Warum fehlt meinem Vers moderner Schick?

26. April 2007

Why is my verse so barren of new pride,
So far from variation or quick change?
Why with the time do I not glance aside
To new-found methods and to compounds strange?
Why write I still all one, ever the same,
And keep invention in a noted weed,
That every word doth almost tell my name,
Showing their birth and where they did proceed?
O, know, sweet love, I always write of you,
And you and love are still my argument;
So all my best is dressing old words new,
Spending again what is already spent:
For as the sun is daily new and old,
So is my love still telling what is told.

Warum fehlt meinem Vers moderner Schick,
Erfindungsreichtum, Spannung, frischer Schwung?
Was schreib ich nicht, wie jeder heut, mit Blick
Auf rare Wörter, Stilerneuerung?
Was schreib ich bloß dasselbe früh und spät,
Beschreib den alten Hut auf alte Art,
Daß meinen Namen jedes Wort verrät
Und willig, wo es herkommt, offenbart?
Weil: liebster Freund, ich schreib allein von dir;
Liebe und du sind stets mein Gegenstand,
Den alten Wörtern leih ich neue Zier,
Verwende neu, was schon so oft verwandt.
Neu steigt die alte Sonne stets, wenn’s tagt.
Neu meine Liebe Altgesagtes sagt.

William Shakespeare, Sonett Nr. LXXVI
Übertragung: Christa Schuenke
© der Übertragung Straelener Manuskripte Verlag 1994

Shakespeare Sonette - Straelener Manuskripte Verlag••• Um über Shakespeares Stücke zu schreiben, muss ich erst einmal tief Luft holen und mich bedenken. Vielleicht wird es mir gar nicht gelingen. Da lasse ich mich einmal überraschen. Aber wenn wir schon bei Shakespeare sind, ist mir dies willkommener Anlass, auf ein Thema zu kommen, das ich mir schon lange im Turmsegler aufgefächert wünsche: Sonette.

Ich habe eine illustre Sammlung zusammengetragen, die ich den Turmsegler-Lesern nicht vorenthalten möchte. Und für einen Moment durchzuckte mich heute sogar der Gedanke, die vielen selbst schreibenden Leser dieses Blogs zu Sonetten anzustiften. Aber eins nach dem anderen. Erst einmal – doch nicht nur einmal – Shakespeare. Und dann wollen wir weiter sehen.

Was ist ein Geist?

25. April 2007

Was ist ein Geist?
Ein schreckliches Ereignis
das dazu verdammt ist
immer und immer wieder stattzufinden
Ein Augenblick des Schmerzes vielleicht
Etwas Totes, das für einen Moment
zum Leben zu erwachen scheint
Ein Gefühl, das in der Zeit erstarrt ist
Wie eine unscharfe Fotografie
Wie ein in Bernstein gefangenes Insekt
Ein Geist, das ist es, was ich bin.

Alfred Tennyson, Canto Nr. 28
aus: „In Memoriam“

Alfred Tennyson auf wikipedia.de••• Wieder einmal ist es spät geworden. Der Film heute abend versprach nicht eben, poetisch zu sein: „The Devils Backbone“ von Guillermo del Toro. Und wieder einmal wird in einem Film ein Gedicht zitiert, das mir nicht aus dem Kopf gehen will. Glücklicherweise waren Autor und Werk im Abspann vermerkt. Vielleicht hat jemand den Originaltext zur Hand und ist so freundlich, ihn in die Kommentare zu stellen. Ich habe das Gedicht lediglich von der Aufnahme transkribiert und keine Ahnung, wie der Text im Original aufgeteilt und interpunktiert ist.

Bondage

24. April 2007

Bondage © 2007 by ~JadedRed@deviantart.com
Bondage – © 2007 by ~JadedRed@deviantart.com

••• Passend zu den snowflake-Posts von gestern und vorgestern stosse ich heute unverhofft auf eine nicht-leibliche Turmsegler-Schwester – das Bondageprojekt. Das Projekt beschäftigt sich – man würde es vom Namen her nicht vermuten – mit deutscher Lyrik, wobei allerdings auch Katzen verarbeitet werden. Nun soll Dichtung freilich zu fesseln vermögen; der Name wurde jedoch nach Bekunden der anonymisierten Betreiber aus Marketinggründen gewählt, da das Suchwort „Bondage“ zu den am häufigsten bei Google eingegebenen gehöre.

Das lässt auf professionelles Vorgehen schliessen. Das Layout des Blogs und die Qualität des Podcasts lassen ebenfalls erkennen, dass da keine Gelegenheitsblogger am Werk sind. Das Konzept ist tatsächlich sehr Turmsegler-nah. Die vorgestellten Gedichte werden mit redaktioneller Prosa-Tonspur ergänzt, gut geschrieben und informativ. Der persönliche Touch, den ich für den Turmsegler wohl reklamieren kann, fehlt hingegen. Auch ist das Blog noch recht jung, und man sieht noch nicht wirklich das Potential, aus dem die Macher schöpfen.

Beobachten will ich das Projekt allein schon wegen der engen Verwandtschaft im Konzept. Also: Auf die Rolle damit.

Sein, oder nicht sein

24. April 2007

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Sein, oder nicht sein, das ist die Frage:
Ob’s mehr uns adelt wohl im Geist, die Pfeile
Und Schleudern wüsten Schicksals stumm zu dulden,
Oder das Schwert zu ziehn gegen ein Meer der Plagen
Und im Anrennen enden: sterben… – schlafen,
Mehr nicht; und sagen, daß durch einen Schlaf
Wir’s Herzweh enden und die tausend Lebenshiebe,
Die unserm Fleisch vererbt sind: ’s ist eine Erfüllung
Inbrünstig beizuwünschen. Sterben, schlafen,
Schlafen, womöglich träumen – ja, da hakt’s:
Denn in dem Schlaf des Tods, welch Träume kommen mögen,
Wenn man des Weltgeknäuls sich hat entfesselt,
Das gibt zu denken – das der Gesichtspunkt,
Der’s Elend derart langen Lebens macht.
Denn wer ertrüg der Mitwelt Spott und Peitsche,
Des Unterdrückers Unrecht, Hohn vom Stolzen,
Verschmähter Liebe Qual, Verzug des Rechts,
Die Dreistigkeit der Ämter, und die Tritte,
Die der Verdiente stumm vom Nichtsnutz hinnimmt,
Wenn er sich selbst quittiern könnt in den Ruhestand
Bloß mit ’nem dummen Dolch? Wer trüg sein Bündel,
auf daß er grunzt und schwitzt im Lebensjoch,
Wär’s nicht, daß Furcht vor etwas nach dem Tod,
Das unentdeckte Land, aus dessen Gauen
Kein Wandrer wiederkehrt, den Willen lähmt,
Und uns die Übel, die wir haben, lieber tragen
Läßt, eh wir hin zu unbekannten fliehn?
So macht Bewußtsein Memmen aus uns allen,
So wird die angeborne Farbe der Entschlußkraft
Siech überkränkelt von Gedankens Blässe,
Und Unterfangen großen Wurfs und Werts
Kehrn dieses Grunds halb ihre Schwungkraft seitwärts, und
Verlieren so den Namen „Tat“. […]

William Shakespeare, aus: „Hamlet“
Übertragung: Frank Günther

••• Am 23. April (nach gregorianischem Kalender dem 3. Mai) 1616 starb William Shakespeare. Ich habe es lange hinausgezögert, hier seinen Namen zu nennen. Aber irgendwann musste er doch fallen. Mit Shakespeares Werk verbindet mich eine Liebe, die so gross ist, dass alles hineinpasst: Verehrung wie Sentimentalität, Staunen wie – gelegentlich – auch Eifersucht.

Im Podcast vom Sonntag war vom Literarischen Colloqium in Berlin die Rede. Als ich noch in Berlin lebte, trieb es mich öfters dorthin zu einer der in der Regel hochinteressanten Veranstaltungen. Auf einer dieser Veranstaltungen stellte Frank Günther seine Shakespeare-Neuübersetzungen vor, die ich samt und sonders in der Reihenfolge ihres Erscheinens gekauft habe und zum ganz überwiegenden Teil sehr schätze.

Ich sammle nicht nur Shakespeare-Ausgaben, sondern auch Shakespeare-Verfilmungen. Die Interpretationen von Kenneth Branagh, in denen er in der Regel auch gleich noch die männlichen Hauptrollen spielt, sind unbedingt sehenswert.

Zum vierten Male teilst du mir mit

23. April 2007

Zum vierten Male teilst du mir mit
Daß du alle Brücken hinter dir verbrannt hast
Alle Briefe vernichtet, alle Behauptungen zurückgenommen hast
Dich in einem Taumel des Neuen befindest und
Diesmal endgültig.
Lieber hätte ich von dir gehört, du seist
Neuem auf der Spur, brauchtest aber Zeit
Seist gut gelaunt und freuest dich
Deiner guten Beziehungen.
Denn so sehe ich dich nur bald wieder
Am Bau neuer Brücken, Sammeln von Briefen und Aufstellen von Behauptungen
Müdigkeit des Alten, und wieder nicht endgültig.

Bertolt Brecht

••• Ich habe nicht die leiseste Ahnung, warum mir dieses Gedicht heute in den Sinn kam. Ausgerechnet heute. Ich habe keine Ahnung.