Der Verzweifelte malt eine Schlange

7. März 2007

Sperber im Flug

Ich erstieg einen Hügel
beim Aufgang des Mondes.

Sie schwor, sie nehme
den südlichen Pfad.

Ein dunkler Sperber erhob sich,
den gewundenen Weg
zwischen den Fängen.

Pablo Antonio Cuadra
Übertragung: Uwe Grüning

••• Laut Wikipedia gibt es in Amerika gar keine Sperber. Wenn schon.

An eine Blume geschrieben

6. März 2007

Kolibri

„Ich fürchte, des Kolibris Flügel zu zeichnen,
damit mein Griffel
seiner kleinen Freiheit nicht schade.“

seiner kleinen Freiheit nicht schade.“Eingedenk sei
der Lehre des Meisters der Mächtige,
wenn er Gesetze ersinnt für die Schwachen.

wenn er Gesetze ersinnt für die Schwachen.Es lausche
diesem Spruch des Töpfers das Mädchen,
wenn meine Lippen sich nähern.

Pablo Antonio Cuadra
Übertragung: Uwe Grüning

••• Die Gedichte der kommenden Tage stammen alle aus einer Anthologie des Verlages Philipp Reclam jr. Leipzig, die 1981 anlässlich des 2. Jahrestages der sandinistischen Revolution erschienen und nicht mehr erhältlich ist. Die Gedichte wurden nach Interlinearübersetzungen von Helga Bergmann, Christel Dobenecker und Kristina Hering u. a. von Uwe Grüning, Heinz Czechowski, Uwe Kolbe und Hubert Witt nachgedichtet.

Grüsse nach Macondo

6. März 2007

Das gigantische Werk von Gabriel Garcia Márquez (sämtliche Titel sind in deutscher Übersetzung bei Kiepenheuer und Witsch erschienen) lässt sich kaum treffender charakterisieren als mit den Worten Heinrich Bölls: „Er ist eine einmalige Erscheinung, weil bei ihm das, was wir Engagement nennen, mit dem, was wir Poesie nennen, vollkommen übereinstimmt.“

Gabriel Garcia Márquez als Kind••• Herzlichen Glückwunsch an Gabriel Garcia Márquez zum 80. Geburtstag!

Ich bin ja, was Geburtstage angeht, sehr unverlässlich. Aber Hilbi hat dran gedacht. Natürlich wird von Márquez hier noch die Rede sein. Heute noch nicht, aber bald…

Gebet für Marilyn Monroe

5. März 2007

Marilyn Monroe

Herr
nimm auf dieses Mädchen, in der ganzen Welt bekannt als
Marilyn Monroe,
wenn das auch nicht ihr wirklicher Name war
(doch Du kennst ihren wirklichen Namen, den Namen des kleinen Waisenkindes, das mit neun Jahren vergewaltigt wurde,
und der Verkäuferin, die mit sechzehn Selbstmord versuchte)
und die nun vor Dir steht, ohne Schminke,
ohne ihren Presseagenten,
ohne Fotografen und ohne Autogramme zu geben,
allein wie ein Astronaut vor der Nacht des Weltraums.

Sie träumte als Kind, nackt in einer Kirche gewesen zu sein
(wie Time berichtete)
vor einer knienden Menge, die Köpfe geneigt bis zur Erde,
und sie mußte auf Zehenspitzen gehen, um die Köpfe nicht zu zertreten.
Du kennst unsere Träume besser als alle Psychiater.
Kirche, Haus, Höhle bedeuten die Sicherheit des Mutterschoßes,
aber doch auch mehr als das…
Die Köpfe, das sind die Bewunderer, das ist klar
(die Masse der Köpfe im Dunkel unter dem Strahl des Lichts).
Doch der Tempel ist nicht das Studio der 20th Century Fox.
Der Tempel – aus Marmor und Gold – ist der Tempel ihres Körpers,
aus dem der Menschensohn, eine Peitsche in der Hand,
die Händler der 20th Century Fox vertreibt,
die aus Deinem Gebetshaus eine Räuberhöhle gemacht haben.

Herr,
in dieser Welt, verpestet von Sünde und Radioaktivität,
sprichst Du nicht eine Verkäuferin schuldig,
die wie alle Verkäuferinnen davon träumte, ein Filmstar zu sein.
Und ihr Traum wurde Wirklichkeit (die Wirklichkeit in Technicolor).
Sie hat nur nach unserem Drehbuch gespielt
– dem unserer eigenen Leben –, und das Buch war absurd.
Vergib ihr, Herr, und vergib auch uns
für unsere 20th Century,
für unsere Monster-Super-Produktion, an der wir alle gearbeitet haben.
Sie war hungrig nach Liebe, und wir boten ihr Beruhigungsmittel.
Weil sie traurig war, keine Heilige zu sein, empfahl man ihr Psychoanalyse.
Denke, Herr, an ihre wachsende Angst vor der Kamera
und an den Haß auf die Schminke – sie bestand vor jeder Szene auf neuem Make-up –,
und wie das Entsetzen zunahm
und die Unpünktlichkeit in den Studios.

Wie jede Verkäuferin
träumte sie davon, ein Filmstar zu werden.
Und ihr Leben war unwirklich wie ein Traum, interpretiert und archiviert von einem Psychiater.

Ihre Romanzen waren Küsse mit geschlossenen Augen,
bei denen man, wenn man die Augen aufschlug,
ins Scheinwerferlicht starrt, und dann gehen die Scheinwerfer aus.
Und man baut die beiden Wände ab (es war eine Filmszene),
während der Regisseur mit dem Drehbuch fortgeht, weil die Szene nun schon gedreht ist.
Oder wie die Reise auf einer Jacht, ein Kuß in Singapur, ein Ball in Rio,
der Empfang in der Villa des Herzogs und der Herzogin von Windsor,
gesehen vom Zimmer einer erbärmlichen Wohnung aus.

Der Film ging zu Ende ohne den Kuß im Finale.
Man fand sie tot in ihrem Bett, ihre Hand am Telefon.
Und die Detektive fanden nicht heraus, wen sie anrufen wollte.
Es war,
als habe jemand die Nummer der einzigen freundlichen Stimme gewählt
und nur die Stimme vom Band gehört, die sagt: wrong number.
Oder als habe jemand, von Gangstern überfallen,
die Hand nach dem unterbrochenen Telefon ausgestreckt.

Herr,
wer immer es auch war, den sie anrufen wollte
und den sie nicht erreichte (und vielleicht war es niemand
oder jemand, dessen Nummer nicht im Telefonbuch von Los Angeles steht)
antworte du Ihrem Anruf!

Ernesto Cardenal
Übertragung: Stefan Baciu


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Quetzalcóatl

4. März 2007

Quetzalcoatl und Tezcatlipoca

Die dunkle Nacht, der Wind und das Meer warfen ihn auf den Strand. Hier lag er fest, an seinen Balken gebunden. Bedeckt von Schaum. An die Erde gepreßt, in ihre sanfte Krümmung geschmiegt wie das Kind an die Mutter.

Nackt und ohne Erinnerung. Nur sein nächtliches Wachen hatte in ihm selbst wie ein Stern zwischen dem Wind und den Finsternissen gestrahlt. Innen. Draußen brüllten der Sturm und der Wirbel.

Die ersten Lichter eines neuen Tages und die Stille fanden ihn hingestreckt am Strand. Er erinnerte sich nur an die Richtung seines Ursprungs, die aufgehende Sonne und das Kreuz der vier Winde, an das er festgebunden war und das ihn auf dem Meere schwimmend unter dem Heulen des Sturmes bis zu diesem vom Wasser getrennten Land, inmitten Wind und Nacht, getragen hatte.

Er war nackt, ohne Erinnerung, nur gewillt, weiterzuleben. Vor Not von Sinnen. Sein Bewußtsein brachte es bloß zu Angst und Einsamkeit.

Bin ich noch jemand, fragte er sich endlich, als der Schmerz ihn gegen den Felsen warf und ihm Kraft und Bewußtsein schwanden; der Funke seines Wachens erlosch, und es blieb nur ein graues Sausen zurück, das dem Tod sehr ähnelte und in seinem geschwollenen Mund nach Blut und nach Salz schmeckte.


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