Im Café Kastanie…

13. Januar 2007

••• Als ich Julias Buch 1997 las, gab es mir einen Kick, und es beschämte mich. Ohne mit der Wimper zu zucken, grad wie im Vorbeigehen erzählte sie die verstörendsten Dinge. Die Worte trafen genau, sie trafen unmittelbar. Und alles – so schien es mir – war echt.

Ich arbeitete damals gerade an der x-ten Iteration eines Manuskripts, an dem ich schon seit 1987 übe. Es besteht aus Monologen der beteiligten Personen. Für eine dieser Figuren – ein Mädchen – hätte ich mir diese Sprache gewünscht, dieses scheinbar unbeteiligte Erzählen, bei dem man doch nach jedem Satz genau spürt, wie sehr beteiligt, wie bis ins Tiefste beteiligt die Erzählerin gewesen war. So viel zum Kick.

Und die Beschämung?


Den ganzen Beitrag lesen »

Wachteln im Käfig

12. Januar 2007

Cook in brain © by ~adnrey

••• Neue Kontakte wie diese zu knüpfen, fiel mir nie leicht. Hin und wieder habe ich es dennoch versucht. So war es auch bei Julia Franck. Ihren Debüt-Roman „Der neue Koch“ habe ich 1997 im Handlager des Ammann-Verlags gefunden. Er war in der Meridiane-Reihe erschienen, die ich sehr liebte und zu der ich selbst eines Tages unbedingt ein Manuskript beitragen wollte. Dazu ist es bis heute nicht gekommen, aber zu einem Treffen mit Julia in Berlin. Auf dem Weg dorthin las ich noch einmal ihr Buch. Hier ein Auszug: Am zitierten Tag gab es Wachteln im Käfig.


Den ganzen Beitrag lesen »

Weißt du warum wir so gehen

11. Januar 2007

pe's em terra by Ruanaa

für Elsa Hupe

Ich sah ihn nicht kommen

Auf einer Reise war mein Körper
mit Kleidern umwickelt so dass
dieser winzige Strahl
keinen Eingang fand über die Haut

Ich fuhr immer gegen die
Sonne und sah alles Erkennbare
nur als Kontur
Keine Klinken und Schlösser
waren an den Türen zu finden

Nach Hause
polterte der Zug gegen die Erde
nach Hause
Mein vom Rauch bitterer Mund
schluckte am Rattern der Räder

Im Magen lag Mutters Name
ein unauflösbarer Stein
Und das Vatertier kreiste um meinen Kopf
mit toten besoffenen Augen

Den Weg bis zu ihrem Haus
bin ich geflogen
Ich wollte meine Kinderfüße
nicht sehen
wie sie über den Asphalt trippeln
ohne Richtung und Ziel

Ich wollte die Schultür nicht hören
Wie sie ins Schloß fiel
Ich wollte das Stadion nicht sehen
in dem ich Runde um Runde
um mein Leben lief

Ich wollte die Fremden nicht grüßen
mit ihren alternden Kindergesichtern
deren Namen ich aus dem Klassenbuch
noch heute auswendig weiß

Ich hatte Blumen in der einen Hand
in der anderen eine Tüte voll Lügen
eine Haarfarbe wie aus einer
anderen Welt

Als ich neben der Mutter
durchs Küchenfenster flog
hat sie nicht mal gelacht
Sie wischte mich fort
wie man einen unverdienten Schweißtropfen
von der Stirn wischt

Zwischen die Töne der oberen
Oktaven die aus dem Radio spritzen
warf ich meine Grüße in baumwollenen
Hemden damit sie die Pappwände
nicht zerbrachen

Ich striegelte meinen Namen bis er
so glänzte wie eine wirkliche Sonne
Der Mund der Mutter formte ein
Riesiges Oh und
durch die Mundhöhle sah ich
den Hunger
den die geborenen Kinder dort hinterlassen
Den nichts befriedigt
kein noch so sorgsam gebratenes Huhn
keine willig gestandene Liebe

Und noch immer sah ich ihn
nicht kommen
Als ich den Wein
in meinen Mund schöpfte
um das leergelaufene
Meer zu erneuern
Um die Farben der alten
Plastbären aufzuhellen
die in der Badewanne ertranken

Um dem Mond eine klare Wendung zu geben

Allerseelen war
Auf den Friedhöfen zitternde
Blumen Schleifen und
Lilien
Gott stürzte und fiel
mit dem Kopf auf den schlammigen Weg

Und das Licht schnitt
die Fensterscheibe zum Kreuz

Die Telefone in der kleinen
verworfenen Stadt waren von der restlichen Welt
wie abgeschnitten
So riss ich am fleischigen Arm
meiner Mutter als könne der
ihr so zugeteilte Schmerz
den meinen halbieren
Doch sie hielt mir nur
ihren Hunger entgegen
Ein tiefes gähnendes Loch

Da wollte ich in die Höhle zurück

Ich sah ihn
nicht kommen als er kam
wie ein Gast den du batest
an deinem Tisch Platz zu nehmen
die endlosen Biere zu trinken
Zigaretten zu rauchen bis zur
Unkenntlichkeit der Gesichter

Vielleicht sah er aus
wie einer von vielen
Vielleicht hat er dir artig
die Hand geküsst

Vielleicht hat er
vielleicht gesagt mit übereinander
geschlagenen Lippen

Sein Mantel wehte über
den lichtblauen Himmel
als mir die Mutter die Tür wies

Er trug dich in der Nähe
des Orion vorbei
mit nackten wie gläsernen
Armen

Weißt du
warum wir so gehen
Riefst du nach mir

Mein Mantel schlug
ein Loch in die Luft

Die Füße wuchsen
dem Erdkern entgegen

Undine Materni, aus: „Die Tage kommen über den Fluss“
Literaturstiftung Tikkun, Warschau
© Undine Materni 2006


Den ganzen Beitrag lesen »

Die Tage kommen über den Fluss

10. Januar 2007

Charon on the Styx. Painting by Joachim Patenier, 1515-24. Museo del Prado, Madrid.

Die Tage kommen
über den Fluss. Charons Boot
schlingert zuweilen. Er legt an.
Lädt die Fracht ins modrige
Schilf. Kisten voll Zeit.
Dann wendet er Gesicht und Boot
lächelt und taucht
die Ruder ins Wasser.

Der Himmel
ein tanzendes Auge
aus Blau ist ihm
über. Die Hand am Blatt
wechselt er Ufer
um Ufer.

Zwei Männer steigen
durch klebrigen Schlamm.
Greifen die Fracht. Schütteln.
Wind aus dem Haar
als sei er ein Fremder. Laden
die Kisten auf einen
hölzernen Karren. Der bricht nicht
das Ufer vom Fluss

das Herz zu betäuben
die zuckenden Kehlen. Die Zungen sind
rot und das Blut an den aufgerissenen
Händen wechselt ins Schwarz.

Undine Materni, aus: „Die Tage kommen über den Fluss“
Literaturstiftung Tikkun, Warschau
© Undine Materni 2006


Den ganzen Beitrag lesen »

Das Bildnis des Dorian Gray

9. Januar 2007

Szenenfoto, Picture of Dorian Gray (1945)Ruhig trat er ein, schloß die Tür hinter sich ab, wie er es immer tat, und riß den Purpurvorhang von dem Bild. Ein Schrei des Schmerzes und der Empörung entrang sich ihm. Die einzige Veränderung, die er zu entdecken vermochte, war ein Ausdruck der List in den Augen und ein scheinheiliger Zug um den Mund. Das Bild war noch immer widerwärtig – widerwärtiger denn je, falls das überhaupt möglich war. Der scharlachrote Fleck auf der Hand glänzte feucht und sah aus wie frisch vergossenes Blut. […]

Er sah sich um. Dort lag das Messer, das Basil Hallward zum Verhängnis geworden war. Er hatte es oftmals gereinigt, kein Fleck war mehr darauf sichtbar. Es glänzte und gleißte. Wie es den Maler getötet hatte, so sollte es auch des Malers Werk töten und alles, was damit zusammenhing. Es sollte die Vergangenheit aus der Welt schaffen – wenn sie tot war, würde er frei sein, erlöst von dem schrecklichen Anblick seiner Gestalt gewordenen Seele. Er griff das Messer und stieß es in das Bild. […]

Oscar Wilde, aus: „Das Bildnis des Dorian Gray“


Den ganzen Beitrag lesen »