch 437 1/2 Seiten vor mir habe, doch gleich mit den Turmseglern teilen. Sie stammt aus dem Kapitel über Georgs »Hauptgroßmutter Lizzy«, die eine echte Optimistin war.

Wenn sie krank war, ließ sie sich nicht gern von anderen bedienen, sie pflegte sich am liebsten allein – leise, unauffällig, sie klagte nie. Um ihre Genesung voranzubringen, badete sie so lange im heißen Wasser, bis sie im Gesicht rot wurde wie ein Krebs – und am nächsten Tag war sie in der Regel tatsächlich wieder gesund und voller Optimismus. Ihren Optimismus versuchte sie sowieso in jeder Lebenslage zu wahren. Auch ihr erster Eindruck von Auschwitz war seinerzeit – trotz einiger Auffälligkeiten – nicht der schlechteste. Nach einem kurzen Blick aus der Fensterluke sagte sie zu ihren Töchtern noch im Viehwaggon:

– Hier wird es gut sein.

Wow! Da musste ich erst einmal absetzen.


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»Die Leinwand« auf WDR3

1. Juni 2010

••• Stefan Berkholz bespricht heute auf WDR3 »Die Leinwand«. Die Buchrezensionen von WDR3 kann man übrigens via Podcast abonnieren. Unter dem Motto »Radio zum Mitnehmen« bietet der Sender sogar eine ganze Reihe spezieller Podcasts an: Design, Musik, Theater, Kunst, Kino – da ist für jeden etwas dabei.

Stefan Berkholz über »Die Leinwand«
WDR3 am 1. Juni 2010

Föhrenwald

30. Mai 2010

Wolfratshausen Waldram (ehemaliges DP Camp Föhrenwald)
Blick von der (neuen) Fußgängerbrücke entlang des Kanals in Richtung der Brücke, die noch heute zur einzigen Einfahrt zum Ortsteil führt

••• Vor zwei Wochen habe ich mit einem Freund einen Rechercheausflug unternommen, den wir schon im letzten Herbst geplant hatten. Wir waren dann vom frühen Schnee überrascht worden und mussten den Ausflug verschieben.

Besagter Freund hat an diesem idyllisch anmutenden Ort als Kind gelebt. Der malerische Eindruck jedoch täuscht. Der Kanal markierte eine Grenze. Der Ort war mit hohen Zäunen umgeben. Lediglich eine Zufahrtstraße führte über die damals einzige Kanalbrücke hinein in den Wolfratshausener Ortsteil Waldram, der früher Föhrenwald hieß, während des »Dritten Reiches« ein Zwangsarbeitslager und nach 1945 ein sogenanntes »DP Camp« war, ein Lager, in dem »Displaced Persons« auf ihre Ausreise aus Deutschland warteten, zu der es in vielen Fällen nie kam.

Wolfratshausen Waldram (ehemaliges DP Camp Föhrenwald)
Blick aus dem Ort auf die einzige Einfahrt zum ehemaligen DP Camp. Außen zu erkennen das Andreaskreuz. Dort verlaufen die Schienen, über die damals die Transporte das Arbeitslager und spätere DP Camp erreichten.


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Üben, üben, üben?

26. Mai 2010

Anton Tschechow: Die schönsten Liebesgeschichten (insel taschenbuch)••• Ich überlege, ob ich nicht ein paar Etüden schreiben sollte, Übungstexte, um ganz bestimmte handwerkliche Problemstellungen durchzuexerzieren. Wie man mit wenigen Worten erzählend einen Konflikt umreißt etwa. Oder wie man mit wenigen »Pinselstrichen« eine Figur beschreibt – äußerlich wie innerlich.

Als Maria Schrader letztens in den »Vorlesern« von den Erzählungen Tschechows schwärmte, nahm ich sie mir mal wieder vor, und diese Lektüre hat mir einige einprägsame Momente Demutserfahrung beschert.

Zwei enorm »ökonomische« Auftakte seiner Erzählungen will ich zitieren.


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Meine »Nützlichkeit«

25. Mai 2010

••• Meine »Nützlichkeit« beschränkt sich heute auf die Leistung einer Unterschrift – und zwar unter den Vertrag mit C.H.Beck über »Diamond District«. Bis 30. Oktober 2011 habe ich Zeit. Pah, da kann ich ja sorglos noch ein paar Monate nutzlos sein…

Briketts, Ritalin und eine bestimmte Art von Glück

24. Mai 2010

Briketts••• Im Winter 2006 hielt Wilhelm Genazino in Frankfurt fünf Poetikvorlesungen, die unter dem Titel »Die Belebung der toten Winkel« im Hanser Verlag erschienen sind.

In seiner dritten Vorlesung »Die Zeit und die Krümel« berichtet Genazino von einem unvergesslichen Augenblick des Kunstgenusses. Gemeinsam mit einer Freundin war eine von Genazinos Figuren beim nächtlichen Spazieren an einer Kohlenhandlung vorübergekommen. Das Geschäft hatte ein kleines Schaufenster, das spärlich beleuchtet war, so dass jedermann, der nachts an dem Laden vorüberging, sehen konnte, was hier angeboten wurde: Kohlen. In dem Schaufenster lagen lediglich einige Briketts, und der Anblick dieses Arrangements veranlasst die beiden Spaziergänger, eine Flasche Wein zu besorgen, zu dem Schaufenster zurückzukehren, die Briketts zu bestaunen und ausgiebig über die Frage zu diskutieren, ob es sich hierbei um ein Kunstwerk handele, ein beabsichtigtes oder unbeabsichtigtes, und wenn ja für wen dieses Kunstwerk wohl da sei.

»Für niemand«, sagt die Frau, »für dich und mich …« Und der Erzähler gesteht: »Jetzt hab‘ ich heute nacht doch noch etwas gesehen, womit ich nicht gerechnet hatte …«

Gestern las ich von einem Selbstexperiment eines Freundes. Er hatte eine von seinem Sohn glücklicherweise nicht mehr benötigte Restdosis »Ritalin« an sich erprobt und stellte am Abend fest, er sei über den ganzen Tag in der Lage gewesen, »mit voller Konzentration zu prokrastinieren«.


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Sigrid Löffler über »Die Leinwand«

22. Mai 2010

Sigrid Löffler
Sigrid Löffler

••• Am letzten Wochenende äußerte sich Sigrid Löffler auf Nordwestradio in der Sendung »Literaturzeit« ausführlich über »Die Leinwand«. Für den Turmsegler-Podcast hat mir der Sender freundlicherweise einen Mitschnitt des Gesprächs zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!

Sigrid Löffler in Nordwestradio »Literaturzeit« v. 17. 05. 2010
über Benjamin Steins Buch „Die Leinwand“ [7:13 min]