Ausgerechnet ein Huf!

20. Januar 2011

Matana mit seinem enzyklopädischen Wissen zitiert gern große Männer, Thomas Kardinal Wolsey etwa: »Sei sehr, sehr vorsichtig, was Du in deinen Kopf hinein lässt, denn du wirst es nie und nimmer wieder heraus bekommen.« Und damit haben beide recht, Wolsey, der es sagte, und Matana, der es sich nicht entgehen lässt, mich gelegentlich daran zu erinnern. Wie sehr ich mich im Laufe der Jahre auch gesträubt haben mag gegen die Sheol-Geschichte meines Bar-Mitzwa-Lehrers, ich werde sie doch nicht los. Allen inneren Widerständen zum Trotz spukt sie mir beharrlich im Kopf umher, und es gibt Augenblicke, in denen mich Zweifel beschleichen und ich annehme, es könnte am Ende doch etwas Wahres daran sein.

Eben zum Beispiel, als ich schlaftrunken ins Dunkel blinzelte und den Huf entdeckte.

Ausgerechnet ein Huf!


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Sheol

19. Januar 2011

Broken Mirror

Hätte mein Vater einen anderen Lehrer für meinen Bar-Mitzwa-Unterricht engagiert, wäre ich womöglich religiös geworden, denn was lag näher, als im Absender der codierten Nachrichten, die Auskunft über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu enthalten versprachen, Gott zu vermuten? Mein Leben wäre mit Sicherheit anders verlaufen, hätte mein Lehrer meine Vorstellung von Gott nicht mit Ängsten vergiftet, zunächst der trivialen Angst vor Mundgeruch und hässlichen, aus den Ohren sprießenden Borsten und schließlich einer ganz handfesten Angst. Als ich nämlich durch meinen Eifer beim Erlernen der hebräischen Vokabeln plötzlich doch Hoffnung in meinem Lehrer geweckt hatte, aus mir könnte noch einmal ein »Wissender« werden, wie er es nannte, da verdarb er mit einer Geschichte, die er selbst vielleicht gar nicht so wichtig nahm, für immer alles Religiöse für mich.


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Vivian Maier: Streets of Chicago

18. Januar 2011

Vivian Maier

••• Vivian Maier (1926-2009) (»» wikipedia) hat ihr Leben lang als Nanny gearbeitet. An ihren freien Tagen lief sie mit ihrer Rolleiflex durch Chicago und fotografierte. Niemand weiß, wie viele Fotos auf diese Weise entstanden sind. Denn Maier hat Zeit ihres Lebens kein großen Aufheben um diese Fotos gemacht. Niemand ahnte, was für Schätze in den Kisten schlummerten, die sie in ihrem kleinen Nanny-Zimmer lagerte.

Durch einen Zufall wurde ihr Werk nun entdeckt. Hinterlassen hat Vivian Maier 100.000 Negative mit phantastischen Fotos, Street Photgraphy at its best.


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Gematria

18. Januar 2011

Alpeh
Aleph • © David Lawrence Singer

Initiiert – so kann man es wohl nennen – wurde ich während meines Bar-Mitzwa-Unterrichts. Meine Eltern hatten mit der Religion nichts am Hut, und so hatte ich von Religiösem so gut wie keine Ahnung. Gott und seine Gesetze waren mir gleichgültig. Bar Mitzwa aber musste sein, schon wegen der Party und der Geschenke. Mein Vater könnte zeigen, was wir hatten, eine große Show mit hunderten Gästen. Der Unterricht war nicht mehr als die Zugangsvoraussetzung dafür, das Eintrittsbillett zur Party und zum Geschenkesegen. Also musste ich einige Monate lang zweimal die Woche zur Religionsstunde gehen. Mein Lehrer war ein mürrischer Alter, der beim Reden spuckte und dessen Mundgeruch mir Übelkeit bereitete. Keine Ahnung, was mit seinen Innereien los war. Aus seinen Ohren wuchsen graue Büschel borstiger Haare, und ich konnte, wenn ich ihm gegenübersaß, nicht anders als sie anzustarren mit einem Gefühl zwischen Ekel und Faszination. Religion, dachte ich, stinkt also und sprießt einem stachlig aus den Ohren.


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Erscheinungen

17. Januar 2011

Ich fürchte mich vor Erscheinungen, die ich nicht selbst erfunden habe. Und nun dieser Huf… Am Fußende lugt er im Dunkel unter der Bettdecke hervor. Das ist mir nicht geheuer. Ohne hinzusehen, decke ich ihn zu, lasse meinen Kopf zurück ins Kissen sinken und schließe die Augen wie ein Kind, das denkt, was es nicht sieht, sei nicht da. Das beruhigt mich. Dabei müsste ich wissen, dass es ein böses Omen ist.


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Manifesto

14. Januar 2011

Victor Jara: »Manifesto«

Yo no canto por cantar
ni por tener buena voz,
canto porque la guitarra
tiene sentido y razón.

Tiene corazón de tierra
y alas de palomita.
Es como el agua bendita,
santigua glorias y penas.

Aquí se encajó mi canto
como dijera Violeta;
guitarra trabajadora
con olor a primavera.

Que no es guitarra de ricos,
ni cosa que se parezca,
mi canto es de los andamios
para alcanzar las estrellas.

Que el canto tiene sentido
cuando palpita en las venas
del que morirá cantando
las verdades verdaderas.

No las lisonjas fugaces
ni las famas extranjeras,
sino el canto de una lonja
hasta el fondo de la tierra.

Ahí donde llega todo
y donde todo comienza,
canto que a sido valiente
siempre será canción nueva.

••• Als Teenager hatte ich eine Schallplatte von Victor Jara. Chile, der Putsch 1973, die exilierten Chilenen – unter ihnen viele Künstler – das alles war sehr präsent damals, hat mich ungemein bewegt. Ich habe alle Bücher von Antonio Skármeta und Ariel Dorfman gelesen, deren Texte zum Teil zuerst in deutscher Übersetzung in der DDR erschienen und erst viel später, nach Pinochets Abgang, in Chile selbst.


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In »Haaretz«

9. Januar 2011

Haaretz 07.01.2011

••• In Haifa – vor und nach der Lesung im Bucerius-Center – habe ich mich lang und ausführlich mit Benny Ziffer unterhalten. Dass daraus ein so schöner Artikel entstehen würde, wie er vorgestern als Aufmacher des Wochenendfeuilletons von »Haaretz« erschienen ist, konnte ich nicht ahnen. Umso schöner war nun die Überraschung.