Das Gegenteil von Liebe

22. April 2007

Pod-z-Blitz Nr. 5••• Am 12. April war ich bei Michael Perkampus zu Gast. Am Wohnzimmertisch entspann sich ein inspirierendes Gespräch um Verlage, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Erzählens, Psychoanalyse und jüdische Mystik. Wir haben das Micro laufen lassen mit der vagen Vorstellung, am Ende einen Podcast zu schneiden. Michael hat sich die Heidenarbeit gemacht, die Essenz aus dem Gespräch zu ziehen, und er bringt heute das Ergebnis als 5. Sendung seines Podcasts Pod-z-Blitz.

Wenn schon von Psychoanalyse die Rede ist… Es mag verwundern, dass ich eine 12 Jahre alte Geschichte wie die Begegnung mit Günter Grass in solch emotionaler Deutlichkeit schildere. Dabei waren es nicht die Bemerkungen von Günter Grass, die damals beinahe mein Buch verhindert hätten. Es war die Kriecherei des Betriebs. Dummheiten geschehen. Uns allen. Aber sie sollten auch verjähren dürfen.

Die Geschichte meiner Begegnung mit Grass, nehme ich mir also vor, soll hier zum letzten Mal erzählt worden sein. Die Wirbellosigkeit des Betriebs im Umgang mit Autoren wird mich allerdings auch künftig leidenschaftlich aufregen, wo immer sie mir begegnen mag.

Anmerken möchte ich noch, dass „Das Alphabet des Juda Liva“ als Hardcover schliesslich bei Ammann in Zürich erschien, der als Verleger und Freund damals viel für mich getan hat. Bei dtv ist zwei Jahre später lediglich die Taschenbuchausgabe erschienen.

Pod-z-Blitz, Nr. 5 • Literarischer Podcast von und mit Michael Perkampus

Mädchen

22. April 2007

Ich will in meinem Bette ruhn und die Erde bedecken
Über den Ländern Europas und Afrikas liege ich da.
Meinen linken Arm will ich tief hinein nach Asien strecken.
Und den rechts nach Amerika.
Mein schlängelndes Haar wird im Nordmeer den Alk erschrecken.

Zischende Augen will in das weiche Dunkel ich bohren
Wie farbigen Stahl, der die kühle Haut verglüht und zerreißt,
Mit meiner Nacktheit leuchten dem, der die Straße verloren,
Der meine Stätte ungewiß suchend umkreist,
Und mich mit Schweigen verkleiden vor brüllenden Kehlen, versiegelten Ohren.

Mein bleiches Kissen: Eisberg, den Nacht umflutet.
Ich schmelze ihn hin mit dem Tropenstrauß meiner Hand,
Mit Irisblüten, golden und braunrot durchblutet;
Graubläuliche Otter hält sie leicht wie ein Band,
flüstert Wunder mir zu, die sie weiß und vermutet.

Und ein Wunder ist dies: es spritzen feurige Funken
Aus der Glut. Den Himmel brennt Mondnarbe, Sternenmal.
Und der Erde gereiftes Brot wird verteilt, ihr Wein wird getrunken.
Wasser scheint immer noch zart und wallend und fahl,
Hegt den stummen mächtigen Hai und das Läuten gelbbauchiger Unken.

Düster und Strahl sind um mich. So sind sie gewesen,
Da der Ägypter den Königen steinerne Gräber getürmt,
Noch die Sibylle ihre verkohlten Bücher gelesen,
Da erzürnte Harpyien das Mahl des Phineus umstürmt.
Da Juda die Götzenhäuser gefegt mit glänzendem Besen.

Nun verbergen Menschen die Bläue mit speienden Schloten,
Fürchten das Erdgespenst nicht mehr, den klagenden Wolf,
Schirren die Luft und fahren in steigenden Booten
Über Woge und Welt, spielen Tennis und Golf
Und schlafen dann hundert Jahre unter den Toten.

Wie der Sand, wie Flamme und Fluten, so unabwendlich,
Wie Wolke, so unentrinnbar bin ich.
Einst ziehen Kindesgeschlechter, fern mir und nicht mehr verständlich,
Horizonthin, versunkenen Sonnensterns blutheller Strich.
Mein Tag hat sein Maß, doch meine Nacht ist unendlich.

O Männer. Ihr mögt mit Maschinen rasen, tausend elektrische Lampen entzünden,
Ihr schwächt nicht die Faust, die euch zu mir reißt.
Mein Weiher und tiefes Lächeln liegt zwischen dämmrigen Schlünden,
Erwartet still euren neuesten, schwächlich geblähten, unbeständigen Geist
Und wirft eine Welle aus seinem Schoß; sie schluckt ihn samt seinen Gründen.

Kommt ihr mit tanzenden Tieren, mit dem Scherenschleifrad zur Stadt,
____seid Bürger, seid Grafen,
Füße laufen wie schneeweiße Ratten euch nach,
Laufen immer: Füße kupferhaariger Nächte im Hafen,
Wenn euer Schiff die grüne schaumkrallige Pranke zerbrach,
Sie lassen euch unter dem Südlichen Kreuz, dem Großen Wagen nicht einsam schlafen.

Die Liebkosung eurer Lippen, Gier eurer Hände
Sammle ich ein, und die Freude, die aus euren Augen schlägt,
In ein seidenes Vogelgarn, das ich trage an meiner Lende,
Wie das Känguruh seinen Beutel trägt.
Und ich füge die glühenden Stunden und finstere zu funkelnder Spende.

Goldflossige Fische schwimmen, lautlose Kiemen, in Bütten,
Die meine weiten Abende sind.
Und der Kometenregen will alles dies achtlos verschütten
Über ein Kind.
Es ist zart und ewig und nur wie die bräunlichen Kleinen schindelgedeckter Hütten.

Gertrud Kolmar, aus: „Gedichte“
Lizenzausgabe Suhrkamp Verlag 1996
© Kösel-Verlag, München 1980

••• Noch einmal Gertrud Kolmar mit einem Gedicht, das wohl am besten illustriert, was ich zuvor über sie schrieb. Seit Minuten klingt mir Patricia Kaas aus dem musikalischen Gedächtnis mit ihrer Interpretation von „It’s a Man’s World“.

This is a man’s world
This is a man’s world
But it would be nothing
Nothing without a woman or a girl

You see man made the cars
To take us over the world
Man made the train
To carry the heavy load
Man made the electric lights
To take us out of the dark
Man made the bullet for the war
Like Noah made the ark
This is a man’s man’s, man’s world
But it would be nothing
Nothing without a woman or a girl

Ein dumpfer Akkord

20. April 2007

Little Red Boat by Gimpy-Dexter@deviantart.com

Ich kann Ihnen eine Geschichte erzählen: von der Leidenschaft des Schwebens, von jenen Augenblicken, in denen die Zeit stehenbleibt, damit das Herz ein paar Schläge aufholen kann.

Wenn der Löwe langsam über den Konzertflügel schleicht, müde, und mit seinem Schwanz über die Tasten wischt, ganz sorglos, ein dumpfer Akkord.

Wenn ein Mädchen am Morgen lächelnd die Augen aufschlägt und die Wand streichelt, an der sein Bett steht. Und ein Mann, dessen Mund vernäht ist, dennoch sprechen lernt durch seine Augen.

Wenn eine Wand zwischen zwei ungleichen Zimmern zum Ablegeplatz eines Bootes wird und sich zwei eine Rast verdienen vor der langen, letzten Ausfahrt über den See.

Ein anderes Blau, 3. Kapitel
» Inhaltsverzeichnis

••• Was man auf dieses Boot an Gepäck mit sich nimmt, bleibt einem für immer. Da heisst es auszusortieren. Im dritten Kapitel stehen Abschiede an, Auflösungen und Flugversuche, bevor das Boot schliesslich aus unserem Blickfeld entschwindet.

Morgen schon werdet ihr Staub sein

19. April 2007

Schuhberge im KZ Auschwitz

Wer aber leerte den Sand aus euren Schuhen,
Als ihr zum Sterben aufstehen mußtet?
Den Sand, den Israel heimholte,
Seinen Wandersand?
Brennenden Sinaisand,
Mit den Kehlen von Nachtigallen vermischt,
Mit den Flügeln des Schmetterlings vermischt,
Mit dem Sehnsuchtsstaub der Schlangen vermischt,
Mit allem was abfiel von der Weisheit Salomos vermischt,
Mit dem Bitteren aus des Wermuts Geheimnis vermischt –

O ihr Finger,
Die ihr den Sand aus Totenschuhen leertet,
Morgen schon werdet ihr Staub sein
In den Schuhen Kommender!

Nelly Sachs

••• Gertrud Kolmars Bild vom „Sand in den Schuhen Kommender“ hat Nelly Sachs zu verschiedenen Adaptionen inspiriert. Die vielleicht berühmteste Variation des Themas ist wohl diese hier.

Die Fahrende

18. April 2007

Jerimiah's Shoe © by amelioration@deviantart.com

Alle Eisenbahnen dampfen in meine Hände,
Alle großen Häfen schaukeln Schiffe für mich,
Alle Wanderstraßen stürzen fort ins Gelände,
Nehmen Abschied hier; denn am andern Ende,
Fröhlich sie zu grüßen, lächelnd stehe ich.

Könnt ich einen Zipfel dieser Welt erst packen,
Fänd ich auch die drei andern, knotete das Tuch,
Hängt es auf einen Stecken, trügs an meinem Nacken,
Drin die Erdkugel mit geröteten Backen,
Mit den braunen Kernen und Kalvillgeruch.

Schwere eherne Gitter rasseln fern meinen Namen,
Meine Schritte bespitzelt lauernd ein buckliges Haus;
Weit verirrte Bilder kehren rück in den Rahmen,
Und des Blinden Sehnsucht und die Wünsche des Lahmen
Schöpft mein Reisebericht, trinke ich durstig aus.

Nackte, kämpfende Arme pflüg ich durch tiefe Seen,
In mein leuchtendes Auge zieh ich den Himmel ein.
Irgendwann wird es Zeit, still am Weiser zu stehen,
Schmalen Vorrat zu sichten, zögernd heimzugehen,
Nichts als Sand in den Schuhen Kommender zu sein.

Gertrud Kolmar, aus: „Gedichte“
Lizenzausgabe Suhrkamp Verlag 1996
© Kösel-Verlag, München 1980

••• Gedichte gibt es, die sind wie Kisten voll Blei, kaum zu heben, ohne den Rücken schmerzhaft zu spannen. So geht es mir mit den Gedichten von Gertrud Kolmar. Doch bei aller Schwere schiesst aus jeder Zeile eine so unbändige Lebenskraft, ein Hunger, ein Durst, unstillbar.

PS: Hat einer der geneigten Leser eine andere Kolmar-Ausgabe zur Hand? Ich bilde mir ein, es müsste Weiher statt Weiser heissen. Und wenn nicht, wäre ich ratlos, was mit Weiser gemeint ist. Für sachdienliche Hinweise wäre ich dankbar.