Aus der Welt gespült

29. Juli 2007

Toke Constantin Hebbeln: Nimmermeer
Toke Constantin Hebbeln: Nimmermeer

Gregor Buchkremer: Kaltmiete
Gregor Buchkremer: Kaltmiete

Jens Lien: The Bothersome Man
Jens Lien: The Bothersome Man

••• Ich bin heute wie aus der Welt gespült. Jetzt konnte ich mit meiner Herzdame doch noch aufs Fantasy Filmfest gehen. Drei Filme in fünf Stunden. Länger wollten wir die Kinder der Freundin nicht zumuten; sonst hätten wir „La Antena“ noch drangehängt. Sage noch einer, vom deutschen Film sei nichts zu halten. Wenn es sich in der Literatur ähnlich verhält wie beim Film… Nach „Nimmermeer“ und „Kaltmiete“ kann ich nur sagen: Man muss die nur machen lassen. Nur ist das beim Film ja immer gleich eine 1000x höhere Investition als bei einem Buch. Das erhöht nicht eben die Chancen, dass all jene, die eine Chance verdient hätten, sie auch bekommen.

Und was stellen wir nun mit dem Abend an? Ach, vielleicht ein Film?

Ich hab das Wort vergessen

29. Juli 2007

Ich hab das Wort vergessen, das ich sagen wollte.
Ins Schloss der Schatten kehrt die Schwalbe blind zurück
Zerschnittnen Flügels, mit den Durchsichtigen zu spielen.
Im Nichterinnern singt man ein nächtliches Lied.

Die Vögel unhörbar. Die Immortelle blüht nicht.
Die Mähnen durchsichtig der Abendherde dort.
Ein leerer Nachen schwimmt auf trockenen Flüssen.
Unter Heuschrecken tobt erinnerungslos das Wort.

Und wächst sacht an, als wär es Zeltdach oder Kirche
Stößt jäh als wahnsinnige Antigone vorbei
Und stürzt als tote Schwalbe sich zu Füßen
Mit stygischer Zärtlichkeit und einem grünen Zweig.

O brächte man die Scham der sehenden Finger wieder
Und des Erkennens aufgewölbte Freude.
Ich fürchte so die Klage-Aoniden
Den Nebel und das Klaffen und das Läuten.

Doch Sterblichen ist Macht zu lieben und zu wissen
Für sie ists, daß der Klang sich in die Finger goß
Doch was ich sagen wollte, habe ich vergessen
Körperlos der Gedanke kehrt ins Schattenschloß.

Immer verfehlts der durchsichtige, bleich…
Immer die Schwalbe, Antigone, die Freundin…
Doch auf den Lippen brennt wie schwarzes Eis
Erinnerung an das stygische Läuten.

Ossip Mandelstam (1920)
Nachdichtung: Rainer Kirsch

••• Als Beispiel dafür, wie eine Nachdichtung ein nahezu völlig anderes Gedicht erschaffen kann: hier die Übertragung von Rainer Kirsch zum Mandelstam-Gedicht vom letzten Freitag. Obgleich ich bekennender Celan-Fan bin, fällt es mir schwer, seiner Übertragung ganz vorbehaltlos den Vorzug zu geben. Beide Varianten überzeugen mit starken eigene Übertragungsideen. Gerade deswegen war ich froh, in dem erwähnten Band beide Nachdichtungen präsentiert bekommen zu haben.

Das Wort bleibt ungesagt

27. Juli 2007

Osiip Mandelstam
Ossip Mandelstam (1891-1938)

Das Wort bleibt ungesagt, ich finds nicht wieder,
Die blinde Schwalbe flog ins Schattenheim,
Zum Spiel, das sie dort spielen. (Zersägt war ihr Gefieder.)
Tief in der Ohnmacht, nächtlich, singt ein Reim.

Die Vögel — stumm. Und keine Immortelle.
Glashelle Mähnen — das Gestüt der Nacht.
Ein Kahn treibt, leer, es trägt ihn keine Welle.
Das Wort: umschwärmt von Grillen, unerwacht.

Und wächst, wächst wie es Tempeln, Zelten eigen,
Steht, jäh umnachtet, wie Antigone,
Stürzt stygisch-zärtlich und mit grünem Zweige,
Als blinde Schwalbe stürzt es nieder, jäh.

Beschämung all der Finger, die da sehen,
O die Erkenntnis einst, so freudenprall.
O Aoniden, ihr — ich muß vor Angst vergehen,
Vor Nebeln, Abgrund, Glockenton und Schall.

Wer sterblich ist, kann lieben und erkennen,
Des Finger fühlt: ein Laut, der mich durchquert…
Doch ich — mein Wort, ich weiß es nicht zu nennen,
Ein Schemen war es — es ist heimgekehrt.

Die Körperlose, immer, Stund um Stunde,
Antigone, die Schwalbe, überall…
Wie schwarzes Eis, so glüht auf meinem Munde
Erinnerung an Stygisches, an Hall.

Ossip Mandelstam (1920)
Nachdichtung: Paul Celan

••• Ach, wieder so einen alten DDR-Reclam-Schatz ausgegraben. Von Mandelstam wird noch mehr zu berichten sein. Der Clou an dieser Ausgabe, einer Sammlung von 80 Gedichten aus seinem Gesamtwerk: Viele Gedichte werden neben dem Original in verschiedenen Nachdichtungen präsentiert.

Arno Schmidt liest Arno Schmidt

26. Juli 2007

Arno Schmidt (Radio)

••• Im Livestream von Nordwestradio liest heute um 18:30 Arno Schmidt Kurzprosa und einen Essay. Ob es sich um eine Aufzeichnung oder Live-Sendung handelt…

Windows Media Player oder RealPlayer sollten installiert sein. Dann kann man sich in den Livecast einklinken über die folgenden Links. Jetzt müsste ich nur noch wissen, ob und wie man das aufzeichnen kann… (und darf?)

Livecast Nordwestradio (Windows Media Player)
Livecast Nordwestradio (RealPlayer)

» via Sturznest, bei dem der Beitrag schon wieder verschwunden ist

Der Kopist

26. Juli 2007

Nur zweimal ließ ich es zu, daß er mich berührte. Nur zweimal, und beide Male durch den Spiegel.

Teresa Ruiz Rosas

••• Bereits als Kind entdeckte Teresa Ruiz Rosas ihre Leidenschaft für die Literatur. Schon mit 18 Jahren erhielt sie den peruanischen Literaturpreis Enrique-Huaco. Ihr erster Roman „El Copista“ war in Spanien ein Überraschungserfolg und erschien auf Deutsch unter dem Titel „Der Kopist“ im Ammann-Verlag. Teresa erzählt darin eine verhängnisvolle Dreiecksgeschichte; und sie erzählt sie aus zwei Perspektiven: der des Kopisten Amancio Castro und jener der schönen Marisa, die sowohl von dem Komponisten Don Lope Burano als auch von seinem Kopisten Amancio begehrt wird.

Dieses Erzählen einer Geschichte aus den sehr unterschiedlichen Perspektiven der Hauptpersonen hätte allein schon mein Interesse geweckt. Sich einem Geschehen auf diese Weise zu nähern, ähnelt der Art, wie Amancio Castro Marisa berührt: im Spiegel. Nur sind es mehrere Spiegel, die Spiegel der Wahrnehmung verschiedener Menschen.

Das Spiegelspiel (siehe unten), das Marisa und Amancio spielen, steht so auch für die Erzählweise oder vice versa. Und es gibt noch mindestens eine weitere derartige Doppelbödigkeit in diesem kleinen, wundervollen Buch: Amancio ist Kopist. Er kopiert für die Musiker die einzelnen Solostimmen aus der Orchesterpartitur heraus. Aber er ist auch Musiker und Komponist oder doch eher ein verhinderter Komponist. Es kommt ihm jeweils vor, als kenne er die Musik, die er kopiert, bereits, als sei diese Musik in ihm, doch ein anderer hätte sie niedergeschrieben; und ihm bleibe nun nur das Abschreiben der Noten.


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