Kleinverleger am Wannsee

24. Juli 2007

„Als Kleinverleger muss man Spinner und Zocker sein und Demütigungen ertragen können“, bringt der Verleger zu Klampen des gleichnamigen Verlages seine Überlebensstrategie auf den Punkt. „Das Problem ist der Buchhandel. Die Leser sind da“, erzählt der Chef von Jung & Jung aus Salzburg. In seinem Verlag ist „Clarel“ erschienen, ein über 600 Seiten langes Gedicht von Herman Melville, dem Verfasser von „Moby Dick“. Große Verlage und der Buchhandel scheuen das Risiko, auf schwer verkäuflichen Büchern sitzen zu bleiben.

Besonders hart betroffen: Erzählungsbände deutscher Autoren und Lyrik. „Viele Verlage nehmen die Lyrik einfach aus ihren Programmen“, berichtet Daniela Seel von Kookbooks. So habe Dumont die Lyrik einfach gestrichen und die Dichter auf die Straße gesetzt. Die junge Verlegerin wirbt mit dem Slogan „Poesie als Lebensform“; Dichtung gehört für sie zum Leben.

Grit Poppe, in: „Die Nische als Lebensform“
Märkische Allgmeine vom 16.07.2007

••• Unter dem leicht irreführenden Banner „Gartenmesse“ kamen letzte Woche im Literarischen Colloqium Berlin bereits zum zweiten Mal Autoren und Kleinverleger zusammen — zum Kennenlernen, Lesen und Sinnieren übers Verlagsgeschäft in deutschen Landen.

Sollte Dichtung und Literatur jenseits des Mainstreams allgemein in Deutschland künftig noch eine Überlebenschance haben, dann — das machen die Wortmeldungen der Verleger deutlich — werden wir es den konzernunabhängigen Kleinverlagen zu danken haben, die unter hohem persönlichen Einsatz und oft am Rande des Existenzverlusts ihre Programme gestalten.

Realitätsverlust

23. Juli 2007

In jenen Jahren, so wissen wir, gelangt der Roman zu einer seither kaum mehr übertroffenen Meisterschaft, die Gegebenheiten des äußeren Lebens mit einer Genauigkeit abzubilden, die es uns ermöglicht, den Speiseplan einer Lübecker Kaufmannsfamilie ebenso nachzuvollziehen wie die genauen Umstände des Aufstiegs eines französischen Journalisten, die Urlaubsgewohnheiten einer Wiener Arztfamilie oder die Art und Weise, wie ein russischer Aristokrat Weihnachten feiert. Wir wissen, welche Vorbereitungen ein Ball in der britischen Provinz erfordert. Wir kennen aber auch nicht minder die Ängste eines Pragers Angestellten, die Inkonsequenzen einer Gesellschaft, die eine russische Dame am Ende unter die Eisenbahn bringen, und hören den Lügen dieser Epoche ebenso zu wie ihren Witzen, ihren Wahrheiten, ihren Traurigkeiten und ihrem Tod. Wir sind, mit einem Wort, mit dem alltäglichen Leben des Bürgers des 19. Jahrhunderts und des frühen 20. in hohem Maße vertraut.

••• Serviert Frau Modeste uns ein Roman-Quiz? (Können wir zusammentragen, auf welche Romane hier gezielt wurde?) Nein, Frau Modeste wagt sich vor in die Kritik des zeitgenössischen Prosa-Erzählens; und sie beklagt — den Mangel an realistischer Beschreibung des heutigen Alltags.

[…] spielt ein guter Teil der Gegenwartsliteratur in einer Welt, die es so nicht gibt. Die Einbettung in eine vollkommen künstliche oder schlicht nur angedeutete Umgebung enthebt den Autor der Notwendigkeit, eine realistische Darstellung der Welt zu liefern, wie sie aussieht, wie sie riecht und schmeckt, und wie diejenigen, die sich in ihr bewegen, denken, wie sie lieben, was sie ärgert, und wie sie sprechen. Das in der deutschen Kunstprosa der Gegenwart gesprochene Idiom ist vollkommen artifiziell.

Eine Welt, die es so nicht gibt? Wie glänzend Frau Modeste sich täuscht — nicht über die vemeintlich so nicht existierenden Welten in der nicht-naturalistischen, irgendwie-anders-realistischen Prosa, sondern darüber, dass die Schilderungen in all den Romanen, auf die sie oben anspielte, nichts zu tun haben mit irgendetwas wie Realität. Sie waren erfunden von ihren Autoren und ebenso glaubwürdig oder unglaubwürdig wie jede heutige Beschreibung von etwas in Form. Alle Autoren aller Zeiten haben schon immer vor allem eins: wahr-gelogen, dass sich die Balken bogen.

Das Gottesspiel

23. Juli 2007

Über Kleinanzeigen sucht und findet ein namenloser Schriftsteller Menschen, die lebensüberdrüssig sind. Er hört sich gegen gutes Honorar ihre Geschichte an, er spricht mit ihnen und gibt ihnen Empfehlungen für ihren Freitod, den er persönlich begleitet. Als Clou verspricht er den Kandidaten, sie als Romangestalt wieder auferstehen zu lassen, wenn sie ihn denn faszinieren. Dies ist Gegenstand des in Südkorea als Skandal gefeierten Romans »Das Gottesspiel«, der jetzt in deutscher Sprache vorgelegt wurde.

••• Das hört sich nach einem interessanten Plot an. Hat einer der geschätzten Turmsegler „Das Gottesspiel“ des Koreaners Kim Young-ha gelesen? Mit Sardanapal — freilich in ganz anderer Interpretation des Bildes von Delacroix als Herr p.- — identifiziere sich der Anti-Held dieses Romans. Via Sardanapal bin ich auch auf die Besprechung bei „Readers Edition“ gestossen. Noch reicht der Teaser nicht, um ein HEYNE-Buch zu bestellen.

Ich bin ja so vorurteilsbeladen…

Die Brücken

23. Juli 2007


Bridges 2 – © Casey Toussaint 2007

Des ciels gris de cristal. Un bizarre dessin de ponts, ceux-ci droits,
ceux-là bombés, d’autres descendant ou obliquant en angles sur
les premiers, et ces figures se renouvelant dans les autres circuits éclairés
du canal, mais tous tellement longs et légers que les rives, chargées
de dômes s’abaissent et s’amoindrissent. Quelques uns de ces ponts sont
encore chargés de masures. D’autres soutiennent des mâts, des signaux,
de frêles parapets. Des accords mineurs se croisent, et filent, des cordes
montent des berges. On distingue une veste rouge, peut-être d’autres
costumes et des instruments de musique. Sont-ce des airs populaires, des
bouts de concerts seigneuriaux, des restants d’hymnes publics ? L’eau est
grise et bleue, large comme un bras de mer. – Un rayon blanc, tombant
du haut du ciel, anéantit cette comédie.

Der Himmel kristallines Grau. Ein seltsames Muster von Brücken, die einen gerade, die andern gewölbt, weitere steigen in schiefem Winkel auf die ersteren hinab, und diese Figurationen wiederholen sich in den anderen Umflutgräben, die hell leuchten, doch dermaßen langgestreckt und leicht sind, dass die kuppelbeladenen Ufer absacken und schwinden. Auf einigen dieser Brücken lasten noch Gemäuer. Andere werden von Masten, Signalen und zierlichen Geländern versteift. Mollakkorde kreuzen sich, und ziehen Fäden; Saiten erklimmen die Steilufer. Man erkennt ein rotes Jackett, womöglich auch andere Kleidung, und Musikinstrumente. Sind’s Volkslieder, Stücke aus herrschaftlichen Konzerten, Überreste von Staatshymnen? Das Wasser ist grau und blau, so breit wie ein Meeresarm.– Ein weißer Strahl, der hoch vom Himmel herniederfährt, löscht diese Komödie aus.

Arthur Rimbaud (1854 – 1891)

••• Meine Herzdame hat sich viel Mühe gemacht, um für die spa_tien-Sonderausgabe „Was sind literarische Weblogs?“, die im kommenden Januar als Buch erscheinen soll, interessante Illustrationen zu finden. Sie hat nicht nur im Namen der Herausgeber einen Wettbewerb im Web gestartet, sondern für die Präsentation der Einsendungen eigens ein Blog eingerichtet.

Casey Toussaint hatte zunächst wundervolle farbige Zeichnungen zu Arthur Rimbauds Gedicht „Brücken“ eingesandt. Als ihr bewusst wurde, dass wir Graustufen-Illustrationen benötigen, hat sie sich nochmals hingesetzt und die Serie um sieben weitere Zeichnungen erweitert. Caseys Blog(s) sei(en) Kunstinteressierten wärmstens empfohlen.

Einen lieben Dank an Casey für ihre Einsendung.

Eleni Karaindrou

22. Juli 2007

Eleni Karaindrou - © Pepi Loulakaki / ECM Records
Eleni Karaindrou – © Pepi Loulakaki / ECM Records

••• Vielen Dank an nirmāna-cittāny für diesen Tip. Bislang kannte ich nur den Soundtrack zu Ulysses Gaze. Eine traumhafte Musik. Wunderbar, nun hier in andere Werke von ihr hineinhören zu können.