12. Februar 2007
Nachrichten, die für mich bestimmt sind,
weitergetrommelt von Regen zu Regen,
von Schiefer- zu Ziegeldach,
eingeschleppt wie eine Krankheit,
Schmuggelgut, dem überbracht,
der es nicht haben will –
Jenseits der Wand schallt das Fensterblech,
rasselnde Buchstaben, die sich zusammenfügen,
und der Regen redet
in der Sprache, von welcher ich glaubte,
niemand kenne sie außer mir –
Bestürzt vernehme ich
die Botschaften der Verzeiflung,
die Botschaften der Armut
und die Botschaften des Vorwurfs.
Es kränkt mich, daß sie an mich gerichtet sind,
denn ich fühle mich ohne Schuld.
Ich spreche es laut aus,
daß ich den Regen nicht fürchte und seine Anklagen
und den nicht, der sie mir zuschickte,
daß ich zu guter Stunde
hinausgehen und ihm antworten will.
Günter Eich, aus: „Botschaften des Regens“
© Suhrkamp Verlag 1955
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11. Februar 2007••• Fast auf den Tag zwölf Jahre ist es her, dass ich mit einem Computer, einem Koffer und ein paar Kisten in München angekommen bin. Die ersten drei Jahre habe ich in Sklaverei verbracht. Ich ging um 9 in die Redaktion, kam gegen Mitternacht nach Hause, sah mir die Nachtwiederholung der täglichen Startrek-Folge an und fiel ins Bett. Die Wochenenden verbrachte ich meist auch im Büro oder flüchtete nach Berlin, woher ich gekommen war.
Von München habe ich nichts mitbekommen. Und überhaupt: Das war ja alles nur vorübergehend, und früher oder später würde ich wieder zu Hause sein. Selbst, als ich meine spätere Frau kennengelernt hatte, fuhren wir nach Berlin und spähten einige Strassenzüge aus, in denen sich wohnen liesse.
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Tags: Poetik
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11. Februar 2007lasst nur die Toten Tote sein. und legt sie schlafen unter Rinden
jetzt wo sie einmal Tote sind. ihr sollt sie binden fest
an Stricken unter schweren Steinen und keine Lilien auf die Gräber
die duften ja umsonst. stellt ihnen sieben Hütten drauf aus Stroh
die sind genug. da kommt nichts, nein, wenn Sehnen einmal reißen
und volle Herzen mal geschlagen sind. die schmalen Ohren doch mit Grind
und Erde jetzt. ach lasst die Toten schlafen, ihr.
den andern sollt ihr Wasser geben. wohl warmes Blut aus euren Kehlen
viel Milch, Muskat, drei Tüten Thymian, auch Zuckerhüte, wenn ihr habt
und manchmal eine Unze Gold. Vor allem sind sie durstig, sollt ihr wissen:
das Blut kühlt ihre Kehlen sehr und Wasser wühlt die Äcker auf. das macht
.die andern fester träumen.
Ulrike Almut Sandig, aus: „Zunder“,
Connewitzer Verlagsbuchhandlung Peter Hinke
© Ulrike Almut Sandig 2005-2007
••• Als ich in Ulrikes „Zunder“ stöberte und das Totengedicht zum ersten Mal las, wanderten meine Gedanken unwillkürlich zu der langen Tafel im „Gang der Erinnerung“ unserer neuen Synagoge am Münchner Jakobsplatz: über 4.500 Namen von Münchner Juden, die aus den Vernichtungslagern nicht heimgekehrt sind. Und ich dachte ebenso an eine ähnliche Namenstafel auf dem Friedhof der Sozialisten in Berlin Friedrichsfelde, auf der unter vielen anderen auch der Name meines Urgrossvaters steht, der 1933 in einem Gestapo-Gefängnis starb.
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10. Februar 2007 ••• Manchmal findet man; manchmal wird man gefunden. Vor einigen Tagen kam ein Autorenkollege hier vorbei, um ein wenig zu stöbern. Er hinterliess einen Kommentar und damit eine heisse Spur zu gleich mehreren Blogs, wie ich sie suche: Blogs von Autoren, quasi Dichter-Moleskines.
Unter dem Titel seines Hörbuchs „Elke erzählt“, publiziert Hans J Hilbig in kleineren Happen einen sehr poetischen Prosatext, der unbedingt lesenswert ist.
Das ist nicht die einzige Online-Entdeckung der letzten Tage. Und so gibt es ab heute eine neue Rubrik „Auf der Rolle“. Unter dieser Rubrik werde ich gelegentlich literarische und Autoren-Weblogs vorstellen, die auf die Turmsegler-Blogroll gehören.
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9. Februar 2007
Wohin wir uns wenden im Gewitter der Rosen,
ist die Nacht von Dornen erhellt, und der Donner
des Laubs, das so leise war in den Büschen,
folgt uns jetzt auf dem Fuß.
Wo immer gelöscht wird, was die Rosen entzünden,
schwemmt Regen uns in den Fluß. O fernere Nacht!
Doch ein Blatt, das uns traf, treibt auf den Wellen
bis zur Mündung uns nach.
Ingeborg Bachmann
••• Noch eine Assoziation zu Gabriela Mistral:
Die Seele wird dem Körper sagen, sie trüge
das Gewicht des Leibes auf dem Rosenweg nicht weiter …
Bei diesem Vers aus den „Sonetten des Todes“ musste mir einfach die „Aria I“ einfallen.
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