17. Januar 2007Die Ballade von den Mädchen, die keinen Mann mehr finden
Sie haben alle einen Abend lang
und hautnackt blank
im grünen Gras gelegen.
Und haben da in solcher Nacht
den Mann um seinen Schlaf gebracht,
sie wußten wohl weswegen.
Das war im Sommerjahr ihr schönster Traum,
denn winters grünt im Wald kein Pflaumenbaum.
Im Pflaumenbaum da sang die Nachtigall
noch manches Mal das Lied vom Sündenfall.
Und oben bei den Schafen
da stand ein fetter Mond und ließ
den Knaben, der so schön auf seiner Flöte blies,
die ganze Nacht nicht schlafen.
Er hat an das, was nachher kommt, gedacht
und in der Früh sich aus dem Staub gemacht.
Da banden sich die Mädchen einen Kranz ins Haar
und klopften an bei Jesu Engelschar,
daß er sie von den Bösewichtern
erlöse für und für.
Doch Petrus stand mit seinem Sarraß vor der Tür
und zeigte auf den See, da irrten sie herum, die Lichter,
die Angedenken aus der Pflaumenzeit
in einem dicken Würmerkleid.
So manche Frau trägt immer noch die Jungfernhaut,
obwohl ihr Haar schon dünn ist und ergraut.
Die ganze Nacht brennt in der Kammer Licht
und aus dem Spiegel grinst ein häßliches Gesicht.
Da möchte sie das Bild zerschmeißen.
Doch Glück und Glas, das reimt sich nie
auf Pflaumenbaum und Zitterknie.
François Villon, aus: „Die lasterhaften Balladen des François Villon“
Nachdichtung von Paul Zech
© 1962-2006 Deutscher Taschenbuch Verlag, München
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16. Januar 2007
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16. Januar 2007Und hiemit schließt das Testament,
das euch François Villon beschert.
O kommt zur Leiche, falls ihr könnt,
wenn ihr das Sterbeglöcklein hört;
doch in zinnoberrotem Kleid:
Er ist ein Märtyrer, der leidet.
Er schwört’s bei seiner Männlichkeit,
bis er aus diesem Leben scheidet.
Und er spricht wahr. Von seinen Lieben
ward schon von je François Villon
mit Schimpf und Schmach davongetrieben,
so daß von hier bis Roussillon
kein Bäumchen, keine Hecke steht,
die ihn mit scharfem Dorn nicht schneidet,
kein Wind geht, der ihn nicht verweht,
bis er aus diesem Leben scheidet.
Und naht einst seine Todesstunde,
besitzt er sicher keinen Fetzen;
die kaum vernarbte tiefe Wunde
wird stets die Liebe neu verletzen.
Von ihrem scharfen Dorne wird
das Leben täglich ihm verleidet,
so daß er ohne Ruhe irrt,
bis er aus diesem Leben scheidet.
Geleit
O seht, ihr Wirte, seine Pein
und seine Armut an. Drum kreidet
ihm täglich ein paar Liter Wein,
bis er aus diesem Leben scheidet.
François Villon,
übertragen von K. L. Ammer
••• Wenn ich so fortfahre, werden am Ende noch alle meine Quellen offenliegen; der Brunnen der Inspiration ausgeleuchtet bis in die letzten Winkel… Aber was solls. Ich bin ja in bester Gesellschaft.
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15. Januar 2007
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14. Januar 2007
1984 Cover – © 2002-2007 by Xaime Aneiros
Das Café „Zum Kastanienbaum“ war fast leer. Ein schräg durch ein Fenster einfallender Sonnenstrahl fiel auf verstaubte Tischplatten. Es war die stille Stunde nach fünfzehn Uhr. Blechmusik rieselte aus den Televisoren.
Winston saß in seiner Stammtischecke und starrte in ein leeres Glas. Dann und wann hob er den Blick zu einem großen Gesicht, das ihn von der gegenüberliegenden Wand ansah. Der Große Bruder sieht dich an, lautete der Begleittext. Unaufgefordert kam ein Kellner und füllte sein Glas mit Victory-Gin, wobei er ein paar Tropfen aus einer anderen Flasche, deren Kork von einem Federkiel durchbohrt war, hineinspritzte. Es war mit Gewürznelken versetztes Sacharin, die Spezialität des Hauses.
Winston lauschte dem Televisor. Im Augenblick ertönte nur Musik, aber es bestand die Möglichkeit, daß jeden Augenblick eine Sondermeldung des Friedensministeriums erfolgte. Die Nachrichten von der Afrikafront waren äußerst beunruhigend. […]
Eine erregte Gemütsbewegung, nicht gerade Furcht, aber ein ihr nicht unähnliches Gefühl, wallte in ihm hoch, dann verebbte sie wieder. Er hörte auf, an den Krieg zu denken. Gegenwärtig konnte er seine Gedanken nie länger als ein paar Augenblicke hintereinander auf einen Gegenstand gerichtet halten. Er erhob sein Glas und leerte es auf einen Zug. Wie immer, mußte er sich danach schütteln und einen leichten Brechreiz überwinden. […]
Fast unbewußt malte er mit dem Finger in den Staub der Tischplatte:
2 x 2 = 5
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Tags: 1984 • George Orwell • Günter Grass • Michel Anderson • Prosa
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