Traumnovelle
31. Oktober 2011
Nicole Kidman in »Eyes Wide Shut«
… »Was sollen wir tun, Albertine?«
Sie lächelte, und nach kurzem Zögern erwiderte sie: »Dem Schicksal dankbar sein, glaube ich, daß wir aus allen Abenteuern heil davongekommen sind – aus den wirklichen und aus den geträumten.«
»Weißt du das auch ganz gewiß?« fragte er.
»So gewiß, als ich ahne, daß die Wirklichkeit einer Nacht, ja daß nicht einmal die eines ganzen Menschenlebens zugleich auch seine innerste Wahrheit bedeutet.«
»Und kein Traum«, seufzte er leise, »ist völlig Traum.«
Sie nahm seinen Kopf in beide Hände und bettete ihn innig an ihre Brust. »Nun sind wir wohl erwacht«, sagte sie – »für lange.«
Für immer, wollte er hinzufügen, aber noch ehe er die Worte ausgesprochen, legte sie ihm einen Finger auf die Lippen und, wie vor sich hin, flüsterte sie: »Niemals in die Zukunft fragen.«
••• Zu den »Brosamen aus den Entertainment-Kanälen«, die in Ed Rosens Replays eine Rolle spielen, zählt auch Kubricks grandioser Film »Eyes Wide Shut«. Was für ein Versäumnis, dass ich, während ich »Replay« plante, zwar den Kubrick-Film erneut angesehen, die literarische Vorlage aber – Schnitzlers »Traumnovelle« – nie gelesen habe.
Höhle der Löwen
26. Oktober 2011••• Morgen geht es in die »Höhle der Löwen«, den großen Konferenzsaal im Hause Beck, wo seit heute die Vertreter tagen. Schon einmal hatte ich das Vergnügen und war damals wie heute nervös. Und warum das, wenn es letztendlich doch ein Vergnügen war?
Es hängt so viel ab von den Vertretern, von ihrer eigenen Begeisterung für ein Buch, die sie schließlich zu den Buchhändlern transportieren müssen. Damals wusste ich nicht, wie so eine Buchvorstellung auf einer Vertreterkonferenz abläuft, und Premieren sind immer eine spezielle Angelegenheit. Ich habe mir das rote Wams Heinrichs mit den goldenen Löwen übergezogen und die Damen und Herren eingeschworen. Morgen werde ich mich als erstes bei ihnen bedanken können, denn dass sich »Die Leinwand« so gut verkauft hat, lag zu einem großen Teil an ihnen.
Aber nun, mit einem neuen Buch, stehen wieder alle Zeichen auf Anfang. Auf der Vertreterkonferenz werden alle Titel des Programms debattiert, Inhalt und Verpackung, Klappentexte und Vorschautexte, und der Autor, der seinen Titel vorstellen darf, wird mit Fragen überhäuft, die ans Eingemachte gehen. Ich fürchte, es wird viele Fragen geben, wenn man sich morgen in gleicher Runde wie vor zwei Jahren erneut trifft.
Día de los Muertos
25. Oktober 2011
Ohne Titel, Pigmenttusche auf Papier, © Kerstin Klein (2011)
••• Uns stehen gruselige Tage bevor. In der fünften Staffel von »Babylon 5« bittet eine Abordnung des Volkes der Brakiri darum, für eine Nacht eine Sektion der Raumstation Babylon 5 kaufen zu dürfen. Durch den Kauf würde diese Sektion zu einem Teil des Brakiri-Reiches werden und es so den Brakiri an Bord ermöglichen, ein wichtiges religiöses Fest zu begehen, das nur aller 200 Jahre gefeiert wird: Die Nacht der Toten. Die Sektion wird verkauft. Durch Ignoranz und dumme Zufälle befinden sich in dieser Nacht jedoch auch einige Nicht-Brakiri in der verkauften Sektion und bekommen so mit, was diese Nacht so besonders macht. In ihr erscheinen Tote noch einmal wie leibhaftig, wobei man sich jedoch nicht aussuchen kann, wer einem erscheint. Hat man Glück, bekommt man die Gelegenheit, mit dem Toten noch etwas zum Guten zu regeln, sich zu entschuldigen etwa, sich zu versöhnen, ein Missverständnis aufzuklären oder eine späte Liebeserklärung zu machen. Man kann natürlich auch Pech haben…
Die Literatur der Ichzeit
24. Oktober 2011Wir – Leser, Schriftsteller, Kritiker – leben, lesen und schreiben schon lange in einer literarischen Epoche und wissen es nicht. Vielleicht ahnen wir es, […] Aber dass die besten Romane der letzten fünfundzwanzig Jahre mehr verbindet als ihre Qualität, kam, glaube ich, noch keinem von uns in den Sinn.
••• Seit den Skizzen zu meinem ersten Roman »Der Libellenflügel« (1987) beschäftigt mich das Erzählen in der 1. Person. Ich sagen. Ein Ich erzählen lassen. Im »Alphabet des Juda Liva« bin ich, so sehe ich es heute, auf Abwege geraten. Heute kann ich mir nicht mehr vorstellen, vom Ich in der Prosa abzugehen. Schon damals habe ich die Weltliteratur durchforstet nach großen Ich-Erzählungen, und ich wurde fündig. Über alle Epochen hinweg kann man fündig werden.
Maxim Biller schreibt nun in der FAZ über die großen Ich-Erzählungen der letzten Jahrzehnte. »Ichzeit« sei, stellt er fest und glaubt, eine unter dem Ich stehende literarische Epoche ausmachen zu können.
Türkische »Leinwand«
22. Oktober 2011••• Vielleicht ist es eine Spätfolge meines gemeinsamen Auftritts mit Mario Levi beim Türkischen Literaturfestival in Berlin. Genau weiß ich es nicht und muss da noch einmal nachforschen. Fest steht aber, dass »Die Leinwand« ins Türkische übersetzt wird und bei Metis Publications (Istanbul) erscheinen soll. Das ist – schön schön schön.
Titel und Übersetzer werde ich nachreichen, sobald ich mehr weiß.
PS: Fikret Doğan wird »Die Leinwand« übersetzen und ist tatsächlich auf der Levi/Stein-Doppellesung auf »Die Leinwand« aufmerksam geworden. Als Titel ist »Beyaz Perde« vorgesehen, was Google als »Bildschirm« übersetzt. Ich hatte auf »Tuval« getippt, aber ich kann ja auch kein Türkisch.
Kleine Theorie des Literarischen Bloggens
17. Oktober 2011••• Ich musste nachsehen. Es ist tatsächlich schon wieder vier Jahre her, dass ich als Herausgeber und beitragender Autor an einer sehr interessanten Sonderpublikation von spatien über Literarische Weblogs beteiligt war. Dreizehn Autorinnen und Autoren, die Literarische Weblogs betreiben, äußerten sich in diesem Buch mit theoretischen Texten und illustrierenden Beispielen aus ihren Blogs zu der Frage, was ihnen das Literarische Weblog bedeute. So illuster der Kreis der Autoren war, so vielfältig fielen auch die Ansichten zum Thema aus.
Unter den damaligen Autoren fand sich selbstverständlich auch Alban Nikolai Herbst. Selbstverständlich deshalb, weil sein Blog »Die Dschungel. Anderswelt« so etwas wie das Urgestein unter den Literarischen Weblogs deutscher Sprache ist. Er hat vor uns allen begonnen, und man konnte sich damals schon des Eindrucks nicht erwehren, dass man ihn auch nicht würde »einholen« können, dass man nicht würde aufschließen können. Für Herbst nämlich, so stellte es sich dar, war (und ist) sein Dschungel nicht einfach nur irgendeine Plattform der öffentlichen Präsentation seines Arbeitens, sondern das Weblog ist ein Grundpfeiler seines literarischen Werkes. Entsprechend aktiv führt er es. Entsprechend vehement entwickelt er auch seine poetologischen Überlegungen rund ums literarische Bloggen weiter.
Seit geraumer Zeit gibt es in den Dschungeln eine Rubrik mit dem Titel »Kleine Theorie des Literarischen Bloggens«, in der Herbst den wesentlichen Teil dieser poetologischen Überlegungen kondensieren lässt. Hartmut Abendschein, der seinerzeit bereits die Anthologie »literarische weblogs« verlegerisch betreut hat, stellt nun in seiner zu einem Verlag mit kontinuierlich wachsendem Programm gereiften edition taberna kritika unter genau dem Titel der Dschungel-Rubrik eine Essenz der Herbstschen Überlegungen zum Literarischen Bloggen als Buch vor. »Erste Lieferung« heißt es im Untertitel, und das 130 starke Paperpack schließt mit dem Hinweis: »Fortzusetzen.«