Über die Untreue der Weiber

8. Mai 2007

Vielleicht würd ich es ihr sogar gestatten
Zu andern Männern sich nach Lust zu legen
Warum nicht etwas Freiheit? Meinetwegen!
Wenn jeder Griff der Fünfminutengatten

Sie nur nicht gleich so sehr verändern würde!
Selbst wenn es gar nicht so besonders glückte
Wenn ihr nur einer mal am Hintern rückte
Spielt sie bestimmt fortan doch die Verführte

Und sehr Geheimnisvolle! Die verschlagen
Den Besserwisser jetzt hereingelegt hat
Da der nicht weiß, und wehe, wenn er’s wüßte!

Daß sie den Hintern damals doch bewegt hat!
Wenn auch nur gegen Ende sozusagen …
Und so entsteht ein Riß, der nicht entstehen müßte.

Bertolt Brecht (1927)

••• Dass ich mich für Sonette von der ersten Begegnung mit ihnen an so sehr begeistern konnte, verdanke ich Brecht. Er schert sich nicht um die Vorgabe der thematischen Aufteilung innerhalb des Sonetts. Und er wagt immer wieder Experimente mit erstaunlicher Wirkung. Wer sagt denn, im Sonett müssten die Sätze oder Nebensätze mit der Zeile enden? Indem er die Sätze um die Zeilenenden und damit auch um die Reime quasi herumfliessen lässt, verschwindet das Getragene, das im Sonett so leicht zum Stolzieren gerät. Nahezu prosaisch klingt Brecht hier – und das inmitten einer strengen Form.

Dem Fluss des Gesagten zum Opfer gefallen ist auch das Reimschema der Terzette. Und doch – spätestens wenn man das Gedicht laut liest, wird klar, dass hier jedes Wort am rechten Platz ist.

Das nenne ich meisterhaften Umgang mit einer strengen klassischen Form! Sie ist da und und wirkt, doch aus dem Hintergrund. Nicht die Spur von Selbstzweck, sondern ganz Mittel zum Zweck.

Manifeste

8. Mai 2007

Am konservativsten in der Kunst sind die ehemaligen Umstürzler. Und umgekehrt.

Valentin Katajew

••• Ich liebe Manifeste. Notwendig absolut im Postulieren des Wahren, vereinfachen sie das Komplexe auf so wohltuende Weise. Wohltuend, weil wir glauben dürfen, dass es doch handhabbar sei.

Ich kann Manifeste nicht leiden. Notwendig absolut im Postulieren des Wahren, vereinfachen sie das Komplexe auf unerträgliche Weise, um uns glauben zu machen, dass es handhabbar sei. Alles ganz klar. Und alles ganz einfach.

Wenn nur endlich ein Schuss fiele!

Im Sportcoupé über den Wenzel

7. Mai 2007

Pod-z-Blitz Nr. 6••• Erneut stellt Michael Perkampus in seinem Podcast Pod-z-Blitz seine Qualitäten als Gesprächsgastgeber unter Beweis. Dieses Mal sind die Autoren Markus A. Hediger und Alexander Nicolai bei ihm zu Gast. Hediger spricht über seine Übersiedlungspläne nach Brasilien, und so ganz nebenbei entspinnt sich zwischen Perkampus und Hediger eine hochinteressante Diskussion um die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Romanschreibens und die – vermutete oder tatsächliche – Natur literarischer Weblogs.

Im Anschluss spricht Alexander Nicolai über einen der wenigen „magischen Autoren“ der deutschen Romanliteratur: Gustav Meyrinck („Der Golem“). Die Vorstellung vom selbstmordgefährdeten Dandy Meyrinck, der im ersten je in Prag gesichteten Sportcoupé über den Wenzel heizt, um die Bürger zu verschrecken, wird mich durch den Tag begleiten, wenn nicht länger.

Der Perkampus-Podcast entwickelt sich von Folge zu Folge in erfreulichster Weise. So freut es mich sehr, dass ab Juni Sendungen in dichterer Folge mit festem redaktionellen Konzept geplant sind.

Für literarisch Interessierte gilt heute: Hingehen, anhören – Pod-z-Blitz!

übermüdes abendland

7. Mai 2007

die letzte nacht, die blaugefrorn und knochenstarr
sich an den rotwein klammernd auf die leinwand
leergewohnter häuser grinst: hast du noch eurostückchen
kauf dir erinnerungen, schnell, bevor die welt zerfällt

nimm all die abgelegten süchte auf und halt sie in den
aufgemalten strahl der ichfabrik, bunt wie lavalampenblut
vermischt mit dispersionsverbrechen: das ist kein wohnraum hier
das ist der zwang klischees von wohlstand vorzuleben, die in

den treibhäusern der gengemüterzüchter aus blankgezogenen
erinnerungen wuchern: schnell wird ein pressevorwand
hingerichtet als seis ein insasse aus echtem fleisch

und diese letzte, allerletzte nacht greift mit tentakeln
in die leinwandkästen der erkenntnistaucher: ein ruf nur
und die dunkelheit, unweigerlich, ist da

© Sonogara (2007)

••• Als ich zum ersten Mal Gabriela Mistrals „Sonette vom Tode“ las, fiel mir tatsächlich zunächst gar nicht auf, dass sie nicht gereimt waren. Als ich es schliesslich bemerkte, faszinierte mich die Idee. In der Tat ist es vor allem das Versmass, das diese Form so musikalisch macht; und es braucht den Reim gar nicht, der in unserer verhältnismässig reimarmen Sprache doch zu schnell zu einer übergrossen Fessel wird.

Später habe ich feststellen müssen, dass lediglich der Nachdichter auf den Reim verzichtet hatte, um in seiner Übertragung näher am Sinn, dichter bei den ursprünglichen Worten bleiben zu können. Im spanischen Original sind Gabrielas Sonette sehr wohl gereimt. Wie auch immer – die Idee des ungereimten Sonetts hat sich bei mir festgesetzt.

Nun gibt es bekanntlich keine Zufälle. Vor wenigen Tagen stiess ich im Weblog von Sonogara auf ein ungereimtes Sonett. Und da es durchaus mehr zu bieten hat als nur den schönen Formenmantel, habe ich mir Erlaubnis eingeholt, es hier zu zitieren.

Absurditäten des Literaturbetriebs

6. Mai 2007

••• Vito von Eichborn mischt sich unvermittelt ein in eine rege Debatte drüben beim Literatur-Café. Erstaunlich, dass ein Verleger noch Mühe aufwenden muss für die eigene Entmystifizierung. An dieser ganzen Debatte jedoch ist eine bedeutende Winzigkeit hervorzuheben. Vito von Eichborn gibt eine BoD-Reihe heraus, in der man sich – da die Kalkulation passt – auch Literatur jenseits der leichten Vermarktbarkeit leisten kann. Was geschieht hier? Ist es eine Erneuerung verlegerischen Ethos? Wird der Selbstverlag salonfähig, indem auf dem BoD-Buch-Cover ein Verlegername prangt? Warum kann Eichborn das Buch nicht – auf gleiche Weise hergestellt – unter (s)einem Verlagslabel am Markt platzieren? Wofür brauchen Autoren noch einen Verleger?

Zu gern würde ich mit Herrn Eichborn über diese und angrenzende Fragen sprechen…