1. Juni 2007Die Uhr hat unter Keuchen zwölf geschlagen
im Nachbarsaal, der finster ist und leer;
die Augenblicke, das Sekundenheer,
das ins Vergessen eilt mit unsren Tagen,
jagt wieder weiter, achtet nicht der Klagen
und prägt das Muster neu im Zeitenmeer;
vom Rhythmus – träumerisches Ungefähr
laß ich mich neu dem Ziel entgegentragen.
Die Augen öffnen sich, das Licht ist grell,
ich hör mein Herz in seinem Weiterschreiten
und dieser Zeilen abgemeßnes Gleiten,
die Sphärenharmonien klingen hell.
Uns treibt der Rhythmus. Ziellos sind die Weiten!
Doch ohne ihn erstürb‘ das Leben schnell.
Ivan Bunin (1912)
••• Und dank Hilbi hier eine lyrische Ergänzung zum letzten Beitrag. Ich kann ja nichts dafür: Schon wieder ein Sonett!
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1. Juni 2007••• Als ich zum erstenmal Katajews „Gras des Vergessens“ las, konnte ich von Ivan Bunin kein einziges Gedicht, keine Erzählung auftreiben. Online-Portale für Bibliophile gab es damals noch nicht. Solcherlei musste damals in Antiquariaten erstöbert werden. Das war mühsam. Bei manchen Autoren war es auch nicht vielversprechend. Bunin, obgleich Nobelpreisträger, zählte zu den hoffnungslosen Beschaffungsfällen – jedenfalls dort, wo ich lebte: auf der Sibirien zugewandten Seite des Eisernen Vorhangs. Jetzt habe ich endlich die Lektüre nachgeholt. Gedichte von ihm habe ich immer noch nicht ins Haus bekommen; dafür aber einen Band mit Erzählungen.
Ich kann nur allen, die hier mitlesen und selbst schreiben, dazu raten, sich Prosa von Bunin zu beschaffen. Sein Realismus ist beängstigend. Da ist nichts zu viel, alles am richtigen Ort und alles und jedes mit wenigen Strichen wie fotografiert.
Aber ja, das ist natürlich mega-out, ruft’s da aus dem postmodern sozialisierten Publikum. Alles Unfug!, dachte ich mir heute. Was gäbe das für Geschichten ab, meinetwegen Romane, die sich all jenen magischen, sogar mystischen Sujets zuwenden, bizarrste Visionen schildern und Gegen- und Parallelwelten – jedoch in der Klarheit, Unverkünsteltheit und Plastizität des Buninschen Realismus…
Nicht auszudenken.
Für sachdienliche Hinweise auf brauchbare Übertragungen von Bunin-Gedichten ins Deutsche wäre ich sehr dankbar
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31. Mai 2007Ein Gastbeitrag von Alban Nikolai Herbst
in Erwiderung auf „Gereimtes Versmass“
••• Neue Formen auszuprobieren, sie zu füllen und schließlich (vorübergehend, weil so etwas immer weiter führt) zu beherrschen, ist von Anfang an ein nachdrückliches Element auch meiner Romane gewesen, wurde allerdings erst in letzter Zeit, und zwar von Literaturwissenschaftlern, nicht von der Kritik und kaum von Lesern bemerkt – was wohl auch daran liegt, daß ein plausibler Kanon, wie ein Roman auszusehen habe, nicht exitiert, so daß sich ein solcher Kanon auch nicht durchbrechen läßt, nicht eigentlich transzendieren läßt. Daran aber wäre überhaupt nur die neue Form merklich. Man kann sich allenfalls, was ich seit einiger Zeit tue, diesen Kanon selber schreiben. Nur zeitigt das bei Lesern wenig erkenntnistheoretische / ästhetische Erkenntnis, da meist die Zusammenhänge, aus denen argumentiert wird, gar nicht begriffen oder verlorengegangen sind.
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Tags: Alban Nikolai Herbst • Gastbeiträge • Poetik
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30. Mai 2007••• Heute steht Leserverschickung auf dem Programm. Aber nicht ins Landschulheim wird verschickt, sondern nach nebenan, ins Arbeitsjournal von Alban Nikolai Herbst. Gestern nämlich stand auf seinem Programm wieder mal eine Variation der Sonettenform, und zwar eine, die ich originell finde.
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30. Mai 2007
Michail Alexandrowitsch Wrubel: Sechsflügeliger Seraph
••• Gekauft habe ich Katajews „Gras der Vergessens“ ursprünglich aus nur einem Grund: Der Klappentext versprach, dies sei der Roman eines ungeschriebenen Romans über den Todesengel Azrael. Ich schrieb damals an meinem ersten Romanmanuskript „Der Libellenflügel“. Und Azrael war die selten sichtbare, doch immer anwesende Hauptfigur dieses Textes. Ich kaufte und las alles, was mir zu Azrael unter die Finger kam.
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Tags: Valentin Katajew • Das Alphabet des Rabbi Löw
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