••• Ich kann gar nicht so schnell schreiben, wie die Dinge geschehen. Im obigen Video gibt Daniel Kraft einen Einblick in die derzeitigen Entwicklungen der Medizintechnik. Sehr interessant. Aber schnallt euch an: Der Mann spricht wirklich schnell!
Den Muskelzuwachs schrieb ich den Pushups zu, den Gewichtsverlust meinen veränderten Essgewohnheiten. Was allerdings die panische Verwandlung anging, die ich an meinem Körper beobachtete, verdankte ich sie zum größten Teil wohl vor allem der zweiten Komponente meines Trainingsprogramms: Pilates.
Von meinem Speiseplan – wenn man es so nennen konnte – strich Katelyn lediglich die ungezählten Gläser latte macchiato, die ich üblicherweise während der Arbeit trank. Stattdessen fand ich jeden Morgen auf meinem Schreibtisch drei Literflaschen Mineralwasser, die ich, über den Tag verteilt, zu trinken hatte. Darüber hinaus, meinte sie, würde mein Körper mir sehr bald von sich aus signalisieren, was und wieviel er brauchte.
Das Training bestand im wesentlichen aus einem Pushup-Programm und Pilates. Zunächst übten wir atmen und diverse Varianten von Liegestützen in sauberer Ausführung. Als ich mit dem Training begann, schaffte ich fünfzehn bis zwanzig. Das Ziel, meinte Katelyn, liege bei hundert, was mir unmöglich erreichbar erschien. Allerdings machte ich sehr schnell deutliche Fortschritte.
Katelyn ging über den Vorfall hinweg. Das erleichterte mich zunächst, weil ich nicht ahnte, dass mich diese Art, die Situation zu handhaben, auf lange Sicht zu einem Gefangenen machte. Wir trafen uns nach wie vor, und da wir nun auch offiziell beruflich miteinander zu tun hatten, verbrachten wir mehr Zeit miteinander als je zuvor. Als Trainerin gab sich Katelyn bestimmt, wenn auch nicht übermäßig streng oder fordernd. Als Frau behandelte sie mich nicht etwa kühler. Unser Verhältnis blieb gelöst und zärtlich, als wäre nichts Irritierendes geschehen. Dennoch hatte sich etwas verändert. Ich wusste, dass sie jeden Augenblick die Frage stellen konnte, vor der ich mich fürchtete, dass sie jederzeit den Vorwurf erheben und eine Erklärung einfordern konnte, und ich hätte nichts von Substanz zu meiner Verteidigung vorbringen können. Ich weiß nicht einmal, ob es ihr bewusst war. Ihr Schweigen jedenfalls und der Umstand, dass ich es akzeptierte, bescherte mir eine Art emotionaler Gefangenschaft. Ich richtete mich in meinem Schuldgefühl ein und arrangierte mich mit dem von mir selbst verhängten Strafmaß, dem Bewusstsein nämlich, die unausgesprochene Verletzung nie wieder gutmachen zu können.
Im Erinnerungsgarten eines jeden gibt es wohl das eine oder andere schwarze Schaf, das dort vermeintlich friedlich und unbeobachtet grast. Es wächst nicht, aber es wird auch nicht kleiner, und vor allem stirbt es nie. Es grast, und gelegentlich blökt es laut und vernehmlich, damit man es ja nicht vergisst.
Das ist die Erinnerung an Augenblicke tiefster Peinlichkeit, Situationen, in denen wir uns einmal befunden haben und wünschten, umgehend im Erdboden zu versinken und nie wieder sichtbar zu werden. Allein die offenbar nie verblassende Erinnerung an jene Momente, die uns wieder und wieder unangekündigt zu überfallen vermag, genügt, die Scham erneut in uns aufsteigen zu lassen. Sie verblasst nicht, die Schuld ebenso wenig, und zu beidem gesellt sich auch noch die unbezwingbare Angst, dass andere sich ebenso lebhaft wie wir selbst an das Geschehen erinnern und uns jederzeit bloßstellen könnten.
Das nächste Date mit Katelyn war eine Tortur. Sie war bestens aufgelegt und scherzte, aber ich fühlte mich in mich zurückgezogen wie eine Schnecke im Haus. Ich konnte Katelyn kaum in die Augen sehen und brachte keinen zusammenhängenden Satz heraus, weil ich fürchtete, mich zu verraten. Es kam mir vor, als wären Nebelschwaden zwischen uns aufgezogen, die mein Bild von ihr überlagerten, die Details, die ich sah und an denen ich mich bislang gefreut hatte, ihre Augen, ihre Lippen, die frech in die Stirn stehenden blonden Haarspitzen. Was sie sagte, erreichte mich nur noch gedämpft und wie verzerrt. Über alles hatte sich eine graue, wabernde Wolke geschoben, die Vorstellung, dass alles zum letzten Mal geschah, dass die Zukunft mit ihr hier und jetzt endete, obwohl keiner von uns es so wollte.
Nicht einmal diese Aussichten konnten meinen Enthusiasmus bremsen. Ich war entschlossen und unterschrieb den Vertrag, und während ich es tat, beschäftigte mich der einzige Gedanke, der mir bei diesem Vorhaben wirklich Angst machte: Ich würde mit Katelyn reden müssen. Seit Monaten hatte ich wortreich versucht, sie von einer Laser-OP an ihren kurzsichtigen Augen abzubringen. Nun würde ich ihr erklären müssen, wie ausgerechnet ich mich auf das Abenteuer eines solchen ungleich gewagteren Eingriffs einlassen konnte.
Beim damaligen Stand unserer Beziehung hätte ich mich nicht erklären müssen. Genau das aber war der Punkt: Wenn ich ihr abgeraten hatte, dann nicht, weil ich ihre falschen grünen Augen so sehr liebte, dass ich auf sie nicht hätte verzichten können, sondern weil ich mich um Katelyn sorgte. Ich redete mir ein, dass sie womöglich gerade dieser Sorge wegen bisher auf die Operation verzichtet hatte, weil sie an meiner Stelle ähnlich empfunden hätte. Wie konnte ich nun etwas tun, das sie sich selbst meinetwegen versagte?